Heft 21. Johannes der Täufer

Heft 21. Johannes der Täufer

Inhaltsverzeichnis
01. Johannes der Täufer
02. Wieder zu Hause

 


 

Johannes, der Täufer

Am Fusse des auslaufenden Gebirges befand sich der Grund der Elisabeth, den diese nun schon seit ungefähr zwanzig Jahren mit ihrem Sohn Johannes bewirtschaftete. Müde und voll Sehnsucht erwartete Elisabeth an diesem Tag ihren Sohn, der schon seit frühestem Morgen aus dem Hause war, um auf den Höhen Futter und Streu für die Ziegen zu holen. Schon neigte sich die Sonne, und mit wachsender Unruhe blickte sie nach der Richtung, aus der Johannes gewöhnlich kam.
„Wo er nur heute bleibt", Elisabeth drückte ihre Linke auf das aufgeregt klopfende Herz, „es wird ihm doch kein Unglück zugestossen sein! O Herr und Gott, dies wirst Du doch verhüten!"
Endlich war Johannes heimgekommen. Schwer war das Bündel, das er auf dem Rücken trug. Zärtlich begrüsste er die ihm entgegeneilende Mutter, er empfand hinter ihrer Freude die grosse Unruhe, die sie seit Stunden gequält hatte. „Mutter, hast du dich wieder gesorgt um mich? Du weisst doch, dass der Ewige und alles Erhaltende Seine schulende Hand über uns hält. Wäre dem nicht so, Mutter, es wäre heute mein letzter Tag gewesen, da ich mit einem wildgewordenen Ochsen schwere Arbeit hatte.
Der Nachbar jenseits des Berges, Sergius, hatte seinen Ochsen an seinen Karren gespannt und wollte auch Futter machen auf seinem Grund. Ruhig weidete das Tier, doch plötzlich wurde es furchtbar wild, wälzte sich auf dem Boden und brüllte vor Schmerz und Wut.
Ich wurde aufmerksam und kam gleichzeitig mit Sergius hin, und wir sahen, wie ein Schwarm Bienen dieses wildgewordene Tier über und über bedeckte. Wir wollten helfen, aber es ging nicht.
Als Sergius mit einigen Grasbüscheln die Bienen abstreifen wollte, wurde er von den Bienen angegriffen, und so suchte er in der Flucht sein Heil.
Was tun, dachte ich, dieses Tier kann ich doch dem Elend nicht preisgeben ?
Ich riss meinen Schurz vom Leibe und wedelte mit aller Kraft und Geschwindigkeit die Bienen ab, was mir schliesslich gelang. Indessen, der Ochse nahm mir meine Hilfe übel und griff mich an. Eine kleine Zeit konnte ich mich seiner erwehren, in einem günstigen Augenblick sprang ich jedoch zur Seite und flüchtete.
Sergius sah von weitem, wie auch ich mich in Sicherheit brachte, und so getrauten wir uns nicht zu arbeiten. Nach Stunden erst war das ermattete und bös zugerichtete Tier wieder zur Ruhe gekommen, und so kam es, dass ich dich so lange allein liess."
„Johannes, mein Sohn, denke immer daran, dass du noch eine Mutter hast. Du bist zu wild und meinst, alles bezwingen zu können." Des Sohnes Erzählung hatte die betagte Elisabeth erschreckt. „Wie oft bete ich um Schutz für dich und bitte Gott, über dich zu wachen." Johannes mit fröhlichem Ernst: „Mutter, Mutter, wem Gott ein Amt gibt, den wird Er auch erhalten; und mir ist dieses grosse Amt geworden: für dich zu sorgen und deine letzten Tage zu verschönen. Wie könnte es auch anders sein, hast du nicht Vater und Mutter in einem mir gegeben? Deine Güte, deine Liebe - sind sie nicht einmalig? Dies vergisst dein Sohn nicht; darum, Mutter: sorge nicht zuviel, damit mein Vertrauen zu Gott nicht schwächer, sondern stärker wird.“
Bald stand das gewohnte karge Abendmahl aus Milch und Brot auf dem Tisch, als der Nachbar Sergius mit zwei Priestern erschien. Ehrfurchtsvoll begrüssten die drei Elisabeth, dann Johannes. Sergius begann nun von dem Geschehen auf dem Berge zu erzählen, aber Johannes wehrte ab: „Sergius, meiner Mutter habe ich schon alles berichtet, es tut nicht not, nochmals die Gefahr zu schildern, in der wir standen."
Elisabeth wollte etwas erwidern. Einer der Priester kam ihr zuvor: „Mutter Zacharias, wieder komme ich mit der alten Bitte zu dir: gib uns deinen Sohn, damit wir ihn ganz für den Tempel erziehen können. Du bist es deinem seligen Manne schuldig, seinen einzigen Sohn zu einem Priester erziehen zu lassen. Dann ist es auch der Wille des Tempels, den Sohn eines so würdigen Dieners wie Zacharias in die Fussstapfen seines Vaters treten zu lassen."
„Joseph", entgegnete leise, aber bestimmt, Elisabeth, „deine Mühe scheint auch heute vergeblich, hat sich Johannes doch vor wenigen Minuten für die Mutter entschieden."
Der Priester, zähe an seinem Gedanken festhaltend: „Das ist recht und billig, aber auch wir wollen dich versorgen so gut, wie wir können, darum kann dieser Vorwand nicht aufrechterhalten werden. Wir beobachten Johannes unausgesetzt und müssen dir sagen: es kann nicht im Sinne des Tempels liegen, dass dein Sohn so frei und ohne unseren Einfluss dahinlebt. Er wurde Gott und dem Tempel geweiht."
Nun begann Johannes zu reden: „Eure Sorge ist eitel und völlig haltlos, denn meine Mutter hat mir bis jetzt voll und ganz genügt. So oft ich im Tempel und in der Synagoge weilte, hörte ich nichts anderes, als was mich die Mutter lehrte. Ihr wollt mich ganz von der Mutter trennen, damit ihr sagen könnt, ihr sorgt für den Sohn und die Witwe des Zacharias."
Asur, der andere Priester, sprach: „Junge, vergiss nicht, dass wir Vaterstelle an dir vertreten und du in Ehrerbietung und Gehorsam zu stehen hast. Schon allzulange lebst du in einer Zügellosigkeit, die ein Ende haben muss."
Elisabeth: „Was habt ihr vor? Was gefällt euch an Johannes nicht? Mir ist er gehorsam, voll Kindesliebe und Dankbarkeit! Er ist mein Sonnenstrahl in meinen alten Tagen und in seiner Jugendfrische leuchtet mir der Glaube seines Vaters entgegen. Doch so er mit euch zum Tempel will, würde ich ihn nicht zurückhalten wollen."
„Mutter", entgegnete Johannes, „nie werde ich dich verlassen, solange du noch lebst! Und ihr beiden Gottesdiener höret: Lieber verlasse ich den Glauben meiner Väter, ehe ich meine alte, betagte Mutter verlasse. Gerade sie gab mir das Bewusstsein: dass jederzeit und zu jeder Stunde ich aus der Güte und Liebe des ewigen Gottes und Schöpfers lebe.
Solange ich denken und urteilen kann, ist mir keine Handlung bewusst, wo ich mich meiner Mutter schämen müsste. Wenn ich aber das Leben meiner Mutter und euer Leben vergleiche, entstehen endlose Zweifel, denn wir begegnen dabei Tag und Nacht.
Ihr gebet vor, für meine Erziehung besorgt zu sein? Dies ist gelogen, ich will es euch sagen: ich bin euch zu offen und kann über eure unreinen Handlungen nicht schweigen; darum soll ich unter euren Augen zu einem Priester erzogen werden, der sich voll und ganz euren Bedingungen fügt."
„Mein Junge", sprach Joseph, „was du dir nicht einbildest, bist kaum zwanzig Jahre alt und möchtest reden wie einer von siebzig. Nie trennen wir dich von deiner Mutter - und so ihr hier verbleiben wollt, so mag es sein. Es ist unsere Pflicht, zu mahnen! Doch einsehen musst du, ganz ohne Unterricht kannst du nicht bleiben und musst dir wohl oder übel unsere Sorge gefallen lassen. Dein Vater würde auch nicht anders handeln, so er lebte, und du bist noch viel zu unreif, um recht denken und urteilen zu können. Gewiss: du tust deine Pflicht und scheust keine Gefahren, wie Bruder Sergius berichtete, aber das Schönste und Beste ist doch das, so man gehorsam ist!"
„Erinnert mich nicht daran", entgegnete Johannes, „ihr wisst, wie mein Herz brennt vor Sehnsucht, Gott dienen zu können! Aber ist der Dienst an meiner Mutter nicht Gottesdienst? Danken will ich euch mit meinem Leben, so ihr mir gebt, was nötig ist zu einem treuen, gottergebenen Sinn, doch verlangt nicht, dass ich mich mit Brocken begnüge.
Seht, meine Mutter, sie ist mir Vorbild; lasst sie mir Vorbild bleiben, damit ich die Achtung vor euch nicht verliere."
Da reichte Joseph dem Johannes die Hand und sprach: „Mein Sohn, bleibe kindlich und treu deiner Mutter ergeben; ich sehe ein, dass wir auf dem gedachten Wege nicht zum Ziele gelangen. Doch eines verlange ich von dir: achte den Tempel und seine Diener, denn es ist Gottes Werk! Und schaue nicht mit scheelen Augen auf jene, die nach deinen Begriffen nicht in der rechten Ordnung leben. So will ich dich segnen und dich der rechten Hut Gottes empfehlen."
Die beiden Priester verabschiedeten sich mit dem allgemeinen Segensgruss, aber Sergius blieb. Das unterbrochene Abendmahl wurde verzehrt. Auch Sergius nahm einen Bissen Brot und einen Schluck Milch. „Ich habe mit euch zu reden", begann dieser nach einer Weile, „denn der heutige Tag gibt mir die Veranlassung.
Mutter Elisabeth, du weisst, wie viel Dank ich dir noch schulde, als du meiner Frau in all den schweren Stunden so hilfreich nahe warst.
Dein Sohn Johannes sollte doch zur Erziehung zum Priester in den Tempel gehen. Gerne und voll tausend Freuden nehmen wir dich in meinem Hause auf und ich kann dann die grosse Schuld etwas abtragen.
Dein Mann war Priester. Ich habe ihn nicht gekannt, aber wenn er in diesem Glauben wie du stand, bist du es Gott schuldig, seinen Sohn ebenfalls Priester werden zu lassen. Du selbst lehrtest mich Gott erkennen, und ich bekenne mich auch zu Ihm, dank deiner Liebe und deiner vielen Mühen. Nun möchte ich Gott danken, indem ich dir ermögliche, deinen Sohn in den Tempel zu geben.
Du kommst zu uns und ich lasse deinen kleinen Grund aufs Beste versorgen, so dass er immer noch deinem Sohn erhalten bleibt. Jederzeit kann er zurückkehren, so ihn die Sehnsucht nach dir und der Heimat treibt."
Sprach Johannes: „Du edler Freund! Deine Liebe und dein Angebot sind wie ein Erguss kühlenden Wassers bei grosser Hitze, und ich danke dir von Herzen. Aber die Mutter kann ich nicht verlassen; wer weiss, was J e ho v a will? Und solange Sein Wille noch nicht offenbar geworden ist, bleibe ich hier. Gewiss, ich möchte Priester sein, aber Priester nach der Mutter Art.
Verstehe mich recht: ist Mutter nicht weiser denn die Priester? Und ist dir die Mutter jemals einen einzigen Aufschluss schuldig geblieben? Hier ist mehr denn der Tempel - hier ist Gott."
„Johannes", sprach Sergius, „du übertreibst. Es ist jedenfalls nicht deiner Mutter Wille, so du den Tempel herabsetzt. Es gilt zu bedenken : was wirst du tun wollen, so deine Mutter deinem Vater in die Grube folgt? Verscherze dir die Huld des Tempels nicht, mache einen Versuch. Befriedigt dich das Leben nicht, kannst du ja zurückkehren in dein Vaterhaus, und ich will dich gerne stützen nach besten Kräften."
„Dein Vorschlag ist zu überlegen“, antwortete Johannes, „lasse mir Zeit, bis ich im Reinen bin."
„Dann ist es gut, mein Johannes: Ich werde warten, bis du von selbst kommst", entgegnete Sergius, „denn du hast bis jetzt immer Wort gehalten."
Nun unterhielt sich Sergius noch eine kleine Weile mit Elisabeth, dann verabschiedete sich der Gast, und ohne nochmals davon zu reden, gingen beide zur Ruhe. Johannes schlief nicht, sondern erhob sich, kniete nieder und rang im Gebet um Klarheit. Aber stumm blieb sein Herz und immer aufgeregter gingen seine Gedanken. Endlich übermannte ihn die Müdigkeit, und er schlief im Gebetswinkel ein.
Frühzeitig erhob sich Elisabeth vom Lager und wollte ihre Andacht halten. Da gewahrte sie den schlafenden Sohn. Behutsam weckte sie ihn und geleitete ihn in seine Kammer, ohne ein Wort zu sagen. Sie wusste, er hatte wie Jakob einst im Gebet mit Gott gerungen. Nun hatte sie wieder Ursache, mit Gott zu reden und ihre ganze Sehnsucht Gott zu offenbaren, damit Johannes ein rechter und treuer Gottesdiener werde!
Im Zimmer ward es heller und heller, und als der erste Sonnenstrahl sie erreichte, hatte sie die Antwort in sich gefunden: „Dein Sohn ist erkoren zum Dienst fürs ewige Gottesreich". Nun dankte sie in heller Freude ihrem Gott und Herrn und gelobte ewige Treue.
Ehe das Morgenmahl, Milch und Brot, auf dem Tische stand, kam Johannes, begrüsste lächelnd seine Mutter und bat um den Segen für den kommenden Tag.
Feierlich war es in der Stube, als Elisabeth sprach: „Im Namen unseres ewigen Gottes überreiche ich dir Seinen Segen, damit Er dich bewahre vor grosser Versuchung, und du gewahr wirst: dass du nur aus Seinen Kräften lebst und schaffen kannst. Gott mit dir und du mit Gott! Amen."
So fing der Tag an. Johannes kannte keine Ruhe. Überall sahen seine Augen, wo es fehlte. Das Essen hätte er darüber vergessen, würde ihn die Mutter nicht gemahnt haben.
Und so ging es Tag für Tag.
Elisabeth kannte ihren Sohn; was er in sich trug, musste er allein lösen, fremde Hilfe taugte nicht für ihn.
Es war an einem Tage mitten in der Woche. Da kam überraschend Maria von Nazareth mit ihren beiden Söhnen Jakob und Jesus.
Der alte Joseph hatte mit seinen Söhnen in der Gegend eine Arbeit übernommen. Diese Gelegenheit wurde benützt, Elisabeth und ihren Sohn zu besuchen.
Es vergingen Jahre, ehe sie sich einmal sahen, da Joseph die Mühe zu gross wurde, regelmässig nach dem Rechten zu sehen. Auch diesmal blieb er in dem Orte seiner Arbeit und schickte Maria mit den beiden Jüngsten zu Elisabeth.
Wie gross war die Freude auf beiden Seiten, auf welche aber bald ein Schatten fallen sollte. Jesus war merkwürdig schweigsam geworden und gab auf Befragen nur kurze Antworten. Einmal verliess Er sogar die Stube. Und Jakob winkte Johannes zu sich und bat: „Komm, wir wollen Jesus nicht allein lassen, Er macht uns allen in der legten Zeit viel Sorgen."
So gingen beide Jesu nach.
Elisabeth war betroffen; ihre feinsinnige Art empfand, hier stimmt etwas nicht. So fragte sie Maria: „Was ist mit Jesu, deinem Sohn?"
Da fing Maria an zu weinen, bettete ihren Kopf an Elisabeths Brust und sagte: „Wenn du nur wüsstest, wie eigensinnig Er seit den legten Monaten geworden ist.
Kommen die Mädchen zu mir, um Stick- und Handarbeiten zu lernen, verlässt Er die Stube. Wird gelacht und gescherzt, schaut Er uns alle mit grossen Augen an, schüttelt den Kopf und geht von dannen. Gott allein weiss, wo Er hingeht! Zu erfahren ist kein Wort von Ihm.
Gibt der alte Vater Joseph eine Belehrung, oder die anderen Söhne, so gibt Er gewöhnlich zu verstehen, dass Er dieses längst weiss. Wir hätten Ihn gerne zu einem Rabbi gegeben, da sagte Er: Da bin ich lieber bei wilden Tieren im Gebirge! Kurz und gut, ich bin fast am Ende meiner Kraft."
Da sagte Elisabeth: „Meine Tochter Maria, wie kommt es, dass du verzweifeln willst? Habt ihr die Gnaden und Führungen des ewigen Herrn und Gottes vergessen? Eben weil eure Hoffnungen auf Jesus sich nicht erfüllten, bist du gebrochen und haltlos. Wie trägt es denn Joseph, dein Mann?
Nie und nimmer werde ich vergessen, als du, noch fast ein Kind, zu mir kamst und das Kind unter meinem Herzen sprach: ,Öffne schnell, die Mutter meines Herrn begehrt Einlass!'
Siehe, die Jahre haben mich alt gemacht, aber meinen Gottesglauben machten sie jung.
Auch ich sorge mich um Johannes. Der Tempel wünscht ihn als Priester, schon seines Vaters wegen, aber Johannes will nicht, ich bin ihm alles. Dabei besitzt er einen Eigenwillen, der nur durch zarteste Liebe gelenkt werden kann. So lass dir noch eines sagen: wir Mütter lieben zu einseitig, darum muss Jehova wachen und seine Diener beauftragen, Hüter über den Geist zu sein, der unsere Söhne beseelt. Ich gäbe ihn gerne in den Tempel."
Maria: „Mutter, für Jesum wäre es das grösste Unglück, so Er in den Tempel käme! Denn Seine Schweigsamkeit ist geradezu beängstigend. Redet Er aber, so ist es zu einer Zeit, wo es am allermeisten gebraucht wird; und was Er spricht, bohrt sich tief in die Seele. Der Jammer des alten Joseph drückt mir manchmal das Herz wund. Was soll bloss werden?"
„Abwarten, ruhig abwarten, meine Tochter", sprach Elisabeth. „Gott lebt und ist noch Hüter in Israel. Er kennt die Seinen und hält Treue Seinen Getreuen. Meine Gebete sind erhört, und ich weiss bestimmt: mein Sohn ist erkoren zum Dienst fürs Gottesreich!"
„O meine Mutter, da würde dich Jesus fragen: zu welchem Gottesdienst ist er erkoren? Und Er würde dir weiter sagen: Was du glaubst, ist wohl gut, aber durch deinen Glauben allein ist dein Sohn noch lange kein Tätiger für das Gottesreich. - So ist es immer; nie ist es recht - und alle meine Mühe scheint vergebens zu sein."
„Tochter, murre nicht! Bis jetzt hat eine jede Prüfung und Leidenszeit ihr Ende gefunden und eine wunderbare Löse."
Jetzt kamen Jakob und Johannes wieder herein und Jakob sagte zu Maria: „Siehst du, wie recht meine Ahnung war! Jesus will lieber allein sein, als in eurem Alltag weiter zu verbleiben. Wenn die Zeit für Ihn gekommen ist, kommt Er von selbst."
„Wo ist denn Jesus?", fragte Elisabeth. Da antwortete Johannes: „Draussen am Bach und siehet zu, wie sich die kleinen Fischlein sonnen. Er sagte gleich, wie wir kamen: Wenn ihr kommt, um Mich zu holen, da seid ihr umsonst gekommen, Mir ist bei den stummen Fischen wohler als in der Stube, wo sie die Zungen wetzen und das Leben im Herzen beengen.
Ich frug Ihn: Wie meinst Du das? Ich kann Dich nicht verstehen. Überhaupt: wo wir uns so freuten über euren seltenen Besuch, ist Dein Benehmen keine Art.
Da antwortete mir Jesus: Johannes, dich kümmere ja nicht Mein Benehmen, da Ich Selbst jede Verantwortung über Mein Tun übernehme und Mein eigener Herr über Mich sein will. Es wäre dir bedeutend besser, so du gleich wie Ich klar würdest über deine innere Gestaltung und deinen Lebensgrund. Gehet heim, und lasset Mich allein."
So liessen wir Jesum allein. Ich frage dich, Mutter, was sagst du dazu?"
„Kind", antwortete Elisabeth, „was soll ich sagen als nur: Jesus muss Gründe haben; denn um uns Kummer zu bereiten, tut Er es nicht. Jehova möge uns erleuchten, um Jesus verstehen zu lernen!"
„Mutter", sprach Johannes, „dies klingt ja, als wenn du Jesum in Seinen Anschauungen unterstützetest? Mich möchtest du gern in dem Tempel sehen und nach einem Schema erziehen und schulen lassen, welches gerade das Gegenteil von dem ist, was Jesus will."
„Beruhige dich", antwortete sanft Elisabeth, „du bist ja auch nicht Jesus! Ich fühle, Er ist zu Grossem ausersehen und wird einst als ein Herr über Grosses regieren.
Wo Engel Sein Kommen verkündeten und Jehova über Ihn besonders wacht, dürfen wir Seine Entwicklung nicht hemmen, sondern müssen Ihn fördern helfen, damit wir frei bleiben von dem Vorwurf, wir haben Gottesziele gehemmt."
In diesem Augenblick kam Jesus zur Türe herein und sprach: „Nun kann Ich wieder unter euch bleiben, da nun der Boden gereinigt ist, auf dem wir uns bewegen. Dir aber, Elisabeth, sage Ich noch: Mit deinen Worten stärktest du Meine Seele, und dereinst wirst du es erfahren, welch grossen Dienst du Mir geleistet hast."
Sprach Elisabeth: „JesusI Ich glaube Dir, doch sage selbst, wie kannst Du es mit Deinem Kindesdank vereinbaren, so Du Deinen Eltern solch unsagbaren Kummer bereitest? Sie haben Dich über alle Massen lieb und derlei nicht verdient."
Antwortete Jesus: „Ein Mensch, der seine zu erfüllende Aufgabe erkennt und sie nicht erfüllt, verletzt Den, der ihn dazu berufen hat; denn um die Aufgabe zu erfüllen, bekam er auch die Mittel mit auf den Weg!
Freilich liegen die Mittel nicht offen vor aller Augen, sondern sind gebettet in den Tiefen unserer Seele! Der in uns wohnende Geist aus dem Urgeist wartet sehnsüchtig des Augenblickes, wo er seinem Träger all die Geheimnisse seines Innenlebens offenbaren kann!
So nun der Mensch in der Stille seines Herzens gelernt hat, den Offenbarungen seines eigenen Geistes aus Gott in aller Ordnung zu lauschen, wird er auch der Mittel gewahr, die sein Gott und Schöpfer ihm gegeben hat. Erkennt er nun die Gnade und glaubt diesen in ihm gewordenen Wahrheiten, sieht er nur noch das Ziel.
Ich bin nicht da, um Leid zu bringen, sondern um das Leid auf eine Stufe zu stellen, die es heiligt! Tausendmal tiefer liegt das Leid in Mir und Ich muss es ganz allein tragen, weil sich noch niemand fand, der es mit Mir teilte.
Wenigstens einen Helfer zu haben, der Mich stützete, wenn Ich schwach werden will, wäre Mir Wonne und Seligkeit; aber auch auf diesen habe Ich gelernt, zu verzichten, da Ich weiss: es kann und darf nicht sein, da Mein in Mir wohnender Geist aus Gott sich erst verbinden muss mit dem Urgeist, der das ganze All erfüllt. Darum: verstehet Mich - und haltet Mich nicht auf."
„Grosser und ewiger Gott", rief Elisabeth entsetzt aus, „wer hat Dir denn diese Ideen in den Kopf gesetzt? Dies hat ja kein Prophet oder frommer Diener Jehovas geäussert. Bedenkst Du nicht, lieber Jesus, dass Du Dich bis ins Unendliche verlierst? Genügen Dir die Gnaden und Verheissungen des ewigen Gottes nicht? Erfülle Deine Pflicht und bleibe auf dem Boden echter Natürlichkeit."
Jesus: „Eben, weil Ich dieses will und muss, muss Ich Meinen Weg gehen, sonst würde Ich Mich verlieren. Je eher Ich Mich ganz eins fühle mit Gott, dem Ewigen, und je williger Ich Meinen Willen ganz dem heiligen Willen Gottes unterordne, habe Ich Mich ganz gefunden - und dann gibt es nichts Fremdes mehr in Mir. So ihr aber wissen wollet, woher Mir dieses Wissen kam, kann Ich nur sagen: Dieses fand Ich in Mir selbst - und Keiner ist Mir Ratgeber gewesen. Ja, noch mehr sage Ich euch: Mein Leben ist Mir nichts, und gerne will Ich es für die Idee opfern, weil die Erfüllung Meiner Aufgaben das Leben aller Menschen ist."
„Höre auf, Jesus", sprach nun Elisabeth, „mir wird bange vor Deinen Reden; und wenn man Dich ansieht, fürchtet man sich vor Deinem Ernst. Ist es denn schon einmal vorgekommen in der Geschichte des Volkes Israels, dass ein junger Mann wie Du sich so in seinen Ideen verrannt hat?
Ich bin alt und grau geworden und die Jahre haben meinen Leib müde gemacht, aber bis heute habe ich mich immer mit dem begnügt, was mir Jehova durch Seine Diener reichte. Und was das Schönste ist: ich habe mich wohlgeborgen gefühlt im Schutze des ewigen Gottes."
Sagte Jesus: „Elisabeth, weit entfernt ist Mir der Gedanke, dich anderen Willens und Glaubens zu machen; aber es beweist immer wieder, wie wenig du Gott kennst! Wohl stehst du in Treue und tiefer heiliger Ehrfurcht mit deinem Gott in Verbindung und wagst keinen Gedanken weiter, als dir das Gesetz vorschreibt, aber nun sage Mir: Warum hofft und erwartet ihr einen Erlöser oder Messias? Die Zuchtrute der Römer kann es nicht allein sein, da diese Erwartung schon lange vor der Machtergreifung der Römer in den Herzen aller echten Juden lebte.
Was würdest du wohl sagen, so dir gesagt würde, dein Sohn ist berufen zum Schrittmacher für den kommenden Erlöser? Würdest du dich auch sorgen und grämen, so er sich vorbereitet auf seine neuen Aufgaben? Nicht umsonst frage Ich dich im Beisein deines Sohnes Johannes."
„Lieber Jesus", entgegnete Elisabeth, „vor Deiner Gedankenschärfe muss ich schweigen; ich bin ein Weib und Schweigen gewöhnt; so aber Gott Johannes braucht, hat er meinen mütterlichen Segen. Es wird für mich das grösste Glück sein, meinen Sohn ganz im Dienste Gottes zu wissen. Doch nun nichts mehr davon. Ich muss mich um das Mahl kümmern und du, Tochter, hilfst mir doch, da doch auch Joseph mit den Söhnen kommen wird."
Nun waren die drei allein. Johannes hatte keine Ruhe. Endlich sprach er: „Brüder, welch Leben führt ihr in Nazareth? Du, Jakob, bist in Sorge, und Du, Jesus, lebst in einem Eifer, für den ich teilnahmlos bin. Habt ihr doch euren Erwerb in eurem Handwerk, wogegen ich in die Schule der Templer soll. Warum seid ihr nicht zufrieden? Ich selbst habe nur den einen Wunsch: meine Mutter so zufrieden wie möglich zu machen."
Schweigend sah Jakob seinen Bruder an, dann sprach er zu Jesus: „Siehest Du wieder? Überall dieselben Reden, überall dasselbe Verlangen."
Antwortete ganz sanft Jesus: „Jakob und Johannes: ist es denn so schwer, nur ein einziges Mal Mich ganz zu verstehen? Wollet ihr nicht einmal versuchen, das Althergebrachte und Anerzogene ganz beiseite zu legen und euch auf den Boden zu stellen, auf dem Ich stehe?"
Jakob: „Mein Bruder! Wenn Du so zu mir sprichst, da bin ich ganz der Deine und gehe, wenn es gilt, für Dich in den Tod. So ich aber Vater und Mutter leiden sehe, möchte ich ihnen auch helfen, und dann bin ich gegen Dich. Wahrlich, es ist mir kein Leichtes: hier Vater und Mutter — und da bist Du!"
Jesus: „Bleibe dort, wo dich deine Liebe hintreibt, mein Bruder Jakob, aber bemühe dich weiter, Mich ganz zu verstehen."
Zu Johannes aber sprach Er weiter: „Du aber, Johannes, durftest heute tiefer schauen und hast einen Einblick erlebt, der dir bestimmt zum Segen gereichen wird. Wie du schon hörtest, handelt es sich um die Einung Meines eigenen Geistes mit dem urewigen Gottesgeist; denn ohne diese kann Ich Meine Mir gestellte Aufgabe nicht lösen. Es kommt jetzt nicht in Frage, wann und wie Ich die Einung erlange, sondern: glaubst du überhaupt, dass dieses möglich ist? Gerade an dich stelle Ich diese Frage, denn wir beide gehören zusammen, um gemeinsam ein Werk zu schaffen, das der Erde und ihren Bewohnern zum ewig bleibenden Wert und Segen wird! Siehe, du weisst, wer Ich bin, kennst Meine geheimnisvolle Geburt von deiner Mutter her zur Genüge, und doch bringst du kein Verlangen auf, Mich ganz kennenzulernen ?
Komm mit nach Nazareth und bleibe eine Weile bei uns, es ist dir besser, in Meiner Nähe als im Tempel bei seinwollenden Gottes-Dienern."
Überlegen lächelte Johannes und sprach: „Jesus, Dein Verlangen ist mir unmöglich zu erfüllen, da ich mir nicht überdenken kann, warum nur und wozu. Was Du mir sagst von Deinen Aufgaben, wird Mir immer ein Fremdes bleiben; es genügt mir voll und ganz, so ich in die Fussstapfen meines seligen Vaters trete und will lieber den Anweisungen der mich belehrenden Priester Folge leisten!
Was Du erzählst von Einung Deines Geistes mit dem Gottgeist, ist mir viel zu hoch. Dann stehe ich auf dem Standpunkt, voll und ganz meiner Kindespflicht zu genügen, deren Ausübung mich jetzt ganz erfüllt!
Jesus, Du kannst mir glauben, ich müsste mich zu Tode schämen, so ich mir sagen müsste: ich habe den einzigen Menschen, der mich über alle Massen liebt — und das ist meine Mutter —, vernachlässigt und bin meinen eigenen Wünschen nachgegangen! Ich will dir keinen Vorwurf machen, aber deine Mutter ist deinetwegen unglücklich!"
„Ja, du hast recht, muss Ich dir sagen", antwortete nun Jesus, „weil du menschlich und nach den Begriffen dieser Welt urteilst. Könntest du dich aber hineinleben in Meine Liebe, in Meine Sehnsucht, überhaupt in den ganzen Aufgabenkreis Meiner inneren Welt, du würdest dieses Wort nicht zu Mir gesprochen haben. Ich will dir keinen Vorwurf machen, da du es nicht anders weisst; aber, lieber Johannes: hast du dir überlegt, was du eigentlich willst?
Zu Templern würdest du gern in die Schule gehen? Warum nicht zu MIR? Siehe: der Tempel vertritt das Wort - Ich aber den Geist. Dort wird und kann dir kein Beweis ewig wahren Gotteslebens gegeben werden, weil das Gotteswort zu einem Gesetz geworden ist. Ich aber erlebe täglich die Beweise ewig wahren Gotteslebens, weil über allem Gesetz Der steht, der das Leben ist.
So Ich aber dieses Leben erfahre und in Mir erlebe, es Mich immer mehr anfeuert, nicht nachzulassen, sondern es immer intensiver zu ergreifen, brauche Ich da noch eine andere Schule?
Johannes, merke dir für alle Zeiten: nie wird dich das Leben erfassen, so du es nicht mit allem Eifer suchst!! Bist du aber vom Leben aus Gott ergriffen, dann wirst du es schwerlich je verlieren können. Wer dem Gesetz dient, wird vom Gesetz belohnt - und meistens ist das Ende unbefriedigend. Wer aber dem Leben aus dem Leben dient, hat das Leben und alles wird Leben!"
„Hör auf, Jesus", rief Johannes entsetzt, „das kann verstehen, wer will. Mit diesem Deinem Wollen und Wünschen wirst Du wenig Freunde erwerben. Wenn ich Dich auch nicht verstehen und den Sinn Deiner Worte nicht erfassen kann; eines aber weiss ich seit heute: Du bist ein Träumer, ein Schwärmer, und diese muss man gehen lassen!
Freue Dich mit uns, weil wir uns sehen und sprechen können, aber bleibe mit Deinen Zielen in Nazareth, dort ist man Deine Träume und Phantasien schon gewöhnt. Mich ärgert immer der Mensch, der da glaubt, im Himmel zu leben, und auf der Erde vergisst er seine nächsten Pflichten. Du kannst mir noch so viel von hohen Aufgaben und grossen Zielen reden - mich erwärmst Du doch nicht, da mein Ziel und meine Aufgabe Pflichterfüllung, äusserste Pflichterfüllung heisst; denn höchste Pflichterfüllung ist auch höchste Gesetzes-Erfüllung."
Jesus sah lange Johannes, dann Jakob an und sprach: „Nicht in Rechthaberei sollte unser Austausch ausarten, da Meinungen und Ansichten noch kein Leben sind.
Nun mag die Wirklichkeit in Erscheinung treten, und jeder mag sehen, wie weit er gereift und gerüstet ist. Vor uns liegen noch das Leben, die Aufgaben und das Ziel. Erreichung alles dessen ist aber nur möglich durch härtesten Kampf und unbeugsamen Willen.
So gehe jeder seinen Weg, Ich werde und muss den Meinen gehen. Doch vor dem Ziele, Bruder Johannes, treffen wir uns wieder!"
Die Frauen in der Küche hörten wohl, was die drei jungen Menschen redeten, wagten aber nicht, zu ihnen in das Zimmer zu gehen, da ihnen die Unterhaltung zu ernst und wichtig war. Nun aber glaubten sie den rechten Zeitpunkt gekommen.
So trat Elisabeth zu ihnen und sagte: „Nun, schon fertig mit eurer Unterhaltung? Und seid ihr denn einig geblieben? Denn du, Johannes, hast ja getan, als wenn du zu Hunderten gesprochen hättest."
„So schlimm wird es nicht gewesen sein", antwortete Johannes, „aber mit Jesus hast du es nicht mit Hunderten, sondern mit Tausenden zu tun. Er trägt in sich einen Willen und eine Kraft - - ich wollte, ich hätte einen Teil davon!"
Sprach Elisabeth zu Jesus: „Du kannst Dich freuen, so Johannes Dich lobt; denn dies hört man von ihm ganz selten, aber umso häufiger ist sein Tadeln."
„Lass nur gut sein, Mutter Elisabeth", sprach Jesus, „alles braucht seine Zeit. So, wie dein Mahl zur Herrichtung seine Zeit braucht, ehe es auf den Tisch kommt, so braucht auch eine jede innere Entwicklung ihre Zeit, ehe sie mit Erfolgen hervortreten kann.
Was du je in deinem Erdenleben erreicht hast, ist eine Folge deiner Gesinnung, deiner Gottesergebenheit und hast dir alles erbeten können! Kannst du aber glauben, dass es auch Menschen geben könnte, die in sich fühlen, schauen und erleben, dass sie berufen sind, zu geben?
Um dir diesen Beweis zu geben, sage Ich dir: gehe in deine Küche und erlebe nach aussen, was Ich nach innen erlebte!"
Ohne ein Wort zu entgegnen, gingen Elisabeth und Maria in die Küche und blieben vor Staunen an dem Anrichtetisch stehen: Elisabeth hatte sieben kleine Brote gebacken, diese aber waren siebenmal grösser geworden ohne irgendein Zutun. „Was ist denn geschehen und wie ist denn dieses nur möglich", rief sie. „Sind denn Elias' Zeiten wieder angebrochen?"
Sprach Maria: „Mutter Elisabeth, dies hat Jesus fertiggebracht, wie schon immer. Wenn wir nichts mehr anfangen konnten mit Ihm, war irgend etwas Grosses in Erscheinung getreten, so dass wir unsere Gedanken und Reden auf das Neuerlebte lenken mussten. Aber in Erfahrung bringen, warum und wozu, das war uns nicht möglich."
„Wir wollen mit Jesus sprechen", antwortete nun Elisabeth. „Warum Umwege gehen, wenn es geradeaus möglich ist?"
In der offenen Türe stehend, sprach sie: „Johannes, komm und sieh, was Gott uns tat. Sieben kleine Kuchenbrote habe ich gebacken und jetzt sind sie wenigstens siebenmal grösser! Was sagst du denn dazu?"
Johannes schaute in die Küche und sprach lächelnd: „Mutter, mache doch kein Aufhebens, du hast sie so gross gebacken, sie sind nur grösser ausgefallen als sonst und du denkst nun gleich an ein Wunder."
Elisabeth mahnte Johannes: „Hast du vergessen, was Jesus zu mir sagte? Gehe in die Küche und erlebe nach aussen, was Ich in Mir erlebe. Willst du diesem Geschehen gleichgültig gegenüberstehen? Hier hat Gott uns ein grosses Zeichen erleben lassen - wie den Elias."
Zu Jesus sich wendend, sprach sie: „Jesus! Du kannst uns rechtes Licht geben über dieses Wunderzeichen, denn Du wusstest davon, ehe ich es sah; darum Dein Ruf: Gehe in die Küche!"
Antwortete Jesus: „Mutter Elisabeth! Wie kommt es, dass dir Gottes Allmacht und Güte geheimnisvoll erscheinen? - Weil du Verstehen suchst mit Mir, so höre: Deine Liebe tat Meinem Herzen so wohl; es war wie ein Ausruhen an deinem Herzen. Da rief Ich in Mir zu der ewigen Gottesliebe, die Ich so lebendig fühle, und bat sie um Kraft, dich zu erfreuen. In diesem Augenblick war auch Meine Bitte erfüllt und Ich sah deine gesegneten Brote. Ich glaubte diesem Meinem Geschauten und Erlebten in Mir, und so weisst du nun alles Weitere."
Antwortete Elisabeth: Jesus, ich will nicht drängen, mir mehr zu sagen; denn Du hast Gründe, die Du nicht äussern wirst. Aber eines sage ich Dir: wäre ich so alt wie Du, nie würde ich Dich aus meinen Augen verlieren und würde vergessen, dass ich Weib bin, denn in Dir ist mehr denn Moses und Elias."
Da erschien nun noch Joseph mit seinen anderen Söhnen und bat um Quartier. Es wurde alles lebendig, und erst beim Mahl erzählte Elisabeth den Männern das grosse Brotwunder. Jesus schwieg zu allem.
Es schmeckte allen so gut, dieses einfache Essen, Brot und Milch; und nach dem Mahl gab es so viel zu erzählen zwischen Elisabeth und Joseph.
Die Söhne Josephs waren froh, das Lager aufsuchen zu können, welches Johannes bereitet hatte, Und so kam es, dass nicht mehr viel gesprochen wurde.
Ehe Joseph sein Lager aufsuchte, sagte er zu Elisabeth: „Mit Jesus kommen wir am besten aus, so wir Ihn gewähren lassen; aber unser eigener Verstand, unser ganzer Wille wehrt sich ganz gewaltig dagegen! Ich kann Ihm hundertmal vorhalten, das ist nicht recht von Dir, so gibt Er mir neunundneunzigmal recht, um beim hundertsten Male mir den Boden unter meinen Füssen wegzuziehen. So stehe ich dann da mit meinem Zweifel in der Brust."
„Joseph, wir sind alt geworden und werden bald zu unseren Vätern gehen, darum verstehen wir die Jugend nicht mehr recht. Dir aber versichere ich noch: In Jesus sucht Gott Sein Volk heim - hier ist mehr denn Moses und Elias. Er ist wie Michael, der seine Zeit abwartet, um das glühende Schwert zu erheben gegen die Feinde Gottes. Ergib dich in Gottes Willen! Ich glaube an die Aufgabe eures Jesus."
„Lass gut sein", sprach Joseph, „niemand kennt die Last, die ich trage. Dass ich noch nicht zusammengebrochen bin, danke ich nebst Gott Maria, meinem Weibe. Wie sie es aber tragen wird, wenn ich nicht mehr sein werde — ist eine neue Sorge. Es mag Gott helfen, und Seine Güte und Fürsorge möge abwenden, was uns zum Unheile ist."
So ging man zur Ruhe. —
Auf dürftigem Lager ruhend, verging rasch die Nacht und beim ersten Grauen des werdenden Tages bereitete Elisabeth das Frühmahl, Suppe aus Milch und Brot. Als einzige schlief sie nicht! Vor ihren Augen stand Jesus mit einem tiefernsten Blick in Seinen hellen Augen. Da segnete sie immerfort den vor ihren geistigen Augen stehenden Jesum.
Bald erschienen die Söhne, auch Johannes. Ein Lobgesang ertönte von ihren Lippen, und so wurde der neue Tag geweiht.
Der alte Joseph war gerührt von dieser Harmonie - und laut betete er: „Grosser Gott und urewiger Schöpfer, singend begannen wir diesen Tag, den Du uns in Deiner ewigen Güte neu geschenkt hast. Lasse uns nicht vergessen, dass wir Dir den schuldigen Dank bringen und gib uns allen zu unserem Tun und Schaffen Deinen Segen. Segne dieses Haus und alle, die ein- und ausgehen, auf dass Dein Werk bleibe und zeuge von Dir. Amen."
So segnete nun Joseph die Speise, und ruhig wurde das Mahl beendet. Ohne viel zu sagen, gingen alle, ausser Maria, nach ihrer Arbeitsstelle, wo sie gedachten, an diesem Tage fertig zu werden.
Aber Johannes hatte keine Ruhe. Immer zog es ihn hin zu Maria, und diese fühlte, Johannes trägt etwas auf dem Herzen.
Als Maria mit Elisabeth die Küche und Wohnstube gesäubert hatte, kam Johannes und grüsste freundlich, fast demütig. Herzlich erwiderte Maria den Gruss und sagte: „Johannes, du bist nicht frei, was bedrückt deine Seele und was verdunkelt dein Gemüt? So es an mir liegt, will ich dir gerne helfen."
Sprach Johannes: „Wie kannst du mir helfen, da du selber Hilfe brauchst; denn mich bedrückt und bekümmert dasselbe wie dich, nämlich Jesus. Du musst Ihn ja kennen. Er ist doch dein Sohn."
„Johannes", antwortete Maria, „die Sache, die dich bedrückt, liegt aber anders als bei mir; denn wir haben täglich Umgang mit Jesu, während du Ihn fast nicht siehst und nicht sehen willst. Wir können uns nur mit der Art, wie Er sein Ziel verfolgt, nicht vertraut machen; denn ich versichere dir, es kann keinen gehorsameren und willigeren Sohn geben als den meinen. Du hast gestern Seine zu lösenden Aufgaben vernommen! Wir sind davon wie ausgeschieden, während Er dich zu gewinnen sucht. Er verlangt von uns nur Verstehen, von dir aber Mithilfe! Weiter vermag ich dir nichts zu sagen, da es für dich übergenug ist."
Johannes kam ganz nahe an Maria heran und sprach: „Wie klingen deine Worte? Jetzt nimmst auch du Jesum in Schutz? Und warum hat Er gerade mich bedacht, dass ich mit Ihm gehen soll?
Weisst du, mit Träumern und Phantasten kann ich nicht gehen; meine Natürlichkeit und mein Verstand wehren sich dagegen. Was ich gestern von Ihm hörte, mag gut und schön sein, aber es ging zum einen Ohr hinein und zum anderen wieder hinaus."
Maria: „Johannes, warum betrügst du dich selbst und willst Den ausschalten, Den dein Herz sucht? Wenn du Jesum einen Träumer und Schwärmer nennst, so bist du in grosser Irre; denn eben Seine Natürlichkeit, Seine Gründlichkeit und vor allem Sein Bestreben, ja Sucht möchte ich es nennen, nach Ordnung bringt uns ja in Zwiespalt mit Ihm.
Wenn ich dir raten darf, suche mit Jesu eins zu werden. Er weiss, was Er will, und weiss auch, was Er von den Anderen fordert!"
„Dies ist mir unmöglich zu glauben", entgegnete Johannes, „wenn Er Ordnung sucht, so mag Er bei euch im Hause sich der Ordnung einfügen und nach aussen ein Bild bester Harmonie geben. Lieber würde ich ein Glied meines Leibes opfern, ehe ich meiner Mutter Kummer machte!
Und was mich meine Mutter lehrt, ist so gut, als wenn es mich Gott lehrte!
Seit wann ist es denn Sitte, dass die Kinder die Eltern lehren? Diese Ideen sind ja geradezu zum Hochmut führend."
Entgegnete Maria, ganz sanft: „Lieber Johannes, sprich diese Worte nie mehr in deinem Leben; denn damit baust du eine Wand zwischen dich und Jesum. Gehe mit dir zu Rate, nimm an, was du für recht und wahr findest, und lasse hinter dir liegen, was dir nicht zusagt. Denn würdest du ahnen, mit welchen Gedanken sich Jesus beschäftigt, du würdest diese deine Worte tief bereuen.
Prüfe dich recht und glaube meinen Worten! Denn ich, seine Mutter, habe manche Nacht im Gebet gerungen, habe gefleht um Klarheit; aber das Herz wollte immer etwas anderes, als Gott uns zugedacht hat.
Wie oft habe ich mit Engeln verkehren dürfen, habe manche wunderbare Belehrung als grösstes Wunder angesehen; doch in der Herzensnot musste ich lernen, ganz auf eigenen Füssen zu stehen und auf die Liebe Gottes zu vertrauen!
Es ist mir und dem alten Joseph nicht immer gelungen, es gab so manchen bitteren Kampf, es gab aber auch manchen wunderbaren Segen. Nie haben wir Not zu leiden brauchen und manchen Armen durften wir beglücken und manchen Hungrigen speisen."
Entgegnete Johannes: „Einen besseren Anwalt wie dich und meine Mutter kann Jesus nicht mehr finden!
Es fehlte nur noch, dass meine Mutter sagt: Ziehe mit Jesu und den Seinen nach Nazareth, denn der Tempel ist nun überflüssig geworden."
Elisabeth hörte die zulegt gesprochenen Worte und sagte: „Johannes, es wäre bestimmt kein Fehler, so du dieses glauben könntest; denn in den wenigen Stunden habe ich Jesum wirklich lieben gelernt."
Antwortete Johannes: „Mutter, ich möchte wissen, wen du nicht lieben könntest; denn in deinen Augen gibt es keinen schlechten Menschen und lieben würdest du letzten Endes auch noch den Teufel und Vater aller Laster.
Es mag diese eure Rede für Jesum gut sein, mir aber habt ihr einen schlechten Dienst erwiesen; denn nun weiss ich wirklich nicht mehr: bin ich oder seid ihr die Betrogenen. Es ist besser, ich gehe an meine Arbeit und suche Futter für unsere Tiere!"
Elisabeth strich Johannes über das Haupt und sagte: „Johannes, tue, was dich recht dünkt, aber bedenke, das Herz muss zu leiten sein. Es ist bedeutend besser, verkannt zu sein, als auf falschen Wegen wandeln."
Johannes liess beide Frauen stehen und eilte mit schnellen Schritten hinaus; jetzt wurde er irre an sich. Dass sein gerader Sinn ihm nicht die rechte Sicherheit gab, machte ihn direkt unruhig! Noch nie ging er ohne Abschied von seiner Mutter, aber heute ging ihm alles gegen seinen Willen.
Er ging nach dem Stall, nahm die Sichel und ging mit schnellen Schritten, als ob er die Reue fürchtete, nach dem nahen Wäldchen, welches dem Nachbar Sergius gehörte.
Dieser sah ihn schon von weitem kommen und winkte ihm, ja nicht vorüberzugehen. So begegneten sie sich, und überaus herzlich war der Gruss, den Sergius ihm entgegenbrachte.
Bald merkte auch Sergius, dass mit Johannes etwas nicht stimmte, darum sagte er:
„Aber Johannes, das bin ich durchaus nicht gewöhnt, dass du tust, als wenn dir an meiner Gesellschaft nichts liege. Ich wollte dich bitten, mit nach meinem Stall zu kommen, um das Tier anzuschauen, welches gestern so bös zugerichtet wurde, durch deine Hilfe aber ganz gut abgekommen ist. Ich habe getan, was ich konnte, ich werde es erhalten können."
„Mir ist es recht", antwortete Johannes; „denn ich brauche sowieso eine Anregung zu irgend etwas; ich bin ganz verwirrt in meinem Kopfe. Ich verstehe seit heute meine Mutter nicht mehr."
„Aber Johannes, du", entgegnete Sergius, „wo du deine Mutter wie einen zweiten Gott liebst? Was hat es denn gegeben? Da muss sofort Ordnung gemacht werden!"
„Hat seine Ordnung", erwiderte Johannes, „eben um die Ordnung dreht sich der ganze Sachverhalt. Verwandte aus Nazareth, welche seit gestern bei uns weilen, haben mich ganz aus dem Geleise gebracht."
„Dich, Johannes, der du die Überlegenheit immer selber warst, du bist unsicher geworden? Dies freut mich, hast du mir wenigstens einmal den Beweis gegeben, dass du auf keiner anderen Stufe stehst
als ich. Aber lass hören. Was ist geschehen? Du weisst, ich habe dich lieb wie meinen einzigen Sohn."
Johannes sprach: „Sergius, ich weiss, du hast mich gern und würdest meine Mutter und mich so gerne in dein Haus aufnehmen. Es hat aber nicht Not, da uns Gott, der Herr, immer zu leben gab.
Gestern nun, wo Jesus von Nazareth mit Seiner Mutter bei uns Einkehr hielten, kamen wir hart zusammen.
Jesus vertritt ein Leben, welches sich von innen heraus gestalten soll nach dem Gott, mit dem Er eins werden möchte! Ich aber weiss, dass Gott durch Seine Diener mir reicht, was da nötig ist, um ganz in der Ordnung Gottes zu leben!
Jesus gibt an, Seine Aufgaben und Ziele zu kennen, und verfolgt rücksichtslos gegenüber seiner Umgebung das zu erhoffende Ziel, während ich nach Seinen Worten mich verliere, so ich nicht die Verbindung mit Gott IN MIR suche.
Du weisst, was mich meine Mutter immer lehrte: treu, gewissenhaft und pflichtbewusst zu werden, da das Gebot aus Gott dieses unbedingt verlangt.
Jesus weiss dieses auch, kehrt sich aber nicht daran und sucht, auf Seine Weise Gott zu gefallen.
Nun vertritt Mutter auf einmal diesen Jesum und mahnt mich, ich solle mich ja an Jesum halten! Mit anderen Worten: ich darf genau wie Er nach Seiner Art Gott dienen!"
Sprach Sergius: „Johannes, nach deinen Reden kann ich mir kein rechtes Bild machen; aber ich glaube, Jesus wird schon wissen, was Er will! Es ist allerhand, so ein Sohn höchst achtbarer Eltern eigene Wege geht und sucht Verbindung mit Gott.
Gehe zu einem Rabbi und lege ihm deine Not ans Herz, er wird dir antworten, dass für ihn bzw. den Tempel schon etwas Gutes herausspringt.
Auch ich liess dich immer in dem Glauben, dass es für den Menschen das Höchste ist, so er einen Ort sein eigen nennt, wo er sich mit Gott verbinden kann.
Wenn Jesus in sich den Drang fühlt, in Seinem Herzen das zu fühlen und zu erleben, was der andere im Tempel fühlt und erlebt, da brauchst du nicht verwirrt zu werden, denn es gab zu allen Zeiten solche Sonderlinge."
„Sergius, du müsstest Jesum kennenlernen! Der wird dir aber deine Meinung korrigieren, denn höre: Jesus ist kein Sonderling, sondern ein Ausnahmefall, wie ich noch von niemandem hörte; denn Er hat es fertig gebracht, meine Mutter so zu verwirren, dass sie glaubt: Jesus habe aus sieben kleinen Kuchenbroten siebenmal grössere gemacht!"
„Du machst mich neugierig, mein Johannes", entgegnete Sergius, „kann ich diesen Menschen nicht kennenlernen? Es würde mir grosse Freude machen, so ich mit Ihm mich unterhalten könnte."
„Das wird sich ermöglichen, da ich nichts hörte, dass sie nicht wiederkommen wollten; sie wollten heute gerne ihre Arbeit fertig stellen“, antwortete Johannes.
„Wenn dies so ist, so komme ich vor Sonnenuntergang zu deiner Mutter", versicherte Sergius; „nun aber komme zu mir in mein Haus, du bringst noch genug Futter fertig."
Es geschah. Nach dieser Besichtigung ging Johannes seiner Beschäftigung nach und brachte gegen Mittag ein grosses Bündel Futter heim.
Inzwischen hatten Maria und Elisabeth über noch viele Dinge gesprochen; so frug Maria: „Wie verlebt denn dein Johannes eigentlich die Tage? Dein Grund ist klein, von vieler Arbeit kann daher nicht die Rede sein, denn alles Land ist ums Gehöft."
„Maria", antwortete Elisabeth, „Johannes führt ein Leben wie ein Priester, ganz streng geregelt sucht er sich nützlich zu machen im Hause und auch bei unseren Nachbarn. Er schafft gern vom frühesten Morgen bis zum späten Abend. Fanatisch liebt er mich und liest mir alles von den Augen ab; nur sollte er nicht so einen starken Eigensinn haben. Seine Gerechtigkeitsliebe ist grenzenlos. Längst wäre er in den Tempel, wenn ich nicht mehr leben würde. Er ist ein Sohn, wie ihn eine Mutter sich nicht besser wünschen könnte. «Erst kommt die Arbeit, dann bin ich für die Anderen da», sind seine Worte."
Maria war nicht recht zufrieden mit dieser Auskunft, darum sprach sie: „Mutter Elisabeth, mich dünkt aber, dass Johannes nicht befriedigt ist von der Begegnung mit Jesu. Vor Jahren haben sich die beiden Kinder auch nicht verstehen können! Da Jesus gern allein und einsam blieb, ist es mir wie ein Wunder, dass er überhaupt mit Johannes so viel redet. Jedenfalls bin ich neugierig, was Johannes sagt, wenn er wiederkommt."
Elisabeth meinte: „Da wirst du noch keine Änderung an ihm erleben, da Johannes für neue Lehren, neue Begriffe nicht oder sehr schwer zu haben ist. Er hält fest an dem Glauben unserer Väter, die Gebote sind ihm Heiligtum - eher geht er selbst zugrunde, ehe er ein Gebot missachtet. Hat er aber etwas ergriffen, hält er es fest, und niemand wird es ihm entreissen können!"
So verging der Vormittag unter Reden, welche sich nur auf die beiden jungen Menschen bezogen. Als aber Johannes zurückkam, bat er um Verzeihung, weil er ohne Gruss gegangen war, und teilte seiner Mutter mit, dass Sergius heute noch kommen wolle, so Joseph mit seinen Söhnen Einkehr hält.
Elisabeth war erfreut, und nun gingen sie daran, ein Mahl zu richten für den Nachmittag oder Abend, wenn die Männer kämen. Johannes brachte Fleisch vom Nachbar Sergius, es war, als sollte ein Festmahl gefeiert werden.
Es war noch früh am Nachmittag, da kam auch schon Joseph mit den Söhnen. Er gab seiner Freude Ausdruck, dass alles sich so wunderbar fügte. Es wurde eine schöne Arbeit und nach seinen Begriffen auch ein guter Lohn.
Noch einmal bat er um Nachtlager für alle, und morgen mit dem Frühesten zögen sie wieder heim.
Dem Johannes dauerte alles viel zu lange, denn in ihm war wieder der Kampfeseifer gewachsen, der Jesum in die Enge treiben wollte.
Joseph mit seinen Söhnen machte es sich bequem, nur Jesus nicht. Er half in der Küche das Mahl zurichten. Auch Johannes half mit, so konnte Johannes schon jetzt mit Jesu sprechen. Aber Jesus merkte an Johannes die Unruhe, darum frag Er: „Johannes, hast du nicht nachgedacht, dass blinder Eifer öfter schadet, als nützt?
Siehe, wir haben heute tüchtig geschafft, aber in einer Ruhe, die köstlich war. Auf den ersten Blick habe Ich dir aber angesehen, dass du voll der grössten Unruhe bist."
„Ist es ein Wunder", antwortete Johannes, „Du kommst und stellst die Dinge in mir auf den Kopf. Was habe ich mir heute alles überlegt und gedacht, und was ist das Resultat? Ich bin keinen Stater vorwärtsgekommen.
Bei unserem Freund und Nachbar Sergius habe ich auch keinen Beistand finden können, so musste ich allein mit mir und meinen Gedanken bleiben.
Darum kann ich es kaum erwarten, bis das gemeinsame Essen vorüber ist, weil ich hoffe, mit Hilfe Deines Vaters auch einmal Recht zu erhalten."
Sprach Jesus: „Mein Bruder Johannes, welchen Vorteil hättest du, so du nach deiner Ansicht einmal recht behältst? Was ist besser: ein Recht zu erhalten und doch der Betrogene zu sein, oder ein Unrecht einzusehen und grossen Gewinn dabei zu machen?
Du schaust Mich zweifelnd an und denkst: Wo will denn der hinaus ?
Ich sage dir: vor Meinem Empfindungsleben ist Mir deine ganze innere Welt offenbar. Es wird dir schwer werden, Mir einen Stoss zu versetzen, der dir Genugtuung verschafft, denn hundertmal eher weiss Ich um dein Vorhaben und kann darum in aller Ruhe abwehren. Mich machst du nicht irre in Meinem Kampf, da er Mir auch Kraftquelle ist.
Alles, was dir unmöglich erscheint, ist bei Mir schon Tatsache! Du brauchst heute noch deine Mutter, deinen Priester und bist dir noch nicht ganz bewusst, dass ein Mensch, der mit eigenen Füssen auf dem Grund und Boden steht, den sein eigenes Gottesleben ihm schuf, erst den Anspruch hat, ein freier und selbstbewusster Mensch zu sein! Wer auf die Mithilfe seiner Mitmenschen noch nicht Verzicht leisten kann, muss sich auch gefallen lassen, so ihn Enttäuschungen lehren! Du musst selbständig werden! - Nun wollen wir beide den Tisch decken, denn Meine Lieben haben mächtigen Hunger."
Inzwischen kam auch Sergius, und freudig begrüsste er den betagten Joseph und seine Söhne.
Johannes sagte im Vorbeigehen zu ihm: „Vergiss Jesum nicht! Er ist mit dem Anrichten jetzt beschäftigt."
Sergius aber liess sich Zeit und beobachtete Jesum, wie Er geschäftig den Frauen half; aber er hatte solch einen gewaltigen Eindruck, als Jesus die erste gefüllte Schüssel in das grosse Zimmer brachte, dass er sagte: „Jesus! Du sorgst nicht schlecht für Deinen Vater und Deine Brüder."
„Und auch für dich! Dies darfst du nicht vergessen, Mein Bruder!" gab Jesus lächelnd zurück. „Es ist ja so leicht, zu bringen, wo Liebe - mit soviel Fleiss gepaart - so viel schuf."
So reichte Jesus dem Sergius die Hand, sagend: „Bruder! Gesegnet sei deine Liebe, die erst dieses Mahl zu einem Festmahl macht!"
Sergius konnte nichts antworten, als nur die Hand drücken und ging dann eilends hinaus.
Er hatte ein Glücksgefühl, ein Jubel war in ihm, alles war in ihm wie Sonnenschein!
Er winkte Johannes und frug ihn, ob Wein im Hause sei. Johannes musste dieses verneinen.
Da ergriff er die Hand des Johannes und sagte: „Komm, nimm einen Korb, wir wollen ein paar Schläuche bei mir holen."
Johannes wollte abwehren, aber Sergius hatte Eile. In einer knappen halben Stunde waren sie wieder zurück.
Auf Bitten Jesu warteten sie mit dem Beginn des Essens. Sobald Sergius das Zimmer betrat, erhob sich der alte Joseph von seinem Platz und sagte:
„Kinder, kommt zum Tisch, es ist alles bereitet! Bereitet nun auch eure Herzen, damit auch diese aufnahmefähig werden für das Gute, welches der ewige, gütige Gott gleichzeitig mit dem Irdischen gibt.
Du aber, Du Gott der Liebe und der Barmherzigkeit, mache uns würdig und wert, Deine Gaben anzunehmen. Dein Name sei gepriesen allezeit! Und gesegnet sei das Mahl, damit es uns zum Segen werde! Amen."
Nun wurde mit Eifer das kräftige Gericht, Gemüse, Fleisch und Brot mit Feigen verzehrt; alle, auch Elisabeth, mussten bekennen, es war himmlische Speise.
Elisabeth sagte: „Jesus, ich habe Dich im Verdacht! An diesem herrlichen Wohlgeschmack bist Du nicht ganz unbeteiligt?"
Jesus: „Wo Liebe mit Fleiss etwas schafft, ist dies immer von Erfolg gekrönt! Man muss nur daran glauben können, dass das Werk gelingt. So bin Ich ganz unbeteiligt, da ja auch der Vater Joseph bekannte: Alles Gute kommt vom ewigen Gott! Gebe Gott in deinem Herzen die Ehre und freue dich deines Erfolges!"
Sergius brachte nun den Wein, den er in Krüge füllte, und so wurde dieses Mahl ein fröhliches und freudiges.
Johannes allein trank keinen Wein, auch konnte er sich nicht so recht freuen; noch arbeitete das Wort Jesu zu mächtig in ihm. Doch Sergius war glücklich!
Er frug Elisabeth: „Wie kommst du denn zu der Annahme, dass Jesus beteiligt sei an dem guten Gelingen deines Mahles? Denn ich bin der Ansicht, so ich in mir Freude über Freude fühle, ist mir's, als wenn alles, was ich sehe, höre, fühle und schmecke vollkommener wäre.
Es ist für mich dies wichtig zu wissen, damit nicht falsche Gedanken mir die Erinnerung an diese Stunde verdunkeln!"
Entgegnete Elisabeth: „Du, treuer Sergius, weisst nicht, was sich gestern zutrug. Mit dem Kommen von Maria und Joseph und den Söhnen bin ich wie umgewandelt. Wenn ich sieben kleine Kuchenbrote anrichte und nach Fertigstellung sind dieselben siebenmal grösser und dieser ruhige Jesus sagt so überzeugend: ‚Schaue in der Küche das Wunder äusserlich, welches Ich innerlich erlebe!'
Und dann ist dieses Brot von einem Wohlgeschmack, wie ihr alle es heute bestätigen müsst. Muss ich da nicht annehmen, mit dem heutigen Mahle ist es ebenso?
Deutelt nicht daran herum und lasset mir meinen Glauben! Gerade heute ist es mir, als wenn das Leben so überaus wertvoll wäre - und Ahnungen habe ich von kommenden Herrlichkeiten! Noch nie in meinem Leben habe ich solch Wunderbares erfahren!"
„Mag sein, liebe Elisabeth, dass dir dieses Mahl zu einer Wonne und Herrlichkeit wird. Geht es mir doch ebenso. Trotzdem steigt immer wieder die Frage auf: Was ist nun eigentlich die Ursache dieser wundervollen Wirkung ? Ist es der Wein oder das gute Essen, oder ist es Jesus?" sprach Sergius. „Wer ist nun in der Lage, die rechte Löse zu geben?"
Alle schwiegen, so stand nun Joseph auf und sprach: „Kinder, kommt, wir wollen zur Ruhe gehen! Der Wein hat mich müde gemacht. Doch du, Bruder Sergius, kannst dich mit Jesu noch lange unterhalten; denn dieser kennt keine Müdigkeit, so Er nicht müde sein will. Auch nützen wir nichts an eurer Unterhaltung, da wir doch alle zusammen machtlos sind gegen die Einstellung und Auffassung unseres Jesus.
Du, Elisabeth, bist glücklich, weil du etwas erleben durftest, was wir längst wieder vergessen haben.
Bewahre dir diese liebliche Erinnerung. Wer weiss, ob du nochmals das Glück hast, uns - ich meine Jesum - zu sehen! Die Monde und Jahre eilen und bald ist auch unser Lebenswerk erfüllt.
Hätte ich nur den einen Sohn, hätte ich auch weniger Kampf; aber so gilt es, in allem gerecht sein und keine Ausnahme machen. Auch unser Tagewerk war heute reich, überreich gesegnet. Wollte ich jedesmal sagen: Höret, meine Söhne, diesen Segen danken wir unserem Jesus, da würden bald Reden laut werden, die mir mein Herz beschweren.
So danken wir Gott und geben Ihm die Ehre und halten den Frieden, der schon so oft gewichen war aus unserem Herzen und aus dem Hause.
Bleibet in Zukunft eins im Frieden und suchet beieinander das Fehlende zu ersehen in rechter Geduld und brüderlicher Liebe, dann ist es nicht gefehlt und Gott wird uns weiterhin gnädig sein.
So will ich euch segnen im Namen des Herrn. Er sei euer Schutz und euer Sein. Amen."
Joseph verliess, begleitet von Elisabeth und Johannes, mit den Seinen, ausser Jesus, das Zimmer und suchten ihr Lager auf.
Sergius und Jesus waren allein.
Sergius: „Jesus, ich möchte Dich immer anschauen und Dich reden hören. Du hast es mir angetan, wie wohl muss denen sein, die immer um Dich sind!"
„Du irrst, lieber Freund", antwortete Jesus, „ein Anstoss bin Ich ihnen und oft muss Ich harte Worte hören, da Ich den Meinen nicht immer zu Willen bin. Du hast den alten Joseph gehört; wenn du wüsstest, wie wehe Mir sein Klagen tut! Doch wollen wir nicht davon reden, es gibt Köstlicheres zu besprechen."
„Darf ich den Grund wissen", fragte nun Sergius, „denn nun bin ich begierig, ihn zu erfahren, so er auch nicht gerade tröstlich ist."
„Gern will Ich diesen Wunsch erfüllen; aber Johannes wird unbefriedigt sein, da er noch etwas Anderes erhofft! So sei dir gesagt: dieser Besuch ist von Mir gewollt, da Ich in Johannes den sehe, der Mir Stütze und Helfer sein soll! Leider will Johannes nichts wissen von Mir, da es nicht in seinem Willen liegt; und doch kann er nicht ausweichen, da er selbst sich die Bestimmung auferlegte, Mir zu dienen und Mein Werk zu fördern."
Sergius: „Ich verstehe Dich noch nicht recht. Von welchem Werk sprichst Du? Bist Du nicht Zimmermann gleich Deinem Vater und Deinen Brüdern? Dass ein Geheimnis waltet, ist mir nun bewusst, da sind mir Johannes, Elisabeth und Dein Vater Beweis. Was nützt mir aber ein Geheimnis um Dich, so ich es nicht ergründen kann?"
Johannes kam mit seiner Mutter und Maria zurück, und sie setzten sich hin zu den Zweien.
Da begann Jesus zu reden: „Sergius und Johannes! Es gibt überhaupt keine Geheimnisse für den, der aus seiner inneren Quelle schöpft!
Geheimnisvoll kann nur das sein, zu dem einer oder der andere keine Erklärung findet!
Was den Meinen und Meiner Umwelt noch so geheimnisvoll erscheint, ist Mir licht und klar. Die grosse Lebensfrage: Wer bin Ich, was soll Ich und was will Ich, ist in Mir gelöst.
Es gibt keine Weisheit, die Mich anderen Sinnes machen kann, und es gibt keine Kraft, die Mein Wollen aufhalten kann. Ihr denkt vielleicht, das ist ja Grössenwahn! Solche Überhebung ist noch nicht gehört worden! Gemach, Meine Freunde, höret gut zu: Ein jeder ist das Produkt seiner eigenen Erziehung, die ihre Vorschulen schon im Vorleben hatte. In dieser Lebensschule erkennt man dann seine bestimmten Aufgaben.
So gilt es nun, zu prüfen, inwieweit Mein Wille Tat geworden ist. Wenn ein Mensch, ohne zu denken und zu prüfen, durch dieses Erdendasein geht, ist es da verwunderlich, wenn andere, die ehrlich ringen und kämpfen, als geheimnisvoll angesehen werden ?
Glaubet Mir: ein unendlicher Reichtum - und Fülle von Kraft - liegen in einer jeden Menschenseele gebettet, doch wie viele wissen davon? Ich wollte, Ich könnte euch führen in eure eigenen Seelentiefen und könnte eure Sinne schärfen! Dann würdet ihr die Grösse dieser Wahrheit erkennen, die euch jetzt noch nicht Wahrheit ist."
Sprach Sergius: „Jesus, wie willst Du uns Deine Worte als Wahrheit beweisen? Es ist noch nicht gehört worden, was du uns kündest!“
Jesus: „Beweisen kann Ich es euch nicht und darf es auch nicht, da es noch nicht Angehör eurer eigenen Welt ist! Obwohl es in euch liegt, ist es doch nicht euer, weil es als Unbewusstes in euch liegt und ihr habt somit auch keine Verantwortung dafür zu übernehmen !
In dem Augenblick, wo es als Bewusstes in Erscheinung tritt, wird es auch etwas Eigenes in dir und du bist verpflichtet, darüber zu wachen und es rechtschaffen zu verwerten!
Wohl dir, so du es erkennst und recht verwaltest, es wird dich in höchstes Lebensglück führen!
Aber wehe denen, die es erkannt und doch verworfen oder ins Niedere und Gemeine gezogen haben - es wird eine Qual ohne Ende herbeiführen!"
Sprach Sergius: „Jesus, Du bist noch ein junger Mensch und ausserordentlich begabt, dies höre ich aus Deinen Worten. Wer aber gibt Dir die Gewähr, dass Du auf dem rechten Wege bist und das, was Du uns als Wahrheiten bekundest, auch Wahrheit ist? In meinem Leben habe ich so viel gesehen und erfahren, habe über so manches Problem nachgedacht und bin auch manchen Dingen nachgegangen, kann Dir aber versichern, es war unnütze Liebesmühe. Es stellte sich immer heraus, dass meine Einbildungen und Vorstellungen doch im Bereich des Unmöglichen lagen. Es würde mir leid sein um Dich, um die Deinen, so Du doch erkennen müsstest, Du gehst irrige Wege.
Hast Du noch nicht nachgedacht, dass Dich niemand recht unterstützt und vor allen Dingen Dich niemand unterstützen will, dass es doch eine gewagte Sache ist, Dinge zu vollbringen zu suchen, die keinem Menschen, sondern nur Gott möglich sind?"
Jesus lächelte und sagte, zu Sergius gewandt: „Johannes hast du nicht verstanden, als er dir von Mir erzählte, auch sind deine Einwendungen völlig hinfällig, weil alles auf Mich und Meine Person nicht anzuwenden ist. So höre und folge Mir, nicht um Meinet-, sondern um deinetwillen!
Seit Meiner frühesten Jugend bin Ich Mir der ausserordentlichen Gnade bewusst, mit Gott, dem allerhöchsten Leben, in Mir verkehren zu können! Es ist dies keine Annahme, sondern vollkommenes Wissen! Durch Meine Verbundenheit mit Gott erlebe Ich in Mir und um Mich alles viel feiner oder auch viel realer.
Dort Meine Mutter könnte dir Wunderdinge bezeugen, die das höchste Gottesleben in Mir vollbrachte - aber es wäre dies ein Zustand für Mich geworden, der Meine Willensfreiheit beengt hätte!
Mit Bruder Jakob besteht die Vereinbarung, alles Unverständliche an und von Mir kann er in sich erfahren, so er an diese göttlichen Gnadenoffenbarungen glaubt!
Leider ist durch Prüfungen dieser Glaube sehr erschüttert worden. So erkenne Ich: Ich muss Meinen Willen bis zum Alleräussersten opfern, damit Gottes reiner Liebe-Wille ganz der Meine werde!
Dieses sind ja nicht Dinge, die im Bereich der Unmöglichkeit liegen, sondern einem jeden möglich sind, auch dir! Oder hältst du Gott für so engherzig, kalt und lieblos, dass Er, wenn du mit Aufbietung deiner ganzen Willenskraft Seinen Wunsch und Willen erfüllst, dich dann beiseite schiebt und links liegen lässt, als wenn du gar nichts getan hättest? Ich sage dir: Unzertrennlich wird Er mit denen sein, die Seine Aufgaben und Seine Eigenschaften zu den ihrigen machen!
In diesem Sinne wirst du auch nicht Dinge zu vollbringen suchen, die nur Gott möglich sind, sondern deine ganze Innenwelt Dem zur Verfügung stellen, Dem alles möglich ist! Du denkst, so könnte Gott auch mich zu einem Werkzeug machen, Er hätte ja die Kraft und Möglichkeit dazu? Da sage Ich dir aus Meinem Erkennen: Er könnte es!
Hat Er Bileams Esel reden gemacht, und dieses war ein Tier, um wie viel leichter wäre es bei einem Menschen der Fall, ihn als Werkzeug zu benutzen.
Aber wäre damit jemandem gedient?
So der normale Zustand wiederhergestellt wäre, würde der Zweifel der anderen ins Riesenhafte steigen und du selbst müsstest erkennen: Du bist nur ein blinder Automat gewesen! Ich will dir noch sagen, dass Ich mit Gott heilige Zwiesprache halte und mich immer erst versichere: es ist nicht Mein Werk und Wille, sondern Gotteswerk in Seinem Willen!"
Sergius ging zu Jesus hin, umfasste Ihn, zog Ihn an sich und sprach: „Mein Jesus! Sage mir, was hast Du vor? Deine Worte sind wie Gold so schwer und leicht wie das Himmelsblau. Wenn ich Dich auch nicht so verstehe, wie Du es vielleicht wünschtest, aber eines versichere ich Dir: ich glaube Dir!"
Sprach Jesus: „So du nur Meinen Worten glaubst, wirst du irre werden! Warum willst du nicht an Mich glauben? Siehe: ein gesprochenes Wort ist wie eine Hülle, darin so mancher Sinn verborgen liegt!
Glaubst du aber an Mich, dann wirst du Mich auch kennenlernen und nichts Geheimnisvolles mehr finden an Mir. Mein Leben wird dir offenbar werden und du wirst, gleich Mir, Meine Aufgabe und Meine Mission erkennen, welche in kurzen Worten lautet: Erlösung allem gerichteten Sein und Leben!"
„Jesus, Jesus, Du geheimnisvolles Wesen", sprach Sergius, „wer könnte Dich verstehen? Wer den Sinn Deiner Worte erfassen? Du bist mir wie ein Sonnenstrahl, der belichtet und beleuchtet, der Wonne verbreitet! Aber wie wird es sein, so Du heimkehrst? An Dich soll ich glauben? Wie könnte ich es aber, da wir uns nicht sobald wiedersehen werden?"
„Sergius", antwortete Jesus, „höre: Es kommt nicht darauf an, ob wir beide persönlich zusammenkommen, sondern dieses ist wichtig zu wissen: Uns eint ein Geist und ein Wollen! In diesem Geiste verfolgen wir ein Ziel - wenn auch mit verschiedenen Mitteln! Aber bedenke: wenn zwei ein Ziel verfolgen, unterstützt einer den anderen mit geistigen Kräften und stärkt damit das Siegesbewusstsein.
Grundbedingung aber muss sein, es ist aus der Liebe des Herzens geboren!
Nun wollen wir an das Auseinandergehen denken, denn du, Sergius, wirst geholt - und unsere Mütter haben Ruhe nötig."
Es kam eine Magd, klopfte an die Türe und verlangte Einlass. Sie erzählte, dass das kranke Tier unruhig und Schlimmes zu befürchten sei.
Sergius war erschrocken und wollte nach Hause eilen. Jesus aber sagte: „Nicht so, Sergius! Johannes und Ich begleiten euch. Der Tag soll für dich nicht mit Unruhe enden. Mein Vater im Himmel erfüllt gerne Meine Bitten!"
Auch dieses Wort verstanden Sergius und die anderen nicht. Rasch wurde Abschied genommen, da die Magd drängte; und beide, Jesus und Johannes, gingen mit.
In eiligem Lauf und wortlos erreichten sie den Hof. Der Stall war von einer Lampe beleuchtet, und das Weib des Sergius wartete mit Ungeduld auf dessen Kommen.
Lange schauten sie das Tier an, endlich sagte Sergius: „Johannes, deine Mühe und unsere Freude waren umsonst, es ist am Verenden."
Da ging Jesus hin zum kranken Tier, hob den Kopf, der auf dem Boden ruhte, empor und sprach:
„Sergius, du darfst dich freuen, Mein Vater hat Meine Bitte erhört! Zum Morgen ist dein Tier gesund.
Nun gebet Gott die Ehre und vergesset nicht die Stunden, die wir verlebten!"
Sergius wollte nichts von Abschied wissen, aber Jesus drängte nach Hause.
„Ich glaube an Dich und werde Dir immer glauben!" sprach Sergius, „mag kommen, was da mag; diese Stunden haben mich zu einem anderen Menschen gemacht."
„Auch Ich danke dir für deine Liebe, die den Meinen so viel Freude machte, dereinst wird es dir offenbar werden, was du Mir bist. Selig der, der da erfreuen kann, ohne genötigt zu werden, und überselig der, der da gibt nach dem Zuge seines Herzens. Heute ist noch alles dunkel, aber im Lichte wirst du dereinst erschauen und erschauern, wenn Ich ausrufen kann: ‚Es ist vollbracht!’"
Kurz schieden sie, weil Sergius keine Antwort fand auf die bedeutsamen Worte. Aber Johannes schüttelte den Kopf und sagte im Gehen:
„Jesus, wenn das Tier doch noch stirbt, wie willst Du da bestehen vor Deinen Worten ? Wäre es nicht besser gewesen, Du hättest geschwiegen?"
Sprach Jesus: „Johannes! Warum lebt in dir noch solcher Zweifel und will zunichte machen diese ausgestreute Saat? Wäre es nicht besser, du würdest glauben wie Sergius? Merke dir: Sergius wird ein anderes Leben leben und durch seinen Glauben lebt auch sein Tier!
Hast du nicht gefühlt und gemerkt, dass Gott sprach und wirkte, und Ich war nur Sein Werkzeug?
Wenn du schon Meinen Worten Zweifel entgegenbringst, so glaube wenigstens Meiner Liebe, da sie kein Angehör dieser Erde ist und keinen Zug nach Irdischem hat!
Johannes, eine ernste Bitte richte Ich in dieser Nachtstunde an dich: Verliere dich nicht im Gesetz, sondern finde dich in der Liebe - und der Grund aller deiner Handlungen sei Liebe!
Noch sind wir junge Menschen und stehen am Anfang unserer Aufgaben. Keiner darf den anderen nötigen, ein jeder soll aus sich heraus finden, was da Rechtens ist!
Darum, Johannes, bedenke: Wer in sich nicht frei von Zweifeln werden kann, steht noch mit beiden Füssen auf dem Boden, wo er sich nicht wohlfühlen kann und gibt dem Gegner seine besten Kräfte!
Nur reiner Glaube erhebt und macht das Leben in seiner Vielgestaltigkeit zu einem sonnigen!
Je sonniger dein Wesen, und je freier dein Gemüt, ist, desto mehr bist du imstande, das Grösste zu vollbringen, weil alles Hemmende und Niedrige dann keinen Raum mehr in dir hat."
„Lieber Jesus! Lass mich in Ruhe Deine Worte wägen! Es ist zuviel, was Du mir gestern und heute gabst. Ich bin einmal anders und kann, was in mir schwarz ist, nicht weiss machen oder umgekehrt. Lass mir Zeit, ich werde für Dich und mich das Beste finden", antwortete Johannes, „aber verlange nicht, dass ich gegen meine Überzeugung handle!"
Jesus: „Johannes, so sei es. Prüfe ernstlich und ohne Vorurteil, dann wirst du auch nichts zu bereuen haben! Mache einen Unterschied zwischen Gesetz und freiem Leben und betrachte die Schrift nicht als Höchstes, sondern als Wegweiser zum Höchsten!
Befolgst du gerne diesen Meinen Rat, dann wirst du leben aus der Fülle alles Lebens, die da Gott ist von Ewigkeit zu Ewigkeit. Lässt du dich aber treiben von dem Geiste deines eigenen Ichs, dann wird dein Leben ein unbefriedigtes sein - und dein Ende ist dann ebenso."
Johannes erwiderte nun nichts mehr und bald war die Behausung erreicht. Beide Mütter wachten noch und erwarteten die Heimkehr ihrer Söhne. Mit kurzem Gruss suchten nun auch sie ihre Ruhestätten, denn es war inzwischen Mitternacht geworden.
Die Sonne stand am Himmel, als Joseph mit den Seinen Abschied nahm von der gastlichen Elisabeth.
Mit überaus herzlichen Worten dankte nun Elisabeth Joseph und Maria für die Stunden, die sie mit ihnen, vor allem mit Jesus, verleben konnte.
„Du aber, Jesus, nimm die Zusicherung mit in all Dein ferneres Wirken: ich glaube an Dich!"
Darauf sagte Jesus: „Elisabeth, behalte alles tief in deinem Herzensgrund und nichts in deinem Erdenleben wird dir diesen Glauben trüben. Er wird dich tragen bis an das Ziel deiner Sehnsucht und dein grösster Wunsch wird in Erfüllung gehen. Der Vater im Himmel wird deine Liebe überreich segnen!"
Joseph segnete nun Elisabeth und Johannes und dann die Seinen und folgte seinen Söhnen, die schon fürbass schritten. Lange sah Johannes den Enteilenden nach, gern wäre er noch etwas nachgeeilt, aber eine Scheu hielt ihn zurück.
So sagte er zu seiner Mutter: „Es ist wie ein Traum! Beim Erwachen merkt man erst, wie wenig Wirklichkeit dahinter liegt. Dort gehen sie und nehmen die Wirklichkeit mit, uns bleibt nur die Erinnerung."
„Mitnichten, mein Sohn", antwortete Elisabeth, „sie brachten uns Wirklichkeit und dieselbe bleibt nun unser Teil! Mit Jesus hat nun alles, auch du, ein anderes Aussehen bekommen, und Freude über Freude empfinde ich darüber. - Schau hin, Jesus winkt uns noch einmal zu, es ist nicht wie ein Winken zum Abschied, sondern wie ein Zuwinken, als sollten wir zu Ihm kommen."
Beide erwiderten das Abschiedsgrüssen, und nun bogen die Enteilenden um eine Ecke. Da sagte Elisabeth: „Mir ist, als sei die Sonne untergegangen, alles sieht nun so leer aus.“
„Mir nicht", sprach Johannes, „mir nicht; als wenn ich nun wieder kolossalen Platz und Raum habe. Denn vor Jesus und Seinem Blick ist mir Alles zu klein und zu eng geworden. Wäre Er noch länger hiergeblieben - ich wüsste nicht, wo ich hätte hingehen sollen; denn mit Ihm kann man sich auf keine gleiche Stufe stellen."
„Dies sollst du auch nicht, Johannes", sprach Elisabeth ganz sanft, „es sei dir genug zu wissen: Er stellt sich auf deine Stufe und will dein Bestes. Er ist ein Grosser und weiss darum. Aber dies hindert Ihn nicht, immer als Kleiner und Dienender Sich zu geben! Wie gerne Er bediente, wie besorgt Er um die Seinen war, ganz das Bild eines treuen Sohnes !"
Sie bemerkten nicht, dass Sergius hinzutrat. Er kam zu spät, um nochmals mit Joseph und vor allem mit Jesus zu reden, aber die Worte der Elisabeth drangen in sein Herz und bestätigten seine Ahnung! So grüsste er beide herzlich.
Da sagte Elisabeth: „Nun bist du zu spät gekommen, um sie nochmals zu sehen; aber sei deswegen nicht traurig, das Herrlichste haben wir von ihnen ja doch erhalten, nämlich das Bewusstsein: aus Jesus erwächst uns Allen ein Erlöser und Befreier; es soll uns sein, als weile Er unter uns und mache uns zu Vertrauten Seines Wirkens.
Als ich mich in dieser Nacht ganz dem Gedanken hingab, unter meinem Dache ruht Einer, der von Gott zum Höchsten berufen ist, wurde es licht um mich. Da gewahrte ich eine Sonne, die da leuchtete, aber nicht blendete.
Wie ich so in die Sonne schaute, nahm sie das Gesicht Jesu an! Aus den Augen winkte es so überaus lieblich, fast zärtlich, und Sein Mund war halb geöffnet, gerade so, als ob Er ein Verlangen trüge, mich zu küssen!
Das Gesicht blieb nicht, aber das Licht leuchtete weiter und machte in mir manches hell, was bis jetzt finster war. So verging die Nacht, die keine Nacht war; als aber Jesus gegangen war und meinen Augen entschwunden, war mir, als ob es Abend würde. So bleibt uns nun die Erinnerung und der Glaube."
„Mutter", entgegnete Johannes, „von Jesus hast du wohl das Schwärmen gelernt und willst dich in ein anderes, schöneres Leben träumen. Schau der Wirklichkeit in das Gesicht und du musst zugeben: es ist alles geblieben, wie es vor 3 Tagen war! Wo kämen wir hin mit unserem Glauben, so wir jedem Schwärmer glauben würden?
Hat uns Jehova nicht überreich bedacht? Ja, fast zuviel ist es, um alles einhalten zu können. Ich habe nicht die geringste Lust, Jesum zu unterstützen! Mir genügen Moses und die Propheten."
Entgegnete Elisabeth: „Johannes, niemand, auch Jesus nicht, wird versuchen, dir deinen Glauben zu nehmen. So du aber in einem fort auf dein eigenes Wissen und Wollen pochst und Anderer Meinung und Erkenntnis in das Reich der Schwärmerei verweist, musst du dir auch gefallen lassen, so mit dir dasselbe geschieht. Ich sage dir aber: die Kuchenbrote waren mir mehr als Beweis! Eines weiteren bedarf es nun nicht mehr.
Ich werde dir auch nie Anregung geben, dich mit Jesu in Gedanken zu beschäftigen, weil in meinem Herzen für Ihn ein Plätzchen ist, das geheiligt ist."
Sergius sprach nun: „Auch ich, Mutter Elisabeth, habe Jesum in mein Herz aufgenommen; Er ist mehr als nur ein gewöhnlicher Mensch.
Heute früh galt mein erster Gedanke meinem kranken Tier. Als ich in den Stall kam, stand es da und verlangte Futter. Was dieses heisst, gestern am Verenden und heute gesund, kann nur der erfassen, den es betroffen hat!
Darum, lieber Johannes, bitte in Zukunft kein Wort gegen Jesum mehr!
Ein ungeheures Vertrauen besitzt Er zu Seinem Vater im Himmel - und dieser erfüllt Seine Bitten gern, weil solch ein Vertrauen noch nicht erlebt wurde. Wie glücklich macht mich das Wissen: auch wir sind mit eingeschlossen in die Liebe Jesu, die in Seinem Herzen lebt. Ein Schwärmer und Phantast hat noch nie Taten vollbringen können - sondern nur Worte sprudeln gleich Wasserbächen über eines Solchen Lippen - und es ist nicht zu kontrollieren, ob das Herz mit dabei ist.
Du wirst dir wohl gefallen lassen müssen, dass ich mit deiner Mutter über Jesum spreche, und ich wage schon jetzt zu behaupten, es wird mir Bedürfnis werden!
Auch meine Augen floh in dieser Nacht der Schlaf, Jesus mit den Speisetellern und Seine leuchtenden Augen haben es mir angetan! Noch nie in meinem Leben durchströmten mich solche Gefühle wie gestern und heute Nacht!"
Antwortete Johannes: „Also seid ihr gegen mich? Da werde ich es wie Jesus machen müssen und werde die Einsamkeit aufsuchen und sehen, wie ich mich damit abfinde!"
„Tue es ruhig, mein Sohn", entgegnete Elisabeth, „eins versichere ich dir: Je mehr du Jesum aus deinem Dasein streichen willst, umso mehr musst du dich mit ihm beschäftigen!
Ich kann dich aber nicht begreifen, warum du auf einmal deine Mutter nicht mehr verstehen willst. Ist es denn so schwer, die Liebe eines Menschen anzunehmen, der sich nicht nur mit kleinen Problemen, sondern sogar mit dem Allergrössten beschäftigt?
Wenn ich mir überlege, welch eine Liebe, Geduld und Ausdauer dazu gehören, sich jene Kräfte anzueignen, die Gott gleich einem Samenkorn in Ihn legte, komme ich zu dem Schluss: Jesus weiss, was Er will! Und Er glaubt an das Gelingen Seines Werkes. Wir haben es leichter gehabt, weil wir uns stützen konnten auf die Schrift und brauchen uns nur anzulehnen an die Lehre unseres Tempels.
Jesus aber bringt etwas ganz Neues! Etwas, was der Mensch in sich trägt, aber nicht kennt. Es ist für uns neu - und doch uralt! Die Verheissung beginnt wahr zu werden: Ein Licht scheint in die Finsternis und wird allen eine Leuchte werden!"
„Mutter, warum quälst du mich?" antwortete Johannes bitter. „Ich kann mein Herz nicht zwingen zu etwas, was mir nicht einleuchtend ist.
Wenn du das Liebe nennst, so ein Sohn den Eltern Kummer macht oder das Haus meidet, wo Freude herrscht, so nenne ich es anders, nämlich Eigensinn.
Mutter, lass uns schweigen, damit Friede bleibe und du nur Freude an mir erlebst."
Sergius schwieg zu allem, nun aber wandte er sich an Johannes und sprach: „Johannes, es wird nicht gut gehen, zu schweigen über das, was im Herzen emporquellen will; denn: wes das Herz voll ist, des geht der Mund über.
Ich mache dir einen Vorschlag: Deine Mutter übersiedelt in mein Heim und du gehst einige Monate in den Tempel. Zu jeder Zeit kannst du heimkehren, und die Sorge für deine Mutter nehme ich dir ab.
Euer gesamtes Hauswesen bleibt bestehen und wird versorgt, als wenn es mein eigen wäre.
Du lernst etwas kennen, was dir noch fremd ist, und in dieser Schule wirst du bestimmt ausreifen zu dem Werk, zu dem du berufen bist. Hier leidest du und verlierst, dort aber lernst du und gewinnst. Kommst du zurück, ist die Freude doppelt gross!
Ich aber darf endlich einmal Liebe zurückgeben, wo ich bis jetzt immer Liebe empfing! — Wie denkst du, Elisabeth?"
„Du lieber Sergius, meine Sorgen sind auch deine Sorgen! Um Johannes frei und glücklich zu wissen, willige ich gerne in die Trennung, aber bleiben möchte ich in meinem Häuschen, da ich mit ihm verwachsen bin. Will Johannes, so sei es, will er nicht, ist es auch recht! Meine Hoffnung ist Jesus."
Kurz entschlossen spricht Johannes: „Mutter, ich gehe! Lieber eine kurze Trennung, als ein Nebeneinandergehen. Jehova möge mir verzeihen, so ich unrecht handle und möge mir Kraft verleihen zu dem Kommenden!"

Es wurde, wie geplant.
Der Priester Joseph war überglücklich, seinen Pflegling selbst in den Tempel zu bringen, und für Johannes ging eine neue Welt auf, aber eine Welt, die ihm Anstoss war.
Frühzeitig an selbständiges Denken und Handeln gewöhnt, erlebte er nun das Gegenteil. Hier gab es nur einen, der dachte und Anweisungen gab: den Hohenpriester - oder bei Abwesenheit den Stellvertreter.
Hier lernte er Menschen kennen, die ihr Inneres verschlossen hielten und nach aussen eine Maske trugen. Oft, wenn er allein war, sagte er zu sich selbst: „Vater! Hier hast du ein Leben lang ausgehalten? Hast mehr als alle Anderen gewusst und bist dennoch geblieben? Dein Leben muss ein Opfergang gewesen sein!"
Zuweilen, wenn er allein mit sich rang, schien ihm in Erinnerung zu kommen, wie anders doch Jesus rang - und er fragte sich dann, wie würde sich nun Jesus benehmen?
Weil er selbst einen geraden Sinn hatte, ärgerte es ihn, dass er hier schweigen musste. Denn die Parole war: Schweigen und befolgen!
Zu einem alten, ehrwürdigen Priester zog es ihn hin, der seinen Vater noch gekannt hatte. Diesem offenbarte er seine grosse Herzensnot, als sie fast unerträglich wurde. In der Wohnung des alten Samuel drang der ganze zurückgehaltene Schmerz über die Lippen des Johannes.
Samuel, die Güte selbst, hörte von Anfang bis Ende die Beichte des Jüngeren an und sagte: „Mein junger Bruder, was ich dir jetzt sage, behalte für dich!
An meinem Leben liegt nichts, aber das deine ist wertvoll. Ein ganzes Leben diente ich dem Tempel, schon zu Lebzeiten deines Vaters. Damals war der Tempel noch anders als heute; das Gift der Welt, Herrschsucht und Habgier haben seitdem gewaltig zugenommen. Ja, selbst vor einem Mord scheut man nicht zurück! Du wirst denken: warum bleibst du da im Tempel?
So sage ich dir: um das Unheil aufzuhalten und der Schlechtigkeit entgegenzusteuern, verbleibe ich im Tempel. Der Tempel hat tausend Waffen, ich nur eine einzige - und diese heisst: Herzensgüte. Vor dieser Güte beben sie zurück! Wie lange, ist mir unbekannt. Tust du nicht mit, musst du beweisen, warum.
So hört man gerne meinen Rat, und ich bin nun auch befriedigt, mein Leben Dem geschenkt zu haben, Der es mir schenkte! Für dich ist das Beste: gehe heim zu deiner Mutter, diene Gott und den Menschen; denn durch Seine Güte bist du geworden, was du bist. So danke Ihm, indem du Seine Güte nicht missbrauchst!"
„Vater Samuel! Du gibst mir das Gleichgewicht zurück, aber wie soll ich mich zu Hause meiner Mutter und Sergius gegenüber verhalten, wenn die Rede auf Jesum von Nazareth kommt? Dieser ist der Anstoss und der Grund zur Trennung!"
„Mein junger Bruder! Warum so stürmisch? In deinem Leben wirst du noch oft Schiffbruch erleiden, so du an deinem starren Willen festhältst!" entgegnete ruhig Samuel. „Nie in deinem Leben wirst du Erfolg haben, so du denkst, ich kann und mache es besser!
Gebe gern und willig Raum in deinem Herzen, so ein Anderer eine andere Meinung und Erkenntnis hat. Prüfe ernstlich Alles und eigne dir nur Das an, was dir zusagt!
Dass Jesus von Nazareth dir Anstoss ist, wundert mich sehr; denn als er damals drei Tage im Tempel das Kollegium in grosse Aufregung brachte, habe ich mir das Beste zunutze gemacht, und es ist auch heute noch mein Teil: Menschenliebe und Menschengüte! Gerade Jesus war es, der den leitenden Priestern die Larve vom Gesicht riss und Schandtaten aufdeckte, die du nicht ertragen könntest.
Oft und oft habe ich an den Knaben gedacht, und es ist wunderbar, er bleibt in meiner Erinnerung der Knabe.
Was nützte es, dass die Aufregung eine Zeitlang blieb und Jesus samt dem Hause Josephs überwacht wurde?
Bei Jesus hatte sich aber dann die Entwicklung statt nach vorwärts mehr rückwärts bewegt. So ist es erklärlich, dass seit etwa 10 Jahren der Tempel immer üppiger wurde.
Es freut mich ungemein, nun etwas Erfreuliches über diesen jungen Menschen zu hören. Aber ich fürchte: sobald das Kollegium von diesem Fortschritt erfährt, wird es um die Ruhe Jesu aus sein.
Nun, lieber junger Bruder, höre meinen Rat, der aus väterlichem Herzen kommt: Stelle dich auf guten Fuss mit Jesus, mache deiner frommen Mutter und deinem väterlichen Sergius die Freude, du gewinnst tausendfach!
Was hat dir der Tempel noch zu geben? Nichts, aber auch gar nichts; so du unbequem wirst, schiebt man dich höchstens ins Ausland zu den Heiden und Unbekehrten. Noch bist du frei und kannst leicht deine Zugehörigkeit zum Tempel lösen. Gerne will ich dir helfen und einen guten Abgang sichern."
Sprach Johannes: „Vater Samuel, deine Worte machen mein Herz froh. Aber eine grosse Frage beantworte mir noch, dann befolge ich gerne deinen Rat.
Was dünkt dich um Jesum von Nazareth ? — — Sind seine Ideen Schwärmerei oder als was soll ich sie annehmen?"
Antwortete Samuel: „Komm, mein Junge, an meine Brust. Bei Beantwortung dieser lebenswichtigen Frage will ich dir nicht ins Auge schauen, sondern denken, mein holder Knabe Jesus steht vor mir.
Nun höre: Als ich ein stummer Zeuge Seiner Weisheit und Seiner Kraft war und Er hinwies auf die Bedingungen, die erfüllt werden müssen bei dem zu erwartenden Messias – und doch bei Ihm schon erfüllt sind -, habe ich immer die Hoffnung in mir genährt: Dieser ist es!!
Auch ist Meine Hoffnung nicht schwächer geworden, als die Berichte immer negativer ausfielen. Ich habe gedacht, das war eine Blütezeit. Er muss ausreifen!
Deine Kunde um Jesum ist mir wertvoll, denn ich glaube an Ihn. Seine Ideen sind nicht von Ihm, sondern die legte Jehova Selbst in Ihn, und der in Ihm ruhende Gottesgeist trieb diese Ideen in Ihm zur vollen Reife. Was du mir von dem Kampfe des ringenden Jesus sagtest, bestätigt mir meine Ansicht. Es wäre an der Zeit, Ihn zu unterstützen.
Bleibst du in deiner Willensmeinung, hinderst du Gott, der Erde das Gnadengeschenk zu überlassen, nämlich den Mittler zwischen Gott und Mensch und den Retter Seines Volkes aus aller Knechtschaft.
Weiteres zu sagen, tut nicht gut. Wohl könnte es sein, dass ich irre. Bedenkst du aber die Fülle von Wahrheiten, die Sein Ich erfüllten, so kommst du zu dem Schluss: Ihn kann nur der Himmel geschickt haben!
Johannes, könntest du mein Glück begreifen, so jetzt Jesus in meinem rechten, du in meinem linken Arm ruhen würden! Ich stelle mir vor, es sei so und bin innerlich beglückt!
Warum ist das beglückende Gefühl nun eigentlich da ? Es ist das Geschenk aus den Himmeln, wobei sich der Mensch wieder besinnen kann auf das Glück, das den erwartet, der die Bedingungen erfüllt hat.
Wie du sagst, ringt Jesus mit sich in stetem Eifer, also ist Er bemüht, die Bedingungen restlos zu erfüllen, um in Sich nur noch den Himmel zu fühlen und zu empfinden!
Auf diesen Bruder bist du neidisch und ungerecht; statt Ihm Verständnis entgegenzubringen, bist du hart? O Johannes, urteile nicht über den Tempel und seine Diener, sonst fällst du selbst über den Strick, den du für andere bereit hältst.
Es darf nichts in dieser Welt geben, was ich als verloren betrachte, sondern ich muss Mittel suchen, um zu heilen und zu retten! Kannst du mich verstehen?"
„Ja, mein Vater", antwortete Johannes, „dich verstehe ich sehr gut, trotzdem es fast dieselben Worte sind, die Jesus äusserte, nur tun sie, von dir gesprochen, nicht weh. Ich habe Jesu vieles abzubitten, da ich Ihm in meinem Herzen viel Unrecht tat."
„Dies freut mich, mein Johannes! Es wird dir viel leichter und wohler werden, wenn du dich aussöhnst mit dem Gedanken, dass Jesus von Nazareth ein Berufener und Auserwählter ist.
Einem Berufenen aber ebnet man die Wege, statt sie zu verrammen!
So wirst du auch erleben, wenn du deine Berufung erkannt haben wirst, dass es furchtbar schmerzt, so man gehindert wird an der Ausübung seiner Pflichten; noch schmerzvoller aber ist es, wenn man von den eigenen Freunden oder Vertrauten missverstanden oder verraten wird.
Gehe deinen Weg, aber mit Gott! Dein Wesen werde Güte, dann wird es in dir licht und klar! So nimm meinen Segen – er sei dir Kraft und Licht! Amen.“
Sie schieden beide, und Johannes löste sich mit Hilfe des väterlichen Samuel vom Tempel.


Wieder zu Hause.

Elisabeth kannte ihren Sohn nicht mehr: keinen Widerspruch, nur Hingabe erfuhr sie.
Auch Sergius war betroffen von der Eigenart des Johannes. Die wenigen Monate hatten ihn zum Manne gemacht.
Elisabeth kränkelte, so war Johannes ängstlich und besorgt. Ihm war klar: geht die Mutter von ihm, verliert er den Halt; denn seine inneren Kämpfe brachten ihn manchmal aus dem Gleichgewicht, aber die Mutter brachte ihn allemal rasch wieder in Ordnung.
Auch Sergius sah Johannes schwer ringen, konnte aber nicht helfen, ihm fehlten Erfahrung und das rechte Gottesleben. So ging das Leben weiter seinen Gang mit seinen Wechselfällen.
Der Priester Asur konnte es noch immer nicht ertragen, dass Johannes ihm nicht die erwartete Achtung und Ehrerbietung entgegenbrachte, geisselte Johannes mit scharfen Worten und verlangte Abbitte. Johannes wieder ward erbost und wies dem Priester die Tür, da er ein Diener Baals und nicht Jehovas sei.
Zu diesem Streit war Sergius hinzugekommen und konnte schlichtend dazwischentreten.
Von diesem Tage an blieb Johannes verschlossen. Ruhig sorgte er, wie gewohnt, für alles, aber eine merkwürdige Unrast lebte in ihm. Er mied Mutter und Sergius, wurde hart gegen sich und hart zu den Anderen.
Oft führte er lange Selbstgespräche und suchte, innerlich zerquält, Trost im Gebet.
Elisabeth und Sergius sorgten sich sehr und berieten, was zu tun nötig wäre. Der Gedanke, sich nach einer Gehilfin umzusehen, wurde immer stärker, bis schliesslich Sergius sich bereit erklärte, eine entfernte junge Verwandte in sein Haus aufzunehmen. Es geschah, und wie ganz von selbst sollten sich die jungen Leute kennenlernen. Aber Johannes mied jetzt das Haus seines väterlichen Wohltäters noch mehr.
An einem Sabbat besorgte Sergius mit seiner Nichte etwas für Elisabeth. Johannes war zugegen. Für diesen war es Sünde, am Sabbat etwas zu tun. Und er konnte nicht schweigen.
Das junge Mädchen sah Johannes lange an, dann sprach sie:
„Johannes mag recht haben. Meines Wissens aber wird Gott nicht strafen, da ja kein Vergehen, sondern Gutes gewollt ist. Gott, das ewig Gute, kann nur Gutes wollen!
Würde Gott das Gute strafen wollen, dann stellte Er Sich ja auf den Boden, auf dem jetzt Johannes steht - und dieses kann ich nicht glauben."
Elisabeth streichelte dem Mädchen das Haar und sprach: „Kind, deine Worte sind recht und aus einem ergebenen Herzen geflossen, aber Johannes hat auch recht, da er die Rechtfertigung nur in der Erfüllung des Gesetzes sucht. Er geht einen schweren Weg, während der deinige sonnig und leicht ist. Bewahre dir diesen Glauben, und komme wieder!“
Eliesa: „Wie gerne komme ich zu dir, aber Johannes darf keine so finsteren Augen machen, sonst fürchtet man sich vor ihm."
Johannes ging hinaus und kam erst wieder, als die beiden gegangen waren.
Mutter Elisabeth war traurig; sie dachte an Maria, die auch litt um ihres Sohnes willen. Aber Johannes wollte nicht sehen, es machte ihn noch härter.
An einem Tage kam Eliesa wieder.
Johannes sah sie kommen, da ging er zu einem Nachbarn, diesem zu helfen, und bei untergehender Sonne kam er wieder.
Elisabeth sagte zu ihm: „Johannes, Eliesa war hier, ich habe rechte Freude an ihr, ich glaube, sie liebt dich und würde mir gerne Tochter werden; wie denkst du darüber oder hast du schon nachgedacht?"
Finster blickte Johannes auf den Boden und sprach: „Ja, Mutter, nachgedacht habe ich schon oft; wenn sie bloss nicht wiederkäme - ihr sonniges Wesen tut mir weh!
Ich kann nicht sehen, wie sie über die Schlechtigkeit anderer noch entschuldigende Worte hat. Mich stösst einfach ab, wie sie ohne Ansehen der Person zu Allen gleich gut ist. Nur für mich hat sie kein Wort der Entschuldigung oder gar Verstehen.
Nimm sie doch als Tochter an; denn ich fühle es, lange halte ich diesen Zustand nicht mehr aus, und ich muss dich wieder verlassen.
An eine Ehe werde ich nie denken, ich bin nicht zum Ehemann geschaffen.
Vor mir liegen andere Ziele: die Sünde will ich meistern und makellos vor dem Gesetz und den Propheten bestehen. Da ist es besser, so ich unbeweibt bleibe."
Sprach Elisabeth: „Mein Sohn, du verstehst es, Wermut und Galle zu reichen. Statt offen mit deiner Mutter zu reden, gehst du deinen Weg und bereitest meinem Herzen Sorgen und Kummer.
Weisst du nicht, dass geteilte Sorgen halbe Sorgen sind? Es ist recht, so du ein festes Ziel vor Augen hast, es ist gut, dass du etwas vollbringen willst, was noch niemand fertigbrachte. Aber, mein Johannes: an Gottes Segen ist alles gelegen, und eine Mutter gibt ihr Herzblut für ihr Kind!
Darum sei offen, sei demütig, und dein Weg ist ein leichterer und dein Gemüt froher.
Siehe: Jesus suchte Verständnis für die Erfüllung Seiner Ideen, was tatest du? - Wir bringen dir Verständnis entgegen und du meidest uns. Du bist gerade das Gegenteil von Ihm. - Wie wäre es, so du nach Nazareth pilgern würdest und bliebest einige Tage dort? Habt ihr nicht beide ein Ziel? Könntest du dich nicht ergänzen an Ihm? Überlege es dir einmal, und vergiss deine für dich lebende Mutter nicht!"
„Mutter, ich bin in deiner Schuld", entgegnete Johannes, „ich weiss, es wäre besser, offen zu sein, aber in mir liegt ein Berg von Gegensätzen. Ich möchte und kann nicht, wie ich will, ich bin noch zu unfähig, mir fehlt die rechte Überwinderkraft.
Wo du zu lieben vermagst, ist in mir noch Abneigung. Jede Ungerechtigkeit entfesselt in mir einen Sturm! Ich weiss, es ist verkehrt, aber ich kann es nicht wehren, so es in mir auftritt. Habe Geduld, vielleicht gelingt es mir noch.
Nach Nazareth werde ich nicht ziehen, denn ich kann nicht mit Jesus gehen, der sich über jedes Gesetz stellen möchte und ein Allerweltshelfer werden will.
Lächelnd antwortete nun Elisabeth: „Johannes, du bist in eine Sackgasse geraten und kommst so leicht nicht heraus! Dies beweist, wie du die Mission Jesu aufnimmst und ansiehst.
Es trifft in keinem Falle zu, wie du Jesum beurteilst. Wie ich Ihn erfasst habe, wird Er das Gesetz bis zum Letzten erfüllen, damit niemand sagen kann: Hier bist Du schuldig geworden.
Das ist ja das Gute und Schöne an IHM, dass er offen ist und seinen Angehörigen klipp und klar Sein Streben und Sein Ringen und das Ziel klarlegt. Etwas Anderes tat Er nie, darum braucht Er sich nichts vorzuwerfen. Tue wie Er, dann wird es schon recht werden!" In der Folge wurde Johannes freier. So herrschten Friede und Freude im Hause Elisabeths.

Eines Tages kam ein Bote und brachte einen Pack vom Vater Samuel.
Es war sein Vermächtnis an Johannes, den er wie einen Sohn lieb gewonnen hatte.
Nun war er heimgegangen zu seinen Vätern.
Johannes studierte die Blätter, es war das Bekenntnis für den zu erwartenden Messias.
Was er fand, wurde ihm zu einem Wegweiser. Er suchte und forschte nun nach Angaben des Samuel in der Schrift und fand so viel, dass er zu dem Priester Joseph ging und sich über die angegebenen Schriftstellen unterweisen liess. Aber recht befriedigt konnte er nicht werden. Es war und blieb eine Lücke in ihm; weder der Priester, noch die Mutter konnten ihm die rechte Hilfe geben.
In diesen Tagen wurde er zu Jesu gerufen auf ihm noch unbekannte Bergeshöhen.
Die Mutter war ernstlich besorgt, da er noch nie ohne Wissen der Mutter fort war. Als er aber wieder zu Hause ankam, konnte er nur sagen :
„Ich war bei Jesu! Lass mich erst schlafen, mir ist alles so schleierund rätselhaft, ich muss erst klar werden!"
Ohne auch nur einen Bissen zu nehmen, ging er zur Ruhe und schlief und schlief, ohne zu erwachen, eine volle Nacht und einen Tag.
Die Mutter betrachtete ihn, als er gerade erwachte.
Er verlangte nach Speise und Trank.
In ihm war alles wie umgewendet, denn jetzt wurde ihm klar, wo er war und was er nun im Traum in seinem langen Schlaf erlebte. Als er sich gesättigt hatte, konnte er alles erzählen und schilderte seiner Mutter genau alle Einzelheiten, was er mit Jesu erlebte, und nun noch den Traum.
„Denke dir, Mutter", begann er wieder seine Schilderung, „ich war auf einem hohen Berg. So weit nur das Auge schaut, geniesst es eine herrliche, wunderbare Aussicht. Eine mir ganz fremde Stadt liegt schön ausgebreitet im Tale, und die Häuser mit ihren blitzenden Fenstern spiegeln die Sonne zu tausend Malen wider.
Wie ich nun all die schönen und doch fremden Bilder beschaue, werde ich an der linken Schulter berührt. Ich sehe mich um und erblicke meinen Vater.
Ich weiss: es ist mein Vater - trotzdem ich ihn nicht gekannt habe. Eine unbändige Freude ist in mir.
Da spricht er zu mir: Johannes,„siehe dieses Land, gegeben von Gott, darinnen sich alles freuen kann. Aber darinnen wohnen kann nur der, der den Willen Gottes sich zu eigen gemacht hat.
Dort, weiter hinten, sind noch mehrere Stätten, die ebenfalls dienen sollen, treue Kinderherzen zu beglücken. Bedenke aber: nichts ist verdientes, sondern alles gnadenvolles Glück, da Gott Sein Herz nur von der Liebe leiten liess.
Einstens sprach Er zu Abraham: Ziehe aus dem Lande deiner Väter und deiner Freundschaft in ein Land, welches Ich dir zeigen und dir und den Deinen schenken will!
Zu dir aber sage ich: Gehe hinein in das Land deiner Väter und verkünde das kommende Gottesreich, wo das Kleinste zum Grössten und das Grosse zum Kleinen erhoben wird!
Längst ist das Licht zum Sieger über die Finsternis geworden, und wir baden uns in den Strömen von Licht, die herüber in das Reich des Unsichtbaren reichen, und warten auf den Tag, wo Gott Selbst das Zeugnis aller Welt und allen Unsichtbaren gibt: »Dies ist Mein Sohn, an dem Ich Wohlgefallen habe!«
Bedenke aber du: vor dir das Leben, hinter dir der Tod!"
Ich wollte etwas erwidern, da fühlte ich Seine segnende Hand, und ich war allein.
Nun war auch die Schönheit genommen, und ich fühlte mich einsam. So suchte ich mit den Augen den Weg, der zum Abstieg führte, konnte aber keinen sehen.
Ich fing an zu suchen, aber es war vergebens. So trug ich mich: Ja, wie bin ich denn heraufgekommen? Aber die Antwort blieb aus.
Was war nun alle Schönheit? Was war mir nun mein Vater? Nichts mehr! Denn ich war ein Gefangener des Berges, und wo ich nur am Rande hinabschaute, waren abgrundtiefe Schluchten – aber kein Weg zum Abstieg.
Wie ich nun mein vergebliches Suchen einstellte und mich wieder hinsetzte, sah ich wie in weiter, weiter Ferne meinen Bruder Jesus und vernahm die Worte: ‚Johannes, wärest du hiergeblieben – wir hätten uns nie mehr getrennt!’
So erwachte ich und bin froh, dass es doch nur ein Traum gewesen ist."
Sprach Elisabeth: „Gottes Wege sind wunderbar und Seine Führungen überherrlich. Johannes, denke daran, was ich, deine Mutter, immer erhoffte und ersehnte: dich im Dienste des ewigen Gottes und Herrn zu wissen. Alles soll vergessen sein, was hinter uns liegt, denn vor uns steht Gott und wartet — und wartet!"
„Auf was wartet Gott nun noch? Ist mein Eifer, mein ganzes Wollen und Streben noch nichts gewesen? Was soll ich denn noch tun?"
„Einen Weg bauen nach der Höhe!" antwortete Elisabeth, „damit die Höhe allen, allen Menschen Labsal, Freude und Glück werden kann, die die Mühe nicht scheuen, um die Höhe zu erreichen!"
„Mutter, jetzt wirst du mir wieder unverständlich, ich kann deine Worte nicht deuten!"
„Dies glaube ich dir, Johannes, da du immer nur das Gegenwärtige vor Augen hast und dich nie mit Künftigem befassen willst. Was für dich nicht mit Händen greifbar ist, existiert für dich nicht und verweisest du in das Reich der Phantasie. Aber in deiner Welt wird es trübe werden, wenn das, was du als Phantasie bezeichnest, WIRKLICHKEIT wird. Weiter vermag ich dir nichts zu sagen.
So liess die Mutter ihren Sohn allein.
In den kommenden Tagen wurde nun Johannes lebhafter, die Schrift und Samuels Erbe wurden häufiger benutzt und Sergius hörte manches, was er nicht verstand.
Nun trat ein Ereignis ein, das Johannes zutiefst erschütterte.
Elisabeth kränkelte und fror.
Mit aller von Herzen kommenden Liebe war Johannes Tag und Nacht um die Mutter bemüht.
Ein heiliger Glanz war in ihren Augen und so Johannes etwas sagen wollte, sagte sie: „Schweige, Kind. Gott redet eine liebliche Sprache".
Auch Sergius tat, was er konnte, aber das Leben war nicht zu halten.
Eines Morgens, kurz nach Sonnenaufgang, liess sie sich ans Fenster bringen und schaute, solange sie konnte, in die Strahlen des Lichtes aus der Sonne und sprach:
„Mir ist, als zeigten mir die Strahlen den Weg zur Quelle des Lichtes und Jesus steht in der Sonne und winkt. Die Sonne verschwindet, aber Jesus wird leuchtender! — — Jesus, ich komme! Jesus, ich komme!"
Mit diesen Worten ging sie ein in das Reich ihrer Sehnsucht und ihrer Liebe. —
Johannes war ganz bestürzt. Trotzdem er damit gerechnet hatte, kam es dennoch zu plötzlich.
Still verharrte er im Gebet — und endlich sprach er: „Mutter! Wäre ich doch wie du am Ziel, brauchte ich nicht um dich zu trauern, denn du hast erreicht, was tausendmal Tausende nicht erreichen!"
Nun wurde es einsam um Johannes.
Die Mutter fehlte. Allein mochte er nicht bleiben. So übersiedelte er zu Sergius.
Die Priester wollten durchaus, er solle nach dem Tempel ziehen, aber mit Händen und Füssen wehrte er sich dagegen.
Bei Sergius gesundete er wieder und wurde froher.
Das Studium der Schriften half ihm über den Schmerz. Eifrig schaffte er bei Tage, und des Nachts übte er sich im Beten und im Segnen nach jüdischem Ritus.
Mit Gewalt wollte er Versäumtes nachholen und fastete nun das Doppelte.
In ihm war ein Streben nach Göttlichem und Geistigem. Durch sein beständiges Ringen mit sich und sein Schauen in seine innere Welt wurde auch die innere Sehe dann und wann geöffnet - und er erlebte nun, je nach Seiner Seelenstimmung, Trübes und Schönes.
Was ihm zugerufen und gezeigt wurde, deutete er nach seinem Ermessen. So kam er wiederum mit sich in inneren Kampf.
Mit Sergius oder mit einem Priester darüber zu sprechen, wagte er nicht mehr, um nicht sein Inneres in grössere Kämpfe zu verwickeln.
Es blieb ihm nur das Gebet.

Monate vergingen, aber ein Vorwärts war es nicht. Unzufrieden mit dem Erfolg, suchte er die Höhe auf, wo er mit Jesu die ernste Aussprache hatte.
Nichts denkend, nichts wollend, scheute er die Mühe nicht, bis er oben war. Dort angekommen, ruhte er von den Mühen des Weges und suchte Ruhe und Gewissheit.
Je mehr die Sehnsucht nach Ruhe Platz griff, — umso unruhiger aber wurde er.
Jetzt fiel ihm ein, dass Jesus drei Tage hier oben auf ihn gewartet hatte. Drei Tage — eine lange Zeit, aber warten will ich auf ein Zeichen, damit ich von Gewissheit erfüllt werde, denn nun stehe ich am Scheidewege.
So vergingen ein Tag und eine Nacht. Beim Ringen im Gebet um Kraft und Ausdauer wurde es um und in ihm ruhiger. Mit seinem Willen bezwang er den Hunger, der sich stark bemerkbar machte, und dachte an Jesum, der auch nichts geniessen konnte auf dieser Höhe.
Da erschien ihm im lichtumflorten Gewande seine Mutter und sprach mit einer sanften und lieblichen Stimme: „Johannes! Noch ist kein Weg nach der Höhe, doch die Sehnsucht der Hoffenden ist ins Riesengrosse gestiegen! Warum zögerst du und lässt dich mahnen?
Mach auf das Tor und die Türen weit, dass einziehen kann der Herr der Herrlichkeit!
Mache dich auf, denn durch dich soll offenbar werden, dass Er, der Herrliche, das Lamm sein wird, welches die Sünden der Welt auf sich nimmt, damit aller Fluch getilgt wird!"
Ein Segnen, ein Winken — und langsam verschwand die Vision, aber die Worte blieben. Wie glühende Buchstaben leuchteten sie in seiner Seele: „Durch dich soll offenbar werden, dass Er, der Herrliche, das Lamm sein wird!“ Brauche ich ein anderes Zeugnis, sprach er zu sich? Nein, es genügt!
„Herr, zeige mir den Weg – mein Leben ist nun Dein!“ Mit diesen Worten trat Johannes den Rückweg an.
War es anfangs mühevoll, so wurde es nun leichter, und nach Stunden erreichte er ein Gehöft.
Bescheiden bat er um Labung, welche ihm gewährt wurde. Ungemein wohl tat ihm diese Liebe, auch die Worte des Besitzers waren so gut gemeint, dass er nicht anders konnte: er musste sein Herz ausschütten und diesem fremden Menschen seine ganze Sehnsucht, sein Streben und Wollen offenbaren. Dieser aber, ein alter, gläubiger Jude, der bewandert war in Wort und Schrift, gab nun Johannes nach seiner Art Aufklärung über den zu erwartenden Messias.
„Kommt Er, dann kann nur die jetzige Zeit die richtige sein! Denn: Bedrückung nach aussen von den Römern, den Heiden - und Bedrückung von Innen von den Templern. Dieser dein geschilderter Jesus von Nazareth könnte die Anlagen haben, um nach aussen und innen Erlösung und Befreiung zu bringen - aber es wird an Mitteln fehlen, Ihn zu unterstützen. Der Reiche hält zu den Römern – braucht also keinen Befreier; und der Arme hat keine Mittel.“
Johannes sah den alten Juden ernst an und sagte: „Ich kenne Jesum zu wenig, um dir recht geben zu können! Aber ich glaube vielmehr, dass Jesus Seine Sendung und Mission anders auffasst!
Mit weltlichen Dingen wird Er sich weniger befassen; nach Jesajas kann Seine Aufgabe nur darin liegen, das Volk Israel aus Nacht und Sünde zu Licht und Leben zu führen! Und Er bedarf keiner anderen Mittel als nur der, die Gott Ihm in Sein Inneres legte. Dies waren Seine eigenen Worte
Antwortete nun der alte Elim: „Junger Freund! Es mag sein, wie es will, jedenfalls darfst du aus deinem Wissen und deinen Gaben kein Geheimnis mehr machen!
Es ist an der Zeit, die Welt aufmerksam zu machen auf die Zeit, in der wir leben! Denn Jehova, der Ewige tut nichts ohne wichtigen Grund.
Vielleicht setzt Er seine ganze Hoffnung auf den jungen Nazarener.
Es könnte, so Er der Berufene wäre, uns nicht vergeben werden, wenn wir so wenig Teilnahme an Ihm und der Not unserer Mitmenschen nehmen würden.
Suche dir Gleichgesinnte, komme zu mir auf meinen Grund, es wird immer soviel da sein, dass es niemand hungert. Und dann geht hinaus ins Land und verkündet die grosse Zeit, die Gott uns erkennen lässt und die den Retter bringt!"
„Lieber alter Elim, darf ich den Priestern vorgreifen? Und darf ich mein Wissen und Erkennen Anderen künden? Bin ich doch nicht aus dem Stamme Levi, wenn auch mein Vater Hoherpriester war", sprach nun Johannes.
„Eben deshalb, junger Freund!" entgegnete der Alte, „bist du direkt verpflichtet, dein dir angeeignetes Wissen und dein Erlebtes in alle Welt zu tragen, da der Tempel und seine Diener nur noch Verkünder des Wortes, nicht aber Hüter und Wächter des Geistes sind. Du kennst den Tempel, du kennst Jesum, du kennst Beider Wollen und Bestreben und — — da fragst du noch ?
Oh, dass ich Jesum nicht kennenlernte ! Ich wollte jeden Stein beseitigen, der Seinen Fuss hindert. Es ist meine grösste Sehnsucht, die Zeit erleben zu können, die den Messias, den Erlöser und Befreier bringt!"
Antwortete Johannes: „Wie aber, wenn Jesus doch nicht Der ist, dem deine Hoffnung gilt? Ist es nicht verlorene Mühe und nutzlose Zeitvergeudung, wenn Jesus doch nicht die Erlösung bringt?"
Sprach Elim: „Was kümmert es dich, so Jesus enttäuscht? Bemühe du dich, nicht zu enttäuschen und verwalte dein Amt, welches Jehova dir gegeben. Glaube mir altem Manne, ich bin reich an Erfahrungen - und Enttäuschungen haben mein Herz fest gemacht.
Es gibt nur eine Aufgabe zu erfüllen und diese heisst: Gottes erkannten Willen sich ganz zu eigen zu machen, damit der innere Geist sich an Gottes Geist klammern kann. Wo der Glaube am Gelingen fehlt, weicht das Ziel immer weiter zurück – und Verloreneswird selten wieder zurückgebracht.
Du klagst über verlorene Zeit und nutzlose Mühe ? Wie aber würdest du dastehen, so DU kostbare Zeit nutzlos vergeudet hättest?
Könntest du bestehen vor den Augen des Herrn und vor den Blicken des Messias? Mache dich auf und umgürte dich mit dem Schwerte des Herrn, sei der Waffenträger des voll Sehnsucht erwarteten Messias – und Gott wird mit dir sein!“
Diese Worte, voll Feuer gesprochen, liessen den Johannes aufhorchen. So sprach er: „Elim, sag, wer spricht aus dir? Ganz anders klangen deine Worte jetzt!"
„Mein Sohn! Glaube mir, aus mir sprechen die Sehnsucht und das Leid. Wer Leid gesehen und gefühlt und die Not der anderen zu der eigenen macht, kennt nur noch die eine Sehnsucht: helfen! helfen! helfen! Hilfe aber kommt nur vom Herrn und von dem, der zum Helfen gesandt wird, von oben!
Förderst du den Helfer, hilfst du, Not und Leid beseitigen; hemmst du aber den Erwarteten, so stehst du auf der Seite Derer, die Not und Leid über Land und Volk brachten. Darum, wache auf und erkenne die Zeit, wo der Herr Sein Volk heimsucht und aufs neue Seine Liebe bekundet! So sei des Herrn Wort deine Waffe und das Vertrauen zum heiligen Werke deine Kraft!
Gott mit dir und dem kommenden Messias! Amen."
Die anderen Hausgenossen waren tief ergriffen von den Worten ihres Hausvaters, es war für sie eine heilige Handlung und für Johannes eine Weihe.
Tief ergriffen reichte er dem alten Elim die Hand und sprach: „Vater Elim, seit Jahren suche ich mit Eifer das für mich erlösende Wort. Wie würde sich meine Mutter freuen, so sie in mein Inneres schauen könnte und sehen würde: jetzt ist die Stunde da, wo ich endlich zur befreienden Tat schreiten kann!
O Gott, du Hüter Israels, lasse mich dieses dein mir zugedachtes Werk vollenden ganz nach deinem Gebot! Du aber, Vater Elim, segne mich aus dem Geiste deines Glaubens, deiner Kraft und Liebe!"
Johannes kniete vor dem Alten nieder, dieser aber erhob seine Hände gen Himmel und sprach:
„Herr und Gott und Schöpfer Himmels und der Erden! Voll Sehnsucht im Herzen rufen wir Dich an in dieser wichtigen und weihevollen Stunde, um Dir ein Bekenntnis abzulegen von unserer Liebe zu Dir!
Um Dich aber recht lieben zu können, brauchen wir Deinen Geist, Deine Kraft und Deinen Segen!
Wir bitten Dich: tritt in unsere Mitte – wenn auch unseren Augen unsichtbar. Doch lasse Dich in unseren Herzen fühlen und empfinden, damit nicht wir, sondern DU der Geber aller Kraft und allen Segens bist!
So nimm nun hin, Johannes, das Zeugnis aus mir: Gott hat dich geweiht als Vorläufer und Wegbereiter für Den, der unendlichmal höher steht denn wir – und mit Gott geeint – Sein Werk beginnen will. Erkenne recht: ER ist der Herr und wir Seine Diener. ER ist das Licht – und wir Seine Strahlen. Gehe auf in Seinem Werk, damit der Segen Allen zugutekomme! — — —
So geschehe nach Deinem Wort, o Herr und Gott, Dein allein heiliger Wille! Amen."
Johannes erhob sich und sprach leise: „O welch ein Segen! Welch eine Kraft!
Nun brauche ich nicht zu fürchten und zu bangen, Unrecht zu tun. Gott ist mein Schutz und mein Bürge. Aber nun lasst mich scheiden, sonst erreiche ich nicht mein Ziel."
Bis an die Türe begleitete Elim den Johannes, öffnete und sprach: „So öffne du dem Herrn das Tor, wie ich dir jetzt öffne und dir zeige den Weg zu deinen armen, verirrten Brüdern, damit Er kommen kann zu all denen, die du von der Ankunft zu unterrichten hast. Gott mit dir, Gott mit dir!"

Voller Freude und einem ihm unbekannten Eifer im Herzen eilte Johannes nun schnellen Schrittes nach dem Ort, wo Sergius wohnte. Bei untergehender Sonne war er dort.
„Sergius, mein guter Sergius, freue dich mit mir! Ich habe überwunden und kenne nun meinen Weg!" — Mit diesen Worten überfiel er förmlich den Sergius. — „Was habe ich nicht seit gestern erlebt l Nun ist Klarheit, Gott braucht mich und hat mein Wollen angesehen und angenommen. Die Zeit ist da, und keine Stunde mehr ist zu verlieren."
„Das ist recht", antwortete Sergius, „aber wie kommt es, dass du so überzeugt bist. Lasse mich ganz teilnehmen an deiner Freude, damit auch ich dich segnen kann, segnen für deine Arbeit für den Herrn."
Nun berichtete Johannes ausführlich. Sergius war von den Worten tief ergriffen und in seinem Herzen war eine grosse Freude.
So sagte er mit Rührung: „O Johannes, wie muss Gott gelitten haben, dass wir solange an der Wahrheit vorbeigingen! Und wie gross muss Seine Freude sein!
Denke immer daran; denn: was Gott beginnt, soll allen Menschen zum Heile dienen.
Heute bist du noch allein, morgen können es schon zehn und in einem Monat hundert sein, die ihre Hände und Füsse für Je s u m, den kommenden Messias, regen.
O Du mein Gott und Herr, wie danke ich Dir für diese Stunde, die mir Gewissheit gibt, dass JESUS, Dein Auserwählter, nicht mehr allein steht! – Nun will ich gern von dieser Erde gehen, denn meine Augen haben Den gesehen, den Du bereitet hast zum Heile aller Seelen.
So gib deinem Knecht Johannes die rechte Tatkraft, das rechte Wollen und Deinen reichen Gottessegen! Amen."
Nun sorgte Sergius für seinen Schützling wie eine Mutter und bereitete sein Lager selbst, das er zuvor segnete.
Mit dem frühen Morgen schied Johannes voller Freude und besuchte die Grabstätte seiner Mutter.
„Wie ich Abschied nehme von deinem Leibe, meine Mutter, so nehme ich Abschied von der Vergangenheit!
Vor mir das Leben – hinter mir der Tod. Leben habe ich empfangen! Leben will ich spenden! Dies sei mein Dank und nun mein Wollen!"
Bald eilte er in Flecken, bald in Schulen, überall verkündend das grosse Ereignis: das Himmelreich ist nahe herbeigekommen! Den Templern und Priestern zeigte er ihr verkehrtes Tun und Treiben und riet zur Busse und Änderung ihres Wesens, und überall weckte er das Interesse für das kommende Heil ihrer Seelen.
So wurde er immer sicherer im Auftreten und in der Abwehr, da ihn allerorts die Priester gerne abgetan hätten.
Die Schar der Zuhörer wuchs. So sah er sich genötigt, Jünger anzuwerben, die gleich ihm die Ankunft des Himmels verkündeten. Bei allem Eifer war er doch nicht recht zufrieden mit dem Erfolg. Obwohl sich die Zuhörer zerknirscht an die Brust schlugen und die grosse Wahrheit erkannten, fehlte ihm die rechte Befriedigung.
So suchte er einsame Orte und führte mit seinen Jüngern ein streng kasteiendes Leben, um den Erfolg zu beschleunigen. Das Einfachste von Kleid und im Essen und Trinken war ihm gut genug, nichts konnte ihn entzücken, die Welt war ihm ein grosses Übel, was, nach seiner Meinung, nur mit schärfsten Mitteln beseitigt werden konnte!
So schwang er die Geissel und wurde ein gefürchteter Gegner des Tempels, aber auch ein Freund des Geknechteten.
Endlich hatte er den Erfolg, den heissersehnten: in sich hörte er die Stimme Gottes, die ihm Anweisung und Belehrung gab. Sein Leben gestaltete sich nun ganz nach den Anweisungen seiner inneren Stimme - und er wurde demzufolge ein noch schärferer Gegner des Tempels und Verfechter des kommenden Heiles.
Die Stimme hiess ihn in die Wüste zu gehen, am Jordan zu taufen und in Allem noch strenger mit sich zu sein, damit die Priester und Leviten keinen Grund hätten, über ihn zu triumphieren.
Diese Stimme machte aus ihm einen rechten Herold für den kommenden Heiland, denn er sprach mit einer Überzeugung von Dem, Der da eher war denn Abraham und ihn zu einem Prediger in der Wüste gemacht hat.



Alles weitere aber steht geschrieben von den Evangelisten, und ist neu geoffenbart vom Herrn Selbst durch Jakob Lorber!