Heft 14. Pfingsten

Inhaltsverzeichnis
01. I. Die Würdigung des Kreuzes in einer anderen Welt
02. II. Die grosse Wendung nach Jesu Himmelfahrt
03. III. Das Zeugnis der Freunde Jesu vor den Templern
04. IV. Ermahnungen zur Liebe!
05. V. Wer und was ist uns Jesus?
06. VI. Erntedankfest ist Bethanien
07. VII. Was ist der Heilige Geist?
08. VIII. Pfingsten!
09. IX. Abschied von Bethanien
 


I. Die Würdigung des Kreuzes in einer anderen Welt.
 

„Alle eure Traurigkeit wird in Freude verwandelt werden!" (Job. 16, 20.) Diese Verheissung hatte sich sogleich erfüllt! Denn nach dem Abschied Jesu in Seine Himmel fühlten sich alle Herzen so voll Ruhe, Kraft und Frieden.
Demetrius hatte inzwischen das Haus des Priesters Enos käuflich erworben und schenkte es jetzt der Mutter Jesu zum Eigentum. Maria aber stellte es sogleich den Jüngern zur Verfügung, wodurch sie ein festes Heim in Jerusalem erhielten und nun wussten, wo sie sich jederzeit leicht zusammenfinden konnten. Die Jünger waren auch froh darüber, und beim Sinken der Sonne kehrten sie beschwingt nach Jerusalem zurück.
In Bethanien versammelten sich am Abend des Himmelfahrt-Festes alle noch anwesenden Gäste, und Ursus bat, aus übervollem Herzen zu allen sprechen zu dürfen. „Freunde und Brüder", begann er, „bald werden auch wir unser liebes Bethanien verlassen, und darum möchte ich euch etwas von dem wunderbaren Erlebnis kundgeben, das der Herr uns in der letzten Nacht geschenkt hat. Zuerst glaubte ich an einen lebhaften Traum, da aber Bruder Theophil ganz dasselbe erlebt hat, muss es volle Wirklichkeit gewesen sein!" „Ich wusste es schon", bestätigte Lazarus, „dass ihr beide in dieser Nacht eine ausserordentliche Weihe empfangen habt, und wir hören und erleben gern diese seltene Gnade des Herrn an euch gleichzeitig mit."
Und Ursus erzählte: „Als wir gestern auf dem Ölberg sassen (siehe Heft 13, Seite 88), segnete der Herr uns schweigend, und mir war plötzlich, als wenn ich auf einer geraden, lichtvollen Strasse wanderte. Vor mir in der Ferne lag eine grosse Stadt; doch rechts und links Gärten und Fluren in ausserordentlicher Pracht. Ich wandte mich, da sah ich Bruder Theophil in Begleitung eines Fremden hinter mir herschreiten; wir schauten uns an, reichten uns die Hand, und Theophil sprach erklärend: „Dies ist unser Führer, doch wohin wir wandern, ist mir unbekannt, da ich mich eben jetzt erst auf dieser Strasse befinde."
Ich betrachtete unsern Führer, der mit einem langen weissen Mantel bekleidet war, welchen ein goldener, mit Edelsteinen besetzter Gürtel zusammenhielt.
Freundlich ernst sprach er zu uns: „Nach dem Willen des Herrn habe ich den Auftrag, euch in die Welt eures Vor-Lebens zu führen, und sobald ihr durch die Pforte gehet, die in euer Elternhaus führt, werdet ihr die Rück-Erinnerung erhalten. Doch handelt es sich nicht nur um das Schöne, was ihr erleben werdet, sondern vielmehr um das Grosse, das durch euch eure früheren Väter und Vorväter erfahren sollen als der Gottes-Liebe grösstes und herrlichstes Wunder! Ich bin nicht nur euer Führer, sondern auch euer Diener, und gern bereit, eure Fragen zu beantworten."
So fragte ich: „Sage uns, wo sind wir eigentlich, und wohin führt diese Strasse? Es erscheint mir alles so unbegreiflich, so wunderbar!"
Freundlich antwortete unser Führer: „Wir sind hier in einer Welt, für die die Erde keinen Namen hat, da sie dieselbe nicht sieht und darum auch nicht kennt. Die Strasse, auf der wir gehen, liegt eigentlich in euch, und das Ziel ist eure frühere Heimat. Fern und getrennt von dem herrlichen Lebens-Ziel kam euch ja nicht zum Bewusstsein, wie entfremdet ihr dieser Heimat waret, bis der Herr in euer Leben trat." „Du sagst, dass wir die Welt betreten, die früher unsere Heimat war, wer beweist uns aber dieses?" fragte ich. Und der Führer antwortete: „Euer eigenes Erinnern, das plötzliche Erkennen: Ja! dies war mein Vaterhaus! Diese Menschen kenne ich alle! Auch werden alle eure Brüder, Väter und Vorväter euch erkennen, und dann wird euch die Erinnerung an dieses Erdenleben sein wie ein Traum! — Bedenket ihr aber, dass es die allergrösste Gnade ist, die der Herr euch hiermit erweist, dann werdet ihr auch die herrliche Aufgabe lösen wollen, die hier euer harret."
Nun kamen wir an das Tor einer grossen, prächtigen Stadt. Die turmartigen Dächer und Kuppeln glitzerten im hellsten Licht, aber eine Sonne sah ich nicht. Ehe wir klopften, tat sich das Tor auf. Wir gingen hindurch und durchschritten eine Allee der schattigsten Bäume. Rechts und links sahen wir viele Menschen versammelt; ein ehrwürdiger Greis mit langem weissem Haar und Bart kam auf uns zu, nahm Theophil und mich bei der Hand und sprach gütig: „Willkommen, Tschia und Tschena! Eure Ankunft wurde uns schon durch einen Himmels-Boten gemeldet!" und sich vor unserem Führer verneigend, sprach er weiter: „Habe du Dank für deine Mühe, diese unsere Brüder sicher hierher geführt zu haben, und erfülltest deinen Auftrag." Jubelnd umringten uns alle und riefen „Willkommen! — Willkommen!" uns entgegen.
Unser Führer aber sprach: „Es bedarf eures äusseren Dankes nicht, da wir ja Diener des grossen Gottes sind; und unsere grosse Freude ist es, so wir Seinen Willen erfüllen! Doch höre nun den Auftrag meines wie auch deines Herrn: Wenn euer Fest seinen Höhepunkt erreicht hat, habe ich diese eure Brüder wieder nach ihrer Erde zurückzubringen! Darum bitte ich, beginnt nun mit diesem Feste, welches für beide ein tiefes Erlebnis bleiben soll und den Grund ihres Bewusstseins festigen wird, aber auch euch zu freien und frohen Kindern des grossen Gottes machen soll!"
Auf ein Zeichen des Ober-Hirten ertönte nun Gesang, und wir alle gingen nach einem hochgelegenen freien Platz. Wohin das Auge blickte, warteten schon Menschen, und ein Jubel, der nicht aufhören wollte, umfing uns. Auf diesem Festplatz stand ein offener Tempel, nur hohe Säulen trugen ein breites Dach; doch mitten darin stand ein kleiner Altar, der von allen Seiten gut zu sehen war, denn ringsum führten zehn Stufen hinauf. Der ganze Tempel war von durchsichtigen grünen und gelben Steinen erbaut, die wie Diamanten funkelten und blitzten.
Wieder ertönte herrlicher Gesang: „Heil Dir — du grosser ewiger Gott! Der Du Licht und Kraft und Weisheit bist! Heil Dir und allen Deinen Völkern, die Licht und Kraft von Dir erhalten, und sie durch Deine Weisheit in Gottes-Dienst umstalten! Heil Dir! — Heil uns!"
Während dieses Gesanges betete der Ober-Hirte; nach Beendigung aber trat er vor den Altar und sprach feierlich: „Meine lieben Kinder und Kindeskinder! Nach dem Willen des grossen Gottes erhielt ich den Auftrag: „Veranlasse deine Gemeinde, dass sie sich versammle zu einem würdigen Fest! Denn ihr alle sollet Kunde erhalten von den gewaltigen Vorgängen auf der Erde, welche die ganze unendliche Schöpfung in tiefe Erregung brachten, und erfahren von dem heiligen Wunder der göttlichen Liebe, welches die Bewohner aller Welten zu den seligsten Wesen umstalten will!"
Ich fragte den lichten Überbringer dieser Gottes-Botschaft: „In welcher Art sollen wir dieses Fest feiern?" und er antwortete: „Versammle alle in feierlicher Stille zu einem Feste, wo sie nichts als nur ihr Herz zu einem Altare vorbereiten sollen! Alles andere wird der Herr und grosse Gott euch kundgeben durch eure Kinder Tschia und Tschena, welche Er zu diesem Dienste von der Erde zu euch senden wird! Sie sind zu uns gekommen in Begleitung dieses Gottes-Boten. Darum, meine Kinder, öffnet eure Augen und Ohren, ja, öffnet eure Herzen, um die Botschaft zu empfangen, die der heilige Gott uns zugedacht!"
Ein Posaunenstoss ertönte — da sanken alle Anwesenden betend zu Boden und verharrten Minuten in ernstem Schweigen.
Nun trat unser Führer, es war der Engel Rafael, vor den Altar, und auf seinen Wink erhoben sich alle vom Boden; dann sprach er laut: „Bewohner dieser sonnigen Welt! Der Wille des grossen Gottes, der alle Welten erschuf, hat mich zu euch gesandt, um euch eine Freude zu überbringen, die euch für ewig glücklich machen wird. Wie ihr wisset, bestehet die Gefahr, dass alles, was schön und herrlich hier gestaltet ist, doch dem Verfall entgegen gehet, wenn ihr alle, vom Kleinsten bis zum Grössten, nicht die nötige Sorgfalt anwendet, um eure Welt in diesem herrlichen Zustand zu erhalten! Ihr wisset durch frühere Boten des Herrn aber auch, dass der Feind alles Schönen und Herrlichen euch einst zu betören versuchte, indem er einen Reiz in euch erwecken wollte, der euch zu unzufriedenen und ruhelosen Bewohnern dieser schönen Welt gemacht hätte.
Ihr tatet recht, den Boten des Herrn zu vertrauen, und dafür dankt euch der grosse Gott und will euch ein Gnaden-Geschenk reichen durch diese Brüder (Ursus und Theophil waren in ihrem Vorleben zwei Brüder). Ihr habet schon Kunde erhalten, dass der heilige Gott selbst auf der Erde, die diesen euren Brüdern jetzt als Aufenthalt und Schulungs-Ort dient, auch ein Mensch geworden ist, um allen Seinen geschaffenen Wesen die unermessliche Gnade zu reichen, dass sie nun, je nach ihrem eigenen freien Wollen und Tun, auch ein seliges Kind des grossen Gottes werden können! Eure beiden Brüder sind meine Zeugen; sie werden nun zu euch sprechen und euch weiter unterrichten nach dem heiligen Drang in ihren Herzen."
Nun trat Theophil an den Altar, hob die Hand zum Grusse und sprach: „Brüder! — Schwestern! — Väter und Mütter! Es war mir zuerst, als hätte ich nur einen schweren Traum durchlebt, seit ich von hier abwesend war — aber jetzt weiss ich, dass ich noch ein Bewohner der Erde bin und nur auf ganz kurze Zeit bei euch sein darf, die ihr alle einst meinem Herzen so nahe standet! Ja, eure Welt ist ein Himmel! — ein Himmel gegen unsere dunkle Erde! Eure ganze Art, zu leben ist eine Wonne, aber so viel Glück kann leicht müde und träge machen.
Wir, auf unserer Erde, kennen wohl auch Wonnen und Glück, aber durch viel Streit und Leid werden wir immer wieder zum bitteren Kampfe um diese Güter angespornt, denn der Feind alles Göttlichen hat durch seine Macht und List fast alle reine Freude und Zufriedenheit in den Herzen der Menschen getötet, wodurch Unfriede, Herrschsucht und Lieblosigkeit wucherten. In dieser grössten Not der Trübsal und Gottes-Ferne hat sich Gott, der allmächtige Schöpfer aller Wesen und Welten, der armen Erde und ihrer verführten Bewohner erbarmt und wurde selber — Mensch dort! — Mensch wie wir, um uns einen Rettungs-Weg zu bahnen heraus aus allem Irrtum der Unwissenheit, zurück zum strahlenden inneren Frieden und Seligkeit, in Gottes Nähe zu leben! Dieser Gott-Mensch — Jesus benannt — hat durch die in Ihm reifende Kraft der völligen Selbst-Verleugnung alle an Ihn herantretenden Versuchungen zur Eigenliebe siegreich überwunden und ist dadurch ein Herr über alle Kräfte in Sich wie auch in der grossen Natur geworden! In Demut und Liebe hat Er es uns vorgelebt, wie jeder Mensch den in ihm wohnenden Gottes-Willen zu seinem eigenen Gesetz machen kann, und durch all Seine Lehren über den rechten Entwicklungsweg der göttlichen Anlagen im Menschen und die überragende Wirkung Seiner heilenden Wunder-Kräfte hat Er Sich ein bleibendes Denkmal in vielen Herzen geschaffen.
Sein Ziel war, uns eine ganz neue Gottes-Liebe zu lehren, um die selbstlose Liebe zum Nächsten, wie zu allen Gefallenen, in uns zu erwecken, damit wir Ihm nachfolgen lernen und an Seinem grossen Erlösungswerke tätige Mitarbeiter werden. Aber der Feind Gottes hat die schwachen Menschen so beeinflusst und sogar die Priester so irre gemacht, dass sie diesen göttlichen Heiland und Erlöser von allen Übeln zu einem schmachvollen Sterben am Kreuze verurteilten! — Und Er — liess es widerstandlos an Sich geschehen! —
Ihr erschauert unter meinen Worten und fraget euch: „Was hat all dieses aber mit uns zu tun?" O meine Lieben alle, sehr viel, sehr viel! Denn dieser grosse Verführer macht nicht halt bei uns und auf unserer Erde, nein, er wird versuchen, auch euch in seine Fall-Schlingen zu verstricken, um euch den heiligen Frieden in eurer Innenwelt zu rauben! Euch nun diesen Rettungs-Weg zu zeigen, sind wir hier, und festlich soll der Akt sein, wo vor euch das hehre Symbol dieser Erlöser-Liebe enthüllt wird, um auch euer Wegweiser in das innere Gottes-Leben zu werden.
Durch den Kreuzes-Tod Jesu wurde uns allen erst offenbar: Wie — Gott liebt! Wie Er stets besorgt ist um das Wohlergehen aller Seiner Geschöpfe und den verirrten Seelen das allein rechte Mittel reicht, zu Ihm zurückzufinden, um ihre Herzen wahrhaft und für ewig glücklich zu machen! Das Symbol Seines Kreuzes ist nicht nur der Inbegriff der reinsten und heiligsten Liebe Gottes zu Seinen Kindern, sondern zugleich der Wegweiser, durch freiwilliges, oft schmerzvolles Absterben von allen irdisch-vergänglichen Wünschen und Neigungen, sich dem heiligen Willen Gottes ganz zu unterstellen und dadurch zu unserer hohen Vollendung zu gelangen! So gebet uns nun kund, ob ihr willens seid, euch zu Aufnahme-Gefässen und Trägem dieses Seines Geistes zu machen? Doch nur euer freiester Wille entscheide hier!"
Nach einer kurzen Stille gab der Ober-Hirte ein Zeichen und sprach: „Tschena! (Theophil) Sohn und Bruder aller, die hier weilen, deine Rede gab uns ein Bild von eurer Welt, welches uns alle tief erschüttern musste, aber gleichzeitig ja auch eine liebliche Hoffnung und Verheissung. Doch haben wir noch nicht nötig, Ausschau zu halten nach einem Retter und Erlöser, da wir hier in einem Sonnen-Lande leben und sonnige Wesen sind, obgleich es auch schon vorgekommen ist, dass unser glückliches Leben — manchen müde und stumpf machte.
Wir wissen vom Gottes-Geist, dass er ein Feuer ist, welches alles verzehrt! Deshalb begnügen wir uns, so wir in den Strahlen seiner Licht-Hoheit uns sonnen. Was brauchen wir mehr? Solange wir denken können, war es so, und hoffen, dass es auch immer so bleibe! So habe ich gesprochen im Sinne Aller!"
(hiermit ihre Lauheit durch ihr bequemes Leben schon offenbarend! Und ist es nicht im Erdenleben ebenso?) Hier trat nun ich (Ursus) an den Altar, segnete alle mit dem Zeichen des Kreuzes und sagte: „Meine Teuren! Bald ist diese Gnaden-Stunde beendet und wir müssen zurück auf unsere Erde. In meinem Herzen aber fühle ich einen Schmerz, weil ihr Geliebten den Sinn und den Geist unserer Worte noch nicht erfassen könnet. Darum will ich versuchen, an euren Herzen zu rütteln, damit ihr euch besinnet auf die grosse Gnade, die wir euch hier überbringen sollten!
Meine Lieben! Es muss dem Herrn und Schöpfer aller Welten doch sehr viel daran liegen, euch diese Seine Gnaden-Botschaft durch uns zu übermitteln! Ich weiss, dass in dieser Zeit die Bewohner aller Welten von diesen heiligen Vorgängen auf unserer Erde unterrichtet werden, damit alle Herrschaft des Feindes von Grund aus besiegt werde, und die frei gewordenen Menschen sich selber zu „Kindern" des grossen Gottes umstalten. Denn Er, der heilige Gott und grosse Geist, will geliebt sein von allen Menschen und will allen Wesen ein Vater sein! Darum offenbarte Er uns Menschen als Jesus diese Seine grosse Liebe, die in Seinem Herzen lebt für alle Seine Geschöpfe. Eine Liebe, für die wir keinen Ausdruck finden! Eine Liebe, die das eigene Leben nicht achtete, aber besorgt ist um das Wohlergehen aller Seiner Kinder! Eine Liebe, die selbst den Tod besiegte und allem Sterben die Macht des Schreckens genommen hat! Wollt ihr, dass ich euch von dieser Liebe noch mehr sage?"
„Sprich weiter, Tschia (Ursus)!" bat der Ober-Hirte, „deine Worte sind wie ein Pfeil, der in alle Herzen eindringt, aber nicht verwundet. Sprich weiter, denn wir sehnen uns, von dieser Liebe noch mehr zu erfahren!"
Da sagte ich: „So helfet mir, einen langen und einen kurzen Balken zuzurichten, damit das Zeichen dieser höchsten Liebe selbst zu euch sprechen möge!" Es geschah; in kurzer Zeit waren Balken, Nägel und Handwerkszeug zur Hand, und so errichtete ich ein Kreuz, wie ich es auf Golgatha gesehen hatte! (Heft 13, Seite 83) Hoch hob ich es auf den Altar und liess es von Theophil festhalten.
Gespannt schauten aller Augen auf uns, da sagte ich laut: „Meine Geliebten! Hier sehet ihr ein Kreuz! Bisher das Zeichen grösster Schande, daran sterben zu müssen; doch von nun an, bis in alle Ewigkeit hinein, das hehre Zeichen der grössten Opfer-Liebe!
An einem solchen Kreuze hauchte die Mensch gewordene Gottes-Liebe ihr Leben aus und löste damit die Verheissung ein, welche der Schöpfer einst den ersten Menschen der Erde gab, als sie der Versuchung des Lebens-Feindes zum Opfer gefallen waren und dem paradiesischen Umgang mit Gott dadurch entsagen mussten! Durch diesen freiwilligen Opfer-Tod für Seine verirrten Kinder wurde der Geist, der im Gott-Menschen Jesus lebte, völlig entbunden und wurde uns Menschen zum ewigen Geschenk gereicht, um den vertrauten Umgang mit Gott wiederherzustellen (wie einst im Paradiese). Es ist nur die eine Bedingung damit verknüpft: „Glaube und vertraue dieser heiligen Gottes-Liebe, dass sie dir helfen will aus aller Not, und bemühe dich, dass diese Liebe auch in dir Raum gewinne, um dich aus einem schwachen Erdenmenschen zu einem strahlenden Gottes-Kinde zu entwickeln! Denn wer sich Jesu Innen-Leben und Seine selbstlose Liebe aneignet, in dem wächst und blüht alles Himmlische wie von selbst!
Sehet es an, dieses Symbol! In allen Himmeln wird es als höchste Zierde auf den Altar der Gottes-Anbetung gestellt, und schweigend verkündet es jedem von der grössten Liebes-Tat unseres heiligen Gottes und Vaters. Von nun an kann jeder Mensch Sein Kind werden! Zu jeder Zeit und Stunde steht uns der Zugang zum Vater-Herzen offen und dürfen wir uns sonnen und sättigen an Seiner gütigen Vater-Liebe.
Wenn nun auch ihr, meine Lieben, dieses neue Leben euch erringen wollt, so lasset von nun an nur eure Herzens-Liebe zu Ihm sprechen!
Damit ist unsere Mission hier beendet, die euch zu den seligsten Gottes-Kindern machen will, so ihr unsern Worten glauben könnet und euch hineinleben wollet in Seine Herzens-Liebe!"
Dann sprach ich weiter: „So, wie auf unserer Erde der Allergeringste jetzt zu Ihm beten kann: „Unser lieber Vater! Der Du wohnest in den Herzen Deiner Kinder! Durchdringe uns ganz mit Deiner Liebe! Damit Dein Reich sich ausbreite an allen Orten und Dein heiliger Wille ganz der unsrige werde und es keinen Unterschied mehr gebe zwischen Deinen Himmeln und unserer Erde! Unser täglich Brot gebe Du uns, damit wir jederzeit mit den Anderen teilen lernen! Vergib uns unsere Schuld, wie auch wir gerne vergeben wollen allen denen, die uns schulden. Lasse nicht zu, dass Versuchungen uns schwächen, sondern mache uns stark gegen alle Übel! Denn Du bist Liebe! — und Kraft! — und Dein ist alles Leben, vom kleinsten Wesen bis zur höchsten Herrlichkeit, für Zeit und Ewigkeit! Amen!"
So dürfet auch ihr dann beten, und die Tore vor euren Herzen werden sich nicht mehr verschliessen. Denn wo Gott, der Ewige, als Vater wohnt, sind Seine Kinder nicht mehr Geschöpfe, sondern Erben und Repräsentanten Seines grossen, gewaltigen Reiches. Es liegt nun an euch: Wollt ihr Kinder des heiligen Gott-Vaters werden oder Diener des grossen Gottes-Geistes bleiben? Euer freier Wille sei das Entscheidende für eure künftige Gestaltung."
Ich verneigte mich tief vor dem Kreuz, dann vor den Anwesenden und stieg die Altarstufen hinab.
Da sagte der Ober-Hirte zu allen: „Kinder! Ihr habt aus dem Munde eurer Brüder diese heilige Botschaft gehört, so einfach und klar! Was wollet ihr, dass ich ihnen antworte? Sollen sie ihrem Herrn und heiligen Gott klagen: Unsere Mission ist verfehlt, weil diese Bewohner das Glück, ein Kind des Allerhöchsten zu werden, noch nicht zu schätzen wissen, oder sollen sie sagen: Sie jubeln, und in ihren Herzen ist die Freude gross. Sie fühlen sich schon jetzt als ein Kind ihres Gottes."
Da brach ein Jubel aus, wie ihn die Erde nicht kennt, und der Ober-Hirte gelobte feierlich: „Wir wollen Seine Kinder werden! Wir wollen leben wie ein Gottes-Kind! Dieses Kreuz aber soll das sichtbare Zeichen bleiben, dass wir uns bemühen wollen, solcher grossen Vater-Liebe uns würdig zu erweisen!" — Wieder grosser Jubel! Dann kamen junge Mädchen und schmückten das Kreuz mit herrlichen Blumen. „Lasst es uns in unsern grossen Tempel tragen", sprach der Ober-Hirte, „und damit zieren die Stätte, die geweiht ist dem heiligen Gottes-Geiste. Du aber, du Führer unserer Brüder, die uns die herrliche Botschaft brachten, weihe du es aus dem Geiste Dessen, dem du dienst. Und weihe uns, damit wir frei werden von unsern alten Begriffen!"
Alle knieten nieder und beteten. — Dann wurde das geschmückte Kreuz von starken Armen erfasst und in den grossen Tempel getragen; und schweigend folgten die Anderen.
Hier trat nun Rafael an den Altar, segnete die Gemeinde und sprach: „Geschmückt aus der Liebe eurer Herzen steht aufrecht das Symbol der Erlösung nun vor euch als Zeichen der Verbundenheit zwischen Gott, eurem liebenden, heiligen Vater, und euch, den werdenden Gottes-Kindern! Der Geist dieses Kreuzes, als Ausdruck der höchsten und vollkommensten Gottes-Liebe, ward ausgedrückt in Jesu Worten: „Ich habe euch geliebet bis zum letzten Atemzuge! Liebet Mich, und ihr alle werdet leben!" Ein Leben der Liebe und Freude sei all euer Denken, dann senkt sich der Himmel zu euch nieder und macht aus eurer Welt einen neuen Himmel! Und so ihr verlangend ruft: „O Vater, wir sehnen uns nach Deiner Gegenwart!" da wird Er eure Liebe prüfen und dann Selbst zu euch kommen und euch segnen. Ihr aber seid schon jetzt von mir gesegnet aus dem Geiste der höchsten Liebe, die uns dieses Kreuz offenbart, damit ihr zum Segen anderer werdet. Der Friede des Herrn sei mit euch! — Amen."
„Nun lasset uns Abschied nehmen! Der Herr ruft zu neuem Dienst, und so geschehe auch hier Sein Wille." So schieden wir und zogen heimwärts dieselbe Strasse. Doch schien mir alles so verändert, dass ich unsern Führer fragte: „Ist dies jetzt eine andere Strasse?"
Rafael antwortete: „Ursus, und du, Theophil, höret! Auch diese Strasse liegt in euch, nur mit dem Unterschied: Vor eurer Aufgabe ginget ihr eure Wege, und mit freudigem Herzen gelangtet ihr zum Ziele! Jetzt aber gehet ihr die Wege des Herrn, und euer Herz ist voll von Liebe, die nicht nach Dank fragt, sondern sich danach sehnt, dem Herrn zu danken. So tuet nach dem heiligen Drang in euren Herzen, und schon sind wir am Ziele!"
Nun erwachte ich wie aus einem Traum, sah mich auf dem Ölberg, wo der Herr zwischen uns sass, und wollte reden, aber Seine Augen sagten: „Schweige — solange Ich noch bei euch bin!" Dieses war unser Erlebnis. Ja, es lebt noch in uns, wie auch Bruder Theophil mir bestätigt!"
Da sagte Lazarus zu den Anwesenden: „Meine Brüder! Nur ein Stäubchen Seiner Herrlichkeiten habt ihr jetzt geschaut und erlebt. Was werdet ihr erst empfinden, so der Herr euer Fühlen, Denken und Tun ganz erfüllt! — Doch lasset uns heute zur Ruhe gehen, denn der kommende Tag fordert neue Pflichten und Kräfte! Und so will ich euch segnen aus dem Geiste Jesu, damit niemand den Gnadenstrom aus der Herrlichkeit Seiner Liebe vermisse!"
So suchten alle ihre Gemächer auf und ruhten im Segen Seiner Liebe. ___
Nur der lebhafte Ursus konnte nicht Ruhe finden, denn mit seinen Gedanken weilte er dort, wo er vorher im Geiste war. Und es entstand in ihm die Sehnsucht: „Könnte ich nur noch einmal dort sein, noch einmal mit dem Ober-Hirten reden! Viel zuwenig habe ich gesagt und viel zuwenig die Gnade geschildert, die wir hier auf unserer Erde erlebten!"
Da wurde es in seiner Umgebung wunderbar hell, der Engel Rafael stand vor ihm und sagte: „Ursus, warum zieht es deinen Sinn in die Ferne und lässt dir dadurch den notwendigen Schlaf rauben? Siehe, der Herr, dein Gott und ewiger Vater, wird dir jede Sehnsucht stillen, wenn deine Gedanken und Sinne von dem Bewusstsein erfüllt sind: Vater! hier bin ich! Als Dein Kind will ich jederzeit bereit sein, jeden Dienst zu erfüllen! Doch Vater, ohne Dich gibt es kein Gelingen! In dir, mein Ursus, brennt ein Feuer und drängt zum Dienen, doch gebe ich dir diesen Rat: Werde innerlich und äusserlich ganz Ruhe, damit sich alle Kraft sammle, und du in dir das Grosse erlebst, dass dein Gott und heiliger Vater in dir lebt. Was dem Lebens-Meister Jesus die Sicherheit gab, war das Bewusstsein: „Ich und Gott sind Eins." Werde auch du so sicher, dann erst wandelst du auf Gottes-Wegen, dann ist der Friede Gottes dein Teil."
Ohne eine Entgegnung abzuwarten, schied der Engel, aber in Ursus brannte die Sehnsucht noch heftiger, den Auferstandenen selbst zu fühlen und zu schauen. Da klang es ganz leise in ihm: „Ist dir Meine Liebe nicht genug?" Ursus schaute sich um, aber finster war es überall um ihn. Da sank er auf die Knie und rief: „Vater! Jetzt bin ich Dein Kind! Nun weiss ich, Du hast auch mich erwählt und mein Herz als Wohnstätte angenommen! O ich Glücklicher! Ich weiss, Du bist mir nahe. So soll auch Dir mein Leben gehören, weil Du Dich mir geschenkt hast. Nun kann ich in Dir ruhen, in Deinem Frieden ruhen!"


II. Die grosse Wendung nach Jesu Himmelfahrt.

Früh regten sich am anderen Morgen die fleissigen Hände, denn es galt, für viele zu schaffen. Als Demetrius in das Wohnzimmer trat, begrüsste ihn Lazarus herzlich, doch da er einen Schatten auf seinem Gesicht sah, fragte er: „Bruder! Du siehst heute nicht froh aus, was bedrückt dein Herz an diesem herrlichen Morgen?"
„Deine Liebe belastet mein Gemüt, lieber Lazarus", sprach Demetrius sinnend, „denn unser Aufenthalt in Bethanien, samt unserer grossen Karawane, ist doch eine Last für euch, und von einer Entschädigung willst du nichts wissen! So drängt es mich, dir zu sagen: ich denke an unser Scheiden."
„Mein Demetrius, diese Sorgen sind doch unnötig", entgegnete ihm Lazarus, „ihr wisset doch: alles, was wir hier empfangen, ist ein Geschenk des Herrn! Ausserdem haben deine Leute mitgearbeitet in den Gärten und Plantagen und viel nützliche Arbeit geleistet. Darum bitte ich dich, noch ruhig zwei Wochen mein Gast zu bleiben, denn es sind noch besondere Segnungen vom Herrn zu erwarten."
„Bruder Lazarus", sprach Demetrius, „deine Liebe ist Kraft, die wie beruhigend auf mich überströmt. Ich empfinde, dass heute bei mir eine Wendung eingetreten ist durch den aussergewöhnlichen Abschied des Herrn gestern und vermute, dass dies auch bei Anderen so sein wird. Solange Er als Mensch in euren gesegneten Landen weilte, eilten eure Gedanken zu Ihm und lösten in euch Kräfte, die die Erhaltung eures Daseins förderten. Nun ist Er aber von uns gegangen! Wo willst du den Herrn nun suchen mit deinen Gedanken und Empfindungen? Ist von heute an die Welt nicht eine andere um uns?"
„Mein Bruder Demetrius", antwortete Lazarus sinnend, „deine Gedanken sind nicht ohne Grund, auch ich habe heute die Umgebung wie mit anderen Augen angesehen! Mir war, als wenn das Mass von Pflicht viel grösser geworden sei, als stände ich wie allein da, als der, der die Verantwortung für alles trägt! Aber in mir fühle ich doch, wie das Bewusstsein mir Ruhe gibt: Wir sind ja alle des Herrn! Seine Liebe hat vorgesorgt und schuf in uns ein Denkmal. Ein einziger Gedanke an Seine Liebes-Tat am Kreuze ist wie ein Segensstrom, der alle Gedanken und Sinne neu belebt zu neuem Tun! Dass der Herr nicht für immer als Mensch auf der Erde bleiben würde, hörten wir oft aus Seinem Munde. Ebenso kündete Er uns von Seinem Leiden und Sterben. Doch hat Er uns auch so vieles Verheissungsvolle hinterlassen, und manches davon hat sich auch schon erfüllt! Wie sich aber auch diese Ereignisse oft überstürzten, habe ich doch nie aufgehört, deshalb etwa anders zu denken oder zu handeln!"
Da trat Martha ins Zimmer und sagte zu ihrem Bruder: „Lazarus, es ist heute kein Fertigwerden; und mit dem Frühmahl wird es etwas später werden als sonst. Mir ist, als wären unsere Hände der Arbeit ungewohnt."
„Du irrst, Schwester", engegnete Lazarus, „dein Herz ist nicht frei von Trauer, weil deine Liebe zum Herrn einen Schmerz erleiden musste, ähnlich wie am Karfreitag! Er ist freilich nun fortgegangen von uns, aber doch mit der Verheissung: „Ich komme wieder!" Bereite dich innerlich darauf vor, dass, so Er heute schon käme, das „Willkommen" für Ihn an deiner Herzenstür leuchtet. Dann wirst auch du die Gedanken abschütteln, die dein Tun und Schaffen hemmen wollen! Denke an Magdalena, welch ein inneres Erfülltsein von Ihm aus all ihrem Tun und Reden spricht! Sie kann sich in den Gedanken: der Herr ist von uns gegangen, einfach nicht hineinleben, da Er nie aus ihrem Herzen gehen kann. Besprich dich mit ihr, und deine Ruhe wird zurückkehren."
Gegen Mittag, als wiederum viele Gäste von Bethanien geschieden waren, wollte Lazarus mit Ursus und Theophil eine Fahrt nach Jerusalem veranlassen, um die Brüder in ihrem neuen Heim zu besuchen. „Denn morgen, zum Sabbath, ist es unschicklich, nach der Stadt zu fahren." Doch Demetrius und Enos wollten sich ihnen anschliessen und baten, auch die Mutter Maria mitzunehmen, da sie ihr das neue Haus übergeben wollten.
Unterwegs kam ihnen der Pächter der Herberge entgegen und wollte um Auskunft bitten in betreff all der neuen Gerüchte über des Meisters Abschied von dieser Erde.
„Beruhige dich, mein Bruder", antwortete Lazarus, „alles hat seine natürlichen Gründe. Ja, der Herr ist heimgekehrt oder zurückgekehrt in Sein Vaterhaus, da es ja Seine ewige Bestimmung war: nur solange uns Menschen das Himmelsgut zu reichen, bis wir fähig wurden, selber für die innere Befreiung zu sorgen. So haben wir nicht einen Verlust erlitten, sondern einen undenkbaren Gewinn erhalten, da sich jetzt die innere Gestaltung unseres Geistes-Lebens so auswirken wird, wie wir es nach unserer eigenen Liebe pflegen! Es ist nun Aufgabe der Brüder, alle Herzen im Sinne des Meisters zu pflegen und dem Einwirken falscher Begriffe mit Ruhe und Bestimmtheit entgegenzutreten."
Im Hause Enos waren die Jünger freudig erstaunt, als die Brüder aus Bethanien bei ihnen Einkehr hielten. Petrus ergriff die Hand des Demetrius und sprach voll Dank: „Bruder! Wir betrachten dieses Haus nun als das des Herrn! Es wird uns natürlich die gütige und beglückende Nähe des Herrn noch manches Mal fehlen, doch wissen wir: im Geiste ist Er mit uns und unter uns, je nach dem Grade, wie wir bei Ihm sind! Die Vorgänge der letzten 40 Tage waren fast wie ein Traum! In der Stunde der grössten Not und Zerrissenheit trat Er unter uns, machte alle Zweifel zunichte und schuf in uns andere, lebendigere Begriffe von Ihm und Seiner Wesenheit, so dass wir heute nichts weiter wünschen als: möchte Sein heiliger Wille — unser eigener Wille sein! Und möchte das Vermächtnis Seiner Liebe Allgemeingut aller werden!"
„Ich kann eure Wünsche verstehen", antwortete Demetrius, „doch mein Herz sehnt sich nach etwas anderem, was noch unausgesprochen ist. Es ist für mich, wie für Ursus von grösster Wichtigkeit, zu wissen: wohin ist Jesus nun gegangen? Sichtbar entschwand Er unseren Blicken, doch erhielten wir alle ja die Verheissung: „So wird Er wiederkommen, wie wir Ihn gen Himmel fahren sahen!" Für euch ist der Meister Geist, für mich ist Er Persönlichkeit, darum bitte ich dich, Bruder Petrus, um Aufschluss." (Wie ernst ist es dem reichen Römer um eine klare Vorstellung von Jesus! — auch uns?)
Da antwortete Petrus: „Bruder Demetrius! Ich möchte, dass meine Worte dich befriedigen und du dich nicht falschen Vorstellungen hingibst. Auch für uns ist der Meister ganz Persönlichkeit! Sein Leben, Tun und Schaffen wird durch Seinen Tod und Seine Auferstehung durchaus nicht wirkungslos, im Gegenteil: Immer wird Sein Leben als Mensch im Vordergrund stehen, und immer wird Sein Leben als Mensch unser aller Vorbild bleiben! Denn gerade dieses war ja der Hauptzweck alles dessen, warum die ewige Vater-Liebe Mensch geworden ist! Wenn Er, wie in den vergangenen 40 Tagen, in Seinem geistig unzerstörbaren Leibe zu uns kam, so war Er doch derselbe Jesus wie in Seinem Leibesleben, nur mit dem Unterschied: Sein Fleisch verhüllte uns den Lichtmenschen, der in dem Menschensohn Jesus wirkte und tatkräftig alles ausführte, was der ewige Urgeist gleich einem Gesetz in Ihn legte.
Von unserem Meister fiel die Hülle ab. Vor unseren Augen musste das Wunder geschehen, damit wir Ihn sahen in Seiner ganzen Glorie und Herrlichkeit! Doch wenn Er um unserer selbst willen Seine Herrlichkeit verhüllte, so tat Er es nur darum, um uns nun die Gelegenheit zu geben, all diese Herrlichkeiten zu enthüllen und nach aussen zu stellen, die Er in Seiner väterlichen Vorsorge, einem Samenkorn gleich, in uns hineinlegte!
Wir wissen alle, Sein Sterben bedeutet für uns Leben, aber jedes Leben muss einmal ersterben, so nicht Tätigkeit über Tätigkeit eintritt! In dieser Tätigkeit erst lösen wir „den Geist in uns", der Sein Gnaden-Geschenk an alle Menschenkinder ist, und bleiben dadurch in steter Gemeinschaft mit dem Herrn, der — gleich Gott — überall ist!
Ja noch mehr! Es ist das Grosse und Gewaltige nun offenbar: wie der Menschensohn Jesus alle Hebel in sich in Bewegung setzte, um sich mit der ewigen Gottheit zu einen, um nur noch aus dem Geiste Gottes zu wirken und zu schaffen! So ist nun die Gottheit durch das grosse, gewaltige Erlösungs-Opfer an Jesu Liebe und Seine Wesenheit gebunden, so dass wir glauben: Es gibt nun keine Gottheit ohne Jesus mehr. Was wir mit unseren Sinnen wahrnehmen, schuf Gott, aber ewigen Bestand hat es nur durch Jesus, da Seine Liebe nun Mittel schuf, die die Erhaltung garantieren. Darum gilt dieser Jesus-Liebe unser Sein und unser Leben, damit Sein Werk seine Fortsetzung finde und die Segnungen Seiner Liebe alle Menschen erleben können!"
Da sprach Demetrius: „Lieber Bruder Petrus! So ähnlich habe ich mir „die grosse Gnade" Gottes vorgestellt! Aber zwischen Vorstellung und Wirklichkeit ist oft ein grosser Unterschied! Wir haben nun auf unserer langen Reise und bei unserem Aufenthalt in dem gesegneten Land der Juden so manches erlebt, aber gefunden haben wir bei noch keinem die Auffassung, wie du sie eben klarlegtest. Ich gebe dir vollkommen recht, aber werden deine Volksgenossen deine Auffassung teilen? Sind sie nicht bisher gewohnt, nur die Nehmenden zu sein, während der Grundzug der herrlichen Jesus-Lehre das Geben vertritt?
Es werden Tausende und Abertausende beten und bitten um Gaben, die der Herr in Seiner All-Liebe ihnen reichen soll. Du aber möchtest mit deinen Brüdern ganz Gebender sein, wie Jesus es war!"
„So ist es auch", antwortete Petrus, „in der Gemeinschaft mit Jesus lernten wir das Grosse erkennen, wie die kleinste und geringste Gabe, aus dem rechten Geist gegeben, alle Schranken niederreissen kann, die da bestanden. Wollen wir aber Seine Nachfolger werden, so kann es nur in dem Geiste des Gebenden sein, der dem Meister die Herzen öffnete, alles Trennende beseitigte und eine geistige Gemeinschaft gründete, die ewig bestehen wird. So liegt hinter uns das Wirken Jesu als Mahner und als Beweis Seiner Treue und Verbundenheit mit dem Vater-Geiste in Ihm! Aber vor uns liegt die grosse heilige Aufgabe Jesu, die Er in unsere Hände legte: wir gehören nicht mehr uns, sondern Ihm und allen Menschen, weil durch Seine grosse Erbarmung und Vorsorge das geistige Wohl und Wehe aller Menschen in unseren Händen liegt!
Denke ja nicht, dass ich zuviel sage oder übertreibe. Im Gegenteil, viel zu wenig bekunde ich noch davon, was der Meister in uns vollbracht sehen möchte! Die Welt liegt im Argen, aber dem Einfluss aller zerstörenden Mächte wurde eine Schranke entgegengestellt, indem der Meister das rechte Mittel nicht nur uns lehrte, sondern uns vorlebte!
Denke aber nicht, dass es uns nun möglich sein würde, alles Böse und Niedrige aus der Welt zu schaffen! Und wenn wir mit Engelszungen reden würden, das würde uns nicht gelingen. Aber der Meister, nun Herr von Ewigkeit zu Ewigkeit, wird uns Seinen Beistand senden. Er wird unser Führer und auch Hüter sein, und so muss Sein Werk einstmals gelingen! Ewig unantastbar bleibt Sein Riesenwerk!
In allen Welten und Regionen schauen die Wesen auf dieses gewaltige Geschehen, denn sie ahnen, was wir nun wissen: die Macht des Bösen ist gebrochen! Wir dürfen uns trotz unserer Schwachheit und Unvollkommenheit Seine Kinder nennen! Sein Sterben wird unser Heil und Seine Himmelfahrt unser Sieg! Überall, wo du bist, darfst du auch den Herrn hinbringen! Darfst in die Herzen derer, die dieses glauben, durch die erwachende Kindesliebe zum ewigen Gott und Vater den Grundstein legen zu einem Tempel, zu einem Himmel, den der Meister für ewig bewohnen will!"
Nach diesen Worten wurde es eine Weile still, dann aber sprach Ursus: „Bruder Petrus! Es ist gut, dass ich deine Worte so erfasse, wie du es wünschest, doch muss ich dir sagen: es bedarf doch einer gewissen Vorstellung: der Herr ist hier! Mir zum Beispiel wäre es unmöglich, von Ihm zu reden, wenn ich nicht die Möglichkeit hätte, mir vorzustellen: Er ist hier! Freilich könnte ich mir Ihn nur so vorstellen, wie ich Ihn sehen konnte in Seinem unzerstörbaren Leibe, während ihr, die ihr mit Ihm lebtet, Ihn euch vorstellen könnet, als Er noch im Fleische lebte."
Da antwortete Petrus: „Bruder! Gib dich nicht solchen Vorstellungen hin, damit Er dir nicht ein Phantasie-Bild werde! Um unsere Aufgabe nach dem Willen des Herrn zu lösen, ist es nicht nötig, zu äusseren Vorstellungen zu greifen, weil der Herr ja das Allerinwendigste in uns sein soll! Denn aussen kann dich das Böse noch täuschen! Alles ist nachzuahmen, auch das Bild, welches du dir vom Meister machst. Lebt aber Sein lieblich Bild in dir, von deiner Liebe bestrahlt, dann löst es ja von selbst aus, was nötig ist zum Ringen und Schaffen, und gibt dir den Beweis, dass gleich einem sprudelnden Quell alles Leben von innen nach aussen drängt!
Einst sagte der Meister: „Sorget nicht, was ihr reden werdet, zur rechten Zeit wird es euch gegeben!" Dann erzog uns der Meister so, dass wir in unserer Brust „Seine liebe Stimme" vernehmen konnten, die uns mahnte und belehrte! Was aber nun folgen wird, zufolge Seiner Himmelfahrt, wird noch gewaltiger und intensiver werden, da ja auf Seine Verheissung hin allen ein Beistand, ein Tröster gegeben werden soll!
Damit nun dem Feind alles Lebens keine Angriffs-Möglichkeiten gegeben werden, kann sich dieses Leben oder die Kraft Seines Heiligen Geistes nur als innerster Erguss offenbaren; aber nur in denen, die mit dem Herrn durch ihre demütige, hingebende Liebe eng verbunden sind. Auch wir hoffen auf „den Tag" — in uns! Und diese Stunde wird für alle Bewohner dieser Erde zum Ereignis werden. Wie der Tag von Golgatha und Seine Himmelfahrt in Bethanien für alle Unendlichkeiten das Wunder aller Wunder wurde, so wird Sein Liebes-Erguss, als heiliges Wehen aus Seinen Himmeln, das Signal zur Tätigkeit für Seine Kinder hier auf Erden werden! Von dieser Stunde an gibt es dann kein Zögern mehr! Auch du wirst dann ergriffen werden von dieser Kraft der erlösenden Heilands- und Jesu-Liebe. Dann wird dir die Vorstellung von Ihm vergehen, denn das Gefühl der Selbständigkeit in Seiner Kraft gibt dir Sicherheit und unerschütterlichen Glauben!"
„Bruder Petrus! Deine Worte geben mir heute schon Kraft und Bewusstsein", sprach Ursus, „und ich freue mich, dieses von dir gehört zu haben! Mit solchen Zeugen wie du und deine Brüder muss es gelingen, der Erde den Geist zu geben, der die Menschen zu wahrhaften Gottes-Kindern erziehen soll. Ich wollte, ich wäre Zeuge alles dessen gewesen von Anbeginn Seiner Liebes-Tätigkeit, damit auch ich, gleich euch, zu den Erwählten gehörte."
„Bruder Ursus! Tröste dich mit den vielen, die gleich dir den Herrn erst so spät erkennen durften. Doch eines sage ich dir: du bist dem Herzen Jesu genau so nahe wie wir! Nicht die Zeit und alles mit Ihm Erlebte macht den Nachfolger zum Kämpfer und Jünger, sondern nur die Liebe, mit der ich dem Meister dienen will! Mit der Entschlusskraft innigster Liebe, die alles umfassen will, gibst du dich dem Herrn zu eigen! Alles weitere folgt von selbst, denn Er ist das A und O! — Der Anfang und das Ende! Dann werden wir von Ihm getragen, und alles, was wir tun und denken, wirkt dann so, als hätte Er es selbst getan!“
Die Unterhaltung erlitt eine Unterbrechung, da die Mutter Maria für eine Erfrischung gesorgt hatte, und alle machten es sich auf dem Söller bequem. Lazarus aber fühlte sich von einer Unruhe ergriffen, seine Gedanken eilten zu der Herberge, und so ging er mit Demetrius und Ursus bald fort; den Theophil aber liess er bei den Brüdern zurück.


III. Ein Zeugnis der Freunde Jesu vor den Templern.

In dieser Herberge des Lazarus waren alle Räume überfüllt, wollte man doch die Wahrheit über die Gerüchte von Jesu Himmelfahrt hier erfahren. Der Pächter hatte seinen Gästen von dem baldigen Besuch Lazarus erzählt, und als dieser mit den beiden Römern in die grosse Gaststube trat, wurde er allseitig mit Erwartung begrüsst.
Lazarus bat freundlich: „Brüder, beruhigt euch, ich bringe frohe Botschaft! Ihr wisset, dass der Meister Selbst alle Unklarheiten über Seinen Tod und Seine Auferstehung beseitigt hat und alle Herzen im Glauben an Seine Sendung stärkt, so dass es schwer sein wird, diese Liebe und Anhänglichkeit an Ihn zu erschüttern! Aber, liebe Freunde und Brüder, der Herr konnte nicht immerfort, wie in den letzten Tagen, zu dem Einen oder Anderen kommen, da dadurch Seinem Werke grosse Gefahr drohte, nämlich — die Vermenschlichung des grossen Erlösungs-Werkes! So musste Er, um Seines Werkes willen, in Seine Urheimat zurückkehren, um von da aus den Geist Seiner Liebe und Kraft, der da keimt und wächst in den Herzen Seiner Getreuen, zu stärken und der Reife entgegenzuführen! Er kehrte in dem Bewusstsein zurück, dass ein jeder treue Bruder danach streben wird: Sein Werk im eigenen Innern fortzusetzen, und wenn möglich, es auch in sich zu vollenden!"
Da drängte sich ein alter Jude heran; hart war sein Gesicht und verbissen der Ausdruck, als er sagte: „So! Weiter kannst du uns wohl nichts mehr berichten von deinem Meister, der es so gut verstanden hat, euch alle in Seinen Bann zu ziehen, so dass ihr gar nicht mehr das Wahre vom Falschen zu unterscheiden wisst. Aber noch steht der Tempel, den Er einreissen und in drei Tagen wieder aufbauen wollte! Noch sind wir da und werden ein achtsames Auge auf euch haben. Du, Lazarus, tust mir besonders leid, könntest König von Jerusalem sein und bist jetzt nur der Vasall eines Gerichteten! Wann wird der Zauber deines Jesus endlich vergangen sein?"
Ursus fuhr auf, aber Lazarus wehrte ihm und sprach zu dem Juden: „Jeremias! Die Macht des Tempels besteht nur noch in euren Augen, er wird vernichtet werden! Der Zauber unseres Heilandes Jesu aber wird erst beginnen! Wohl habt ihr den zweifelhaften Ruhm euch erworben, den Besten und Edelsten der Menschen hingerichtet zu haben! Aber dieses konnte nur geschehen, weil Er es an Sich geschehen lassen wollte!
Ihr aber ahnet nicht, welchen Dienst ihr damit der ganzen Menschheit geleistet habt, denn durch Seinen schmerzlichsten Opfer-Tod wurde der Geist uns allen erst offenbar, von dem der Meister ganz erfüllt war! Dieser Geist wird auf Seine Nachfolger überströmen, wird alle mit Kraft und Ausdauer erfüllen, bis das Werk vollendet ist! Dieser Sein Geist wird aber auch alle Lüge und Bosheit an den Pranger stellen! Darum, lieber Jeremias, freuen wir uns, sobald dieser Geist der erlösenden Jesus-Liebe alle Herzen erfüllen wird!
Oder bist du und deine Genossen der Meinung, dass die herrliche erhabene Lehre des Meisters aus Nazareth mit Seinem Tod schon ihr Ende gefunden hätte? So wie der Meister dem Grabe entstieg und uns allen die frohe Botschaft überbrachte: ,Ich lebe! und ihr sollt leben durch Mich!', so wird auch Seine Lehre weiterbestehen und weit über die Grenzen unseres Vaterlandes hinaus Verbreitung finden."
Da endlich antwortete Jeremias: „Lazarus! Du warst, bist und bleibst ein Schwärmer! Gerade du hast den Nazarener in Seinem gefährlichen Tun und Treiben am meisten unterstützt! Nicht genug, dass du dich damals dem Volke gegenüber zu dem Betruge verleiten liessest: du seiest gestorben und begraben und wieder von den Toten erweckt worden! Du wurdest sogar der Hauptverbreiter der grössten Lüge: Euer Meister sei von den Toten auferstanden! Und jetzt lasset ihr Ihn gen Himmel fahren? Aber ihr alle habt die Rechnung ohne uns, die Hüter und Berufenen des Hauses Jehova, gemacht! Schwer wird die Hand des Herrn euch strafen!"
Nun erhob sich Ursus und rief erregt: „Meine Hand wird sich schwer auf dich legen, damit du inne wirst, was du mit deinen gehässigen Reden anstiftest. Diener Gottes nennt ihr euch? Soll ich dir sagen, was du bist und was du verdienst? Gefangengehalten müsstest du werden, und zwar so lange, bis du den Wahrheitsbeweis erbracht hast, dass unser Lazarus ein Betrüger sei, wie du es ihm eben vorgeworfen hast. Mit Lazarus meintest du so leichtfertig umgehen zu können, weil er dein Kleid und deine Stellung achten muss! Aber höre, was ich als Römer dir sage: dein Kleid und deine Stellung gelten bei uns erst in zweiter Linie, ich habe es mit deiner Gesinnung zu tun! Darum rechne nicht mit Schonung! Entweder du bringst den Wahrheitsbeweis deiner Anschuldigung, oder du nimmst deine Worte reuevoll zurück und bittest um Verzeihung! Wenn nicht, übergebe ich dich einem römischen Gericht, da, Lazarus, als römischer Untertan, unter dem Schutz des Kaisers steht!"
Lazarus wollte etwas erwidern, da bat Demetrius: „Bruder, lasse den Ursus, er wird alles zum guten Ende führen; es ist so seine Art, die Bosheit an der Wurzel zu fassen!"
„Du magst recht haben", antwortete leise Lazarus, „aber Liebe kann nur mit Geduld gepaart zum Erfolge führen."
Jeremias erschrak unter den wuchtigen Worten des Ursus, aber als er sich erholt hatte, sagte er: „Was habe ich mit dir, einem Heiden, zu schaffen? Ich fürchte dich Jüngling nicht, und deine Drohung verlache ich, denn ich stehe unter dem Schutze Jehovas! Doch merke dir, es ist gefährlich, einen Richter über uns spielen zu wollen, da der Tempel eigene Gerichtsbarkeit besitzt!"
„Gut", antwortete Ursus, „wir werden sehen, inwieweit die Lüge siegt! Dass du keinen Schaden weiter anrichtest, dafür werde ich Sorge tragen."
Es drängten nun noch andere Templer heran und wollten beruhigend auf Ursus und Lazarus einreden, aber Lazarus sprach: „Ihr seid es doch selbst gewesen, die diese Unruhe geschaffen haben! Ich bin jederzeit bereit, mit euch zu unterhandeln. Dass ich in euren Augen nichts Gutes an mir habe, weiss ich längst, aber das Gute aus Bethanien habt ihr immer angenommen!"
„Dazu haben wir das Recht", antwortete einer, „denn Gottes ist die Erde, und somit unser. Aber wir geben dich nicht verloren, sonst wärest auch du, Lazarus, gleich deinem Meister schon ein Opfer des Tempels geworden. Der Nazarener ist tot — und hat tot zu bleiben, das ist unser Wille; ausser uns hat niemand einen anderen Willen zu haben."
Jetzt stand Lazarus auf und sprach zu den anderen Gästen, die schon zu murren anfingen: „Freunde und Brüder, bleibet in der Ruhe! Lasset euch nicht beirren von dem Häuflein, das dem Meister und Heiland Jesu nicht glauben will und kann! Im Gegenteil, freuet euch, dass bald, sehr bald die Stunde kommt, wo alle Herzen wie ein Sturmwind aufgerüttelt werden! Wo ein jeder von uns ein freudiger Bekenner und würdiger Nachfolger unseres Meisters sein wird! Wo alle Welt erfahren soll: Er lebt! — Er lebt! — Wohl ist noch mancher Unglaube zu überwinden, da, wie ihr eben gesehen habt, der Tempel nicht einsehen will, Unrecht getan zu haben! Doch mancher von den Priestern bereut heute schon, mit zugestimmt zu haben zur Verurteilung unseres Meisters. Er, Dem der Tod nichts anhaben konnte, ist und bleibt Sieger! Darum darf uns das Geschrei der Unbelehrbaren vor allem nicht aus der Ruhe bringen!"
Ursus suchte den Pächter, ging auf ihn zu und sprach leise einige Worte mit ihm, dann kehrte auch in ihm die Ruhe zurück. Nun bat einer der Gäste den Lazarus um Aufklärung über das Aussehen und das Verhalten des Meisters nach Seiner Auferstehung! „Denn man kann sich nicht recht vorstellen — wie Er euch erschienen ist!"
„Bruder", antwortete Lazarus, wenn ich dir Sein Aussehen beschreiben würde, so würde ich, da noch Feinde Jesu anwesend sind, Gefahr laufen, wieder Grund zu neuen Gehässigkeiten zu geben. Da ist es doch besser, unser Bruder Demetrius, der den Heiland in Seinem Erdenleben nie gesehen hat, würde schildern, wie er Ihm begegnet ist. Dann könnten auch die Gegner ein Zeugnis über Ihn vernehmen von einem, der kein Jude ist! Also, Bruder Demetrius, erzähle uns von deinem Erleben mit dem Herrn!"
„Liebe Freunde", fing Demetrius an, „gern folge ich der Aufforderung unseres Bruders Lazarus, da ich vor euch von der herrlichen Güte und Liebe des Auferstandenen zeugen möchte. Monatelang hielt ich mich in Cäsarea bei dem Bruder Markus auf, um den Heiland Jesus einmal zu sehen und durch Ihn wieder in den Besitz meiner Gesundheit zu gelangen. Wie oft hofften wir, der Heiland sollte hier einmal Einkehr halten; alle Kranken klammerten sich im Geiste an Jesus. Aber wie schmerzlich wurden wir enttäuscht, als zwei schadenfrohe Priester uns die traurige Kunde von Seinem gewaltsamen Tode überbrachten. Brüder, erlasst es mir, unsern Schmerz zu schildern. Eine Welt ging in Trümmer! Hier, unserem Bruder Ursus, der am allermeisten litt, wurde als erstem die Gnade zuteil, mit dem Auferstandenen zu reden. Doch hat Er sich nicht gleich zu erkennen gegeben, sondern zuerst in dem Herzen des Ursus wieder Trost, Ruhe und Frieden hergestellt. Dann trat Er selbst in unsere Mitte — strahlenden Auges — und in einer Schönheit, die man nicht vergisst. Seine Wundmale lösten kein Erschrecken aus; Seine Worte aber waren Balsam, waren von einer Liebe durchklungen, die direkt ins Herz drang.
So zeigte Er uns Seinen — grossen Liebes-Plan und gab uns die herrliche Verheissung, immer bei denen zu sein und zu bleiben, die sich an Ihn halten und felsenfest an Seine Hilfe glauben würden! Zum Schluss segnete Er uns und befreite uns alle von unseren Leibes-Übeln, so dass es nur Jubel und Freude bei uns gab.
Wer es nicht glauben will, mag doch die Reise unternehmen und sich an Ort und Stelle überzeugen lassen. Mein Leben setze ich zum Pfande für die Wahrheit meiner Worte. Euch Templern aber sage ich: treibt es nicht zu weit! Denn eine Gnade zu verscherzen, ist bitter, aber eine Gnade als Ausgeburt der Hölle hinzustellen, für dieses hört auch die Erbarmung auf, erbarmend zu sein! Darum prüfet — und dann redet."
Der alte Jeremias aber konnte nicht ruhig bleiben; sobald Demetrius schwieg, sagte er: „Auch du bist samt deinem Ursus ein Opfer dieses Zauberers geworden und kannst nicht merken, wie ihr die Betrogenen seid. Statt an der Quelle, im Tempel, die Wahrheit zu suchen, haltet ihr euch an die, die sich dem Zauberer und Betrüger verschrieben haben. Es wird höchste Zeit, diesem Treiben ein Ende zu machen."
Ursus wollte auffahren, aber in seiner Hand brannte das Mal; so fragte er ruhig: „Mein Freund, glaubst du, dass wir so leicht zu täuschen sind und Wahrheit von Lüge und Wirklichkeit vom Schein nicht unterscheiden könnten?
Deinem Alter gegenüber bin ich ein Knabe, aber von der Welt habe ich schon viel gesehen und kenne vielerlei Gebräuche bei den Menschen, mit denen ich in Berührung kam. Was ich von Schlechtigkeiten erlebt habe, davon rede ich nicht gern. Was ich aber Gutes erlebt habe, möchte ich mit tausend Zungen bekennen! Das Schönste und Herrlichste aber erlebte ich doch mit Jesus, dem Gekreuzigten und Wiederauferstandenen!
Bei meiner Ankunft in Cäsarea begegneten uns zuerst zwei Priester, die uns, als Reisenden, sogleich offenen Hass und Hohn entgegenbrachten. Da wollet ihr behaupten, die göttliche Wahrheit sei allein bei euch zu suchen? Welch ein Gegensatz, als wir dann bei denen Einkehr hielten, die sich Bekenner Jesu nannten!" —
Doch Jeremias blieb unbelehrbar. Zynisch sagte er: „Auch euch Römern wird hier bald die Herrschaft genommen werden! Wer den Tempel nicht achtet, ist ein Feind Jehovahs, wie auch der Nazarener ein Feind des Tempels und somit ein Feind Gottes war, und sterben musste!"
Ursus ward wieder erregt und rief lebhaft: „Mann! Wenn schon Seine erhabene Lehre im Widerspruch zu euch und zum Tempel stand, wie wollt ihr aber dann Seine Taten bewerten? Ich verlange eine klare Antwort!"
„Sei froh, so ich dich noch einer Antwort würdige", sprach Jeremias, „denn auch du bist durchdrungen von dem Geist, der vom Nazarener ausging. So Er Wunder wirkte, warum wirkte er niemals im Tempel Wunder? Weil die Macht Beelzebubs nicht bis in den Tempel reicht!"
Ursus wandte sich an Lazarus und fragte voll Schmerz: „Bruder! warum lasst ihr den Meister so ungestraft beleidigen? Eure Geduld ist wohl bewundernswert, aber hier nicht angebracht! So der Meister solche sündhaften Reden erduldete, so kann ich es verstehen, weil sie alle doch letzten Endes von Seiner Güte abhingen. Er war vollkommen und war über alle Begriffe hinaus erhaben über ihre Schlechtigkeit! Wir aber, als die Unvollkommenen, laufen doch Gefahr, Schaden zu nehmen, so wir ihre Worte nicht genügend zurückweisen." - „Werde nicht erregt", bittet Lazarus, „und bleibe in der Ruhe! Was der Herr duldete, müssen auch wir dulden! Es kommt doch einmal die Stunde, wo auch ihnen die Erkenntnis wird, dass sie unrecht handelten!"
Es wurde nun Brot und Wein aufgetragen und alle erquickten sich. Jeremias aber fragte den Lazarus: „Wie denkt ihr euch nun eigentlich die Zukunft? Nach euren Reden ist der Nazarener in Seine Heimat zurückgekehrt! Was wollt ihr denn nun beginnen? Wollet ihr auch weiterhin den Tempel und seine Diener meiden?"
„Mein Freund", antwortete Lazarus voll Ruhe, „wie wir uns zum Tempel stellen, hängt allein von euch ab. Wir haben klare Weisung von unserem Meister und werden Seiner herrlichen Liebe-Lehre immer noch eifriger folgen, da wir wissen, im Befolgen und Nachfolgen Seiner Lehre bauen wir an dem grossen Werke weiter, welches Er in Seiner unaussprechlichen Liebe und Erbarmung unter uns Menschen angefangen hat! — Wohl war Sein Wort: „Es ist vollbracht!" eine Genugtuung für alle, die Sein Werk kennen! Für uns aber wird dieses Wort ein Ansporn sein, Ihm nachzutun, so dass auch wir am Ende unseres Lebens sagen können: „Es ist uns gelungen, in Seinem Liebe-Geiste der Erde und ihren Bewohnern Sein Opfer auf Golgatha wieder vorgelebt zu haben!" Daran wird und kann uns kein Tempel noch einer seiner Diener hindern! Denn der Herr ist im Geiste stets in uns und unter uns! Nichts können wir aus uns tun, aber alles mit Ihm und durch Ihn! Wie Seine Liebe und Gnade alle Tage in uns neu wird, und Sein Wort uns Verheissung und Hoffnung ist, so wird durch das Leben und Verbundensein mit Ihm uns Erfüllung. Wir haben nicht nötig, hinzuweisen auf Vergangenes, sondern Gegenwärtiges und Bestehendes wird zeugen von Seinem Leben, welches in uns lebendig und immer lebendiger wird!
Ich meine, gerade du müsstest mich kennen, mein Verhältnis zu euch ist immer noch dasselbe wie früher. Aber ihr habt euch getrennt von mir und habt den Frieden meines Hauses nicht geachtet, habt Feindschaft statt Freundschaft nach Bethanien getragen! Ich aber habe, aus dem Geiste Jesu, meines Herrn und Meisters, immer noch die lebendige Hoffnung, dass ihr euer Verkehrtes einsehet und zurückkehret zur Wahrheit und zur rechten Ordnung aus Gott."
Jetzt kamen neue Gäste, und zwar Enos mit Petrus und Jakobus. Lazarus war erstaunt, er wusste nicht, dass der Pächter auf die Bitte des Ursus hin ihr Kommen veranlasste. Auch Jeremias und die anderen Templer erkannten Enos.
Die Brüder grüssten: „Gelobt sei Jesus Christus!" Die anderen dankten: „Bis in Ewigkeit! Amen!" Die Templer dankten nicht.
Als die Angekommenen bei Lazarus Platz genommen hatten, stand Jeremias auf, zeigte auf Enos und rief laut und erregt: „Sehet ihn an, den Verräter! Mich wundert, dass du noch den Mut hast, nach Jerusalem zu kommen! Noch mehr ist freilich zu bewundern, dass Jehova dich nicht gestraft hat für deinen Verrat am Tempel."
Enos, ganz durchdrungen vom Geiste der Erbarmung, sprach voll Ruhe: „Jeremias! und ihr meine früheren Freunde! Ihr wundert euch über mich, da mein Verhalten bei euch den grössten Grimm auslöste! Vor allem tue ich euch kund, dass ich in aller Ordnung vom Tempel geschieden bin; hier ist die Urkunde, vom Hohenpriester selbst unterschrieben. Zum anderen sage ich euch, dass ich schwer bereuen muss, dass ich dem Tempel so lange diente! Als ich von einem anderen Sein und Leben noch nichts wusste, war mein Sinn dem Tempel treu ergeben und ich betrachtete jeden als Feind, der wider uns war. So auch Jesus, den grossen Heiland!
Durch die Not und die Seelenkämpfe meines Ruben lernte ich zuerst die Härte und die Lieblosigkeit all derer kennen, die sich heute noch „Diener und Gesalbte Gottes" nennen. Mein Sinn wurde schwankend. Doch da der Tempel mein Schwanken schon als Verrat ansah und mir drohte, nahm ich die Hilfe unseres teuren Lazarus an und lernte dort in Bethanien eine andere Lebensart kennen, welche mich innerlich so froh und glücklich machte, wie ich mich noch nie in meinem Leben gefühlt habe! Doch noch immer war ich nicht überzeugt von der Göttlichkeit Jesu, bis mir die Gnade wurde, den Auferstandenen selber zu sehen und zu sprechen! Seine durchbohrten Hände zeigten mir wohl die grösste Schuld meines Lebens, aber Er Selber sprach keinen Vorwurf, keine Anklage!
Liebe Brüder, alle diese Liebe und Erbarmung drückten mich zur Erde nieder, so dass ich nicht mehr glaubte, je aufstehen zu können! Da sprach Sein Mund zu mir: „Ich bin Erlösung und Vergebung!" und Seine Hände legten sich segnend auf mein Haupt. Da, meine Brüder, wusste ich erst, wohin ich mich zu stellen hatte.
Wenn ich an die Greuel, an die Härten des Tempels denke, und stelle mir dabei Jesu Liebe vor, kann es doch nicht schwer sein, mein Verhalten zu begreifen! Dazu kommt noch: mein Weib wurde durch Ihn gesund und ist mit meinen Kindern nun so glücklich! Welche Gnade! Ich durfte die Göttlichkeit und die Sendung Jesu voll erkennen, während die, die auf den Stühlen Mosi sitzen, all diese Gnade vor ihren Augen als die Ausgeburt der Hölle betrachten, nicht ahnend, dass gerade sie die nur Geduldeten sind.
Wie oft hätte Jesus, der Herr, den Tempel und uns alle vernichten können, wie oft liess Er uns sagen: Er sei gekommen, um das Gesetz Jehovas zu erfüllen und nicht, es aufzulösen! Aufrichten und stützen die Schwachen, waren die Grundzüge Seines Handelns. Was taten wir? Wir vernichteten und zerstörten, was uns nicht passte, und töteten sogar den grössten Wohltäter der Menschheit! So stehe ich vor euch als einer, der da von Ihm angenommen wurde, der aber auch sagen kann: Mein Schuldbuch ist zerrissen, meine Schuld ist getilgt von der grenzenlosen Liebe und Erbarmung des Herrn, der da ist Gott von Ewigkeit zu Ewigkeit! Er ging von uns, aber Seine Getreuen tragen Sein heiliges Vermächtnis tief in ihrer Brust und warten des Rufes ihres Herrn und Meisters. Wann dieser Ruf erfolgt — es kann morgen sein — aber auch später, dann werdet ihr alle erschauen die Macht, die Grösse und die Herrlichkeit Jesu!"
Jeremias lächelte höhnisch, da fragte Enos abermals: „Bruder! Warum glaubst du meinen Worten nicht und möchtest mir etwas Hässliches entgegenschleudern, um mich zu kränken? Warum hast du selbst noch nicht ernstlich darüber nachgedacht und bist zu der ernsten Frage gekommen: „Wenn nun der Meister Jesus doch recht hätte, und wir alle wären die vom Lebensfeind Verführten?
Siehe, wir waren eins in der Gesinnung, ein langes Leben verband uns miteinander, und doch standen wir uns innerlich sehr fern. Mich drängt es, dir zu raten: Kehre um, noch ist es Zeit! Noch kannst du die Gnade annehmen, einen Himmel zu erleben, der dein Inneres mit höchster Freude erfüllt und ausfüllt. Was mir geworden ist, kann jedem werden. Ohne den Tempel zu verlassen oder ihm untreu zu werden, kannst du dir den Geist Jesu aneignen, er ist und heisst: Liebe — Geduld — und Barmherzigkeit! Diese drei Eigenschaften machen dich zum Jünger Jesu und zum Wohltäter deiner Mitmenschen! Darum lasse deinen Hohn und Spott und sieh zu, dass nicht auch du ein Opfer des Lebens-Feindes wirst!
Du aber, Herr Jesu! Der Du im Geiste unter uns bist, segne diese meine Worte! Dir zum Preise — und uns zum Wohle! Amen."
Viele Hände streckten sich dem Enos entgegen, aber Enos sagte: „Brüder, der Herr ist alles, darum danken wir Ihm! Wollet ihr weiteres erfahren, hier ist Lazarus, und da ist Petrus und Jakobus! Auch ist es nun möglich, bei den Brüdern jederzeit einzukehren, da dieselben nun in meinem früheren Hause weilen. Fürchtet euch nicht vor Menschen, der Herr sei euer Teil! Er allein sei unsere Burg und feste Zuversicht! Wie Er mich so herrlich bewahrte und obendrein mit Seiner Gnade beglückte, so liebt Er ja alle!"
Jeremias wurde schweigsam. Um so lebendiger aber wurden die anderen Gäste, denn ihre Scheu vor den Templern war gewichen. Da sagte einer: „So fehlt uns nur noch der Meister!" —
Da stand Petrus auf, sagend: „Brüder im Herrn! Mit diesen Worten drücken wir wohl unsere Sehnsucht aus, mit Ihm verbunden frohe Augenblicke oder Stunden zu verleben. Aber auf der anderen Seite bekunden wir dadurch auch: Wir haben Ihn noch nicht — in uns! Sehet, ehe der Herr von uns schied, gab Er uns die herrliche Verheissung: „Ich — bin bei euch — alle Tage!" und ich selbst habe es schon erlebt: wie der herrliche Meister dieses Sein gegebenes Wort einlöste!
Wenn ihr alle mit mir fühlen könntet, wie ich mich eins und verbunden mit dem Meister fühle, so würdet ihr alle euch ebenso freuen wie ich! Denn ich sage euch: Der Herr Jesus Christus ist aufs neue gekommen, meinen Augen wohl unsichtbar, aber innerlich so herrlich, so voller Kraft und Sicherheit, dass ich in meiner Hingabe ebenso wirken könnte durch Seinen Geist wie Er Selber. So glaubet, und zweifelt nicht einen Augenblick, dass Jesus — hier unter uns ist! Denn unser Herr und Meister will: „dass allen, allen Menschen geholfen werde und sie das ewige Leben empfangen!" Dieses ist ja das ewige Leben, dass wir an Seine Sendung glauben und uns Seinen Geist aneignen, der auf Golgatha aller Welt und allen Welten offenbar wurde."
Es trat nun einer von den Gästen zu Petrus, bat um Gehör und sagte: „Petrus, deine Worte erfüllen mich mit neuer Hoffnung, denn auch ich glaube an den grossen Heiland Jesus! Seit langem ist mein Bruder krank, könntest auch du wie der Heiland Jesus Kranke gesund machen?"
Da antwortete Petrus: „Wenn du glaubst, und deine Bitte aus deinem tiefsten Herzen geboren ist, so bringe deinen kranken Bruder, damit die Kraft und Herrlichkeit Jesu aufs Neue sich offenbare und bekunde: Er ist in unserer Mitte!"
Sogleich eilte der Mann aus dem Hause.
Jeremias aber erregte sich wieder und rief laut: „Wollet ihr auch weiterhin noch Gott versuchen? Ist es nicht genug, so der Nazarener dem Tempel und seinen Dienern das Ansehen vor dem Volke nahm?"
Petrus aber antwortete kühl: „So du dich innerlich stark genug fühlst, dem nach Hilfe sich sehnenden Bruder zu helfen, so wollen wir dich gern in segnender Fürbitte unterstützen. Bedenke aber, dass es nie Sünde sein kann, so einer dem anderen Hilfe und Trost bringen will. Wer bittend zu dem Herrn und Meister kam, der wurde auch erlöst von seinen Gebrechen. So aber der grosse Heiland Sein Werk durch uns fortsetzen will, soll dieses „Gott versuchen" sein?"
Hier schwieg Jeremias —
Petrus aber, ganz erfüllt vom Geiste Jesu, sprach lebhaft weiter: „Brüder! Einer sage es dem anderen, und jeder bemühe sich, mit dem zu wirken, was von dem Herrn und Meister in ihm lebt! Die Not der Mitmenschen und ihre Hoffnung auf Erfüllung sei unsere Not! Dann fühlen wir, wie wir uns immer mehr einleben in die grosse Aufgabe, die der Meister uns anvertraute: Allen zu helfen und seelisch zu dienen! Wir lösen sie und werden sie erfüllen, weil Sein Wort: „Ich bin bei Euch!" die Wurzelkraft aller unserer Handlungen sein wird!
Nicht wir allein, als Seine Jünger, sollen so denken und tun, o nein, alle. Auch du, Bruder Jeremias, könntest das Wunder erleben, weil du, ein früherer Feind Jesu, jetzt ein Bekenner und Förderer Seines Liebe- und Wahrheits-Geistes werden kannst. Es mag dir unglaublich klingen, weil du im Hass verwachsen bist, und hassen musst, was gegen dich und den Tempel ist. Aber eben weil du ein Gegner und Hasser bist, ist es möglich, dich zu überzeugen, dass, wo Hass und Abscheu lebt, auch Liebe und Zuneigung leben könnten."
Nun öffnete sich die Tür und herein traten zwei Männer und eine Frau (es war der, welcher seinen gelähmten Bruder samt dessen Weib brachte). Schon von weitem sah man, dass der Geführte grosse Schmerzen haben musste, denn tief lagen seine Augen, von schlaflosen Nächten zeugte sein Gesicht, und sein Gang war sehr beschwerlich und schleppend. Das Weib schaute sich verängstigt um und erschrak, als sie die Priester sah. Der Kranke aber schaute nur auf Petrus, welcher in fürsorgender Liebe sich um ihn bemühte.
„Hier sind wir", sprach der Bittende, „es war nicht leicht, meinen Bruder hieherzubringen; seine Kräfte wollten oft nachlassen, nur die Hoffnung auf Hilfe stärkte ihn."
Petrus sagte zu Jeremias: „Hier siehe einen Unglücklichen, der sich nach Erlösung sehnt, dem die Gesundheit das Höchste bedeutet. Willst du, dass diesem geholfen werde? Hier ist eine Gelegenheit geboten, eure göttliche Sendung zu beweisen, und uns allen die Überzeugung zu geben, Ihr Templer seid die von Gott Erwählten und Gesalbten!"
Jeremias schwieg, diese Aufforderung war ihm peinlich, und auch den anderen Templern war diese Frage unangenehm.
Petrus aber sprach weiter: „Wenn du hier schweigst, wie soll der Tempel wieder zu Ansehen kommen? Ist euer Schweigen nicht ein trübes Zeichen und ein Bekennen eurer Ohnmacht? Mit Reden allein bessert man nichts! Erst im Wollen und Tun bekundet man, wessen Geistes Kind man ist!"
Es wurde stille um die Männer — da fragte das Weib: „Bist du einer von denen, die um den Heiland waren? Sag, was ich tun soll, denn mich jammert es, so ich meinen Mann in steten Schmerzen sich winden sehe."
„Glaube an den Herrn Jesus! Er allein wird dir Helfer und Erlöser sein! Wir sind nur Seine Zeugen", antwortete Petrus.
Aber das Weib fragt weiter: „Wo soll ich hingehen, damit ich Ihn treffe?, denn seit Seiner Auferstehung hat noch keiner gehört, wo Er Wohnung genommen hat."
„Weib!" sprach Petrus, „der Herr und Heiland Jesus ist überall, wo bittende und verlangende Herzen sich nach Ihm sehnen. Und jede Bitte wird Er erfüllen, so sie aus der Tiefe des Herzens kommt und der Seele zum Heile dient."
Und zu dem Kranken sich wendend, sprach er weiter: „Bruder! Dein Leid und deinen Schmerz fühle ich mit dir. Glaubst du auch so lebendig an den Heiland wie dein Weib? Siehe, ich bin ein Mensch gleich wie du, aber erfüllt von dem Willen, dir zu helfen. Doch ohne deinen Glauben, dass Jesus dir helfen kann und will, wäre es mir unmöglich, da dein Glaube ja das Tor ist, welches du Seiner Heilkraft öffnest. Wenn auch deine Augen Ihn nicht erschauen und dein Ohr Seine Worte noch nicht vernehmen kann, so ist aber doch in deinem Herzen die Möglichkeit geschaffen, Ihn zu fühlen, Ihn zu bitten und Ihm zu danken!"
„Ich glaube an Dich, du Heil der Welt!" sprach leise der Kranke; „Ich glaube! — Lasset mich zu Ihm beten!" —
Da legte Petrus seine beiden Hände auf das Haupt des Kranken und sprach betend: „Herr Jesus! Deine Liebe höret nimmer auf und macht uns zu Trägern Deines Geistes! Hier ein krankes Kind, welches von Dir Hilfe ersehnt! Erweise Dich auch hier, wie immer, als der grosse Helfer und Heiland! Amen!"
„Du aber, Bruder, freue dich! Seine Augen blicken dich liebevoll an und Seine Hände segnen dich! — und so sage ich zu dir: „Stehe auf! — Dein Heiland Jesus hat dir geholfen!" und hat aufs Neue bekundet: Er lebt unter uns!" Da sprach der eben Geheilte: „O Jesus, wo bist du? Ich will Dir danken mit der ganzen Glut meines Herzens, und mein Mund soll fortan nur bekennen Deine Macht und Herrlichkeit! Oh, was bin ich, dass Du meiner gedenkst und bist mir so gnädiglich! Ihr Brüder, sehet her! Meine verkrüppelten und schmerzenden Glieder — sind gesund! und dies nur durch die Gnade des Heilandes Jesu!"
Da sprach Petrus: „Gehet heim und lobet und danket im Herzen dem gütigen Gott, der uns als Jesus offenbar wurde und uns zu Mittlern Seines Geistes gemacht hat! Schenket Ihm alle eure Liebe und euer ganzes Leben, wie Er euch neues Leben schenkte aus Seiner Liebe."
Jeremias konnte es nicht begreifen, wie diese Heilung so schnell vor sich gegangen war, und besah sich die geraden Glieder des Geheilten. Er sprach: „Wenn ich mit meinen Augen die verkrüppelten Hände nicht gesehen hätte, so würde ich auch hier an einen Betrug glauben. Doch sage mir, wie konnte das alles denn geschehen?"
Da antwortete Ursus an des Geheilten Statt: „Bist du immer noch der Meinung, dass solches nicht mit rechten Dingen zugeht? Siehe, du gibst dir ein schlechtes Zeugnis, denn wo es sich um Dinge handelt, die nicht alltäglich sind, müsstest du einen anderen Eifer an den Tag legen, um die reine Wahrheit zu erfahren! Wie willst du nun vor dir bestehen und vor deinen Menschenbrüdern, denen du Gottes Wort lehrtest und sie anhieltest, ja immer die Gebote Mosis zu beachten! Fühlst du dich wirklich verpflichtet, das Heiligtum eures Tempels zu schützen, und sein wahrer Diener zu sein, so müsstest du auch von dir sagen können: An meinen Taten soll alle Welt erkennen, dass ich ein Diener des grossen Jehova bin! Kannst du dies nicht, so nimm die Hand Jesu an, die sich dir durch uns reicht und lasse dich führen in deine eigene Innenwelt, damit du erkennst, wie weit du dich am Abgrund befindest. Wohl drohtest du uns, wir aber möchten dich glücklich sehen, indem auch du von dir sagen lernst: „Ich bin ein anderer, ein neuer Mensch geworden, und dies nur durch die erlösende Liebe des Auferstandenen!"
Jeremias sprach: „Du bist ein junger Römer, bist von dem Geiste des Nazareners durchdrungen und meinst es wohl gut. Bedenke aber, ich bin alt und kann nicht weiss nennen, was ich bisher schwarz sah. Ich gebe zu: meine Ansicht über Jesus hat einen gewaltigen Riss erhalten; mich aber eingliedern in eure Gemeinschaft, ist zu viel verlangt. Ich gebe zu — ich bin geschlagen — aber doch nicht bekehrt! Lasset mich in Frieden, wie ich den euren auch nicht mehr stören will!"
Die Templer verliessen schweigend die Herberge. Die anderen Gäste aber wollten noch etwas hören von dem Abschied Jesu in Bethanien, da sprach Petrus: „Brüder, lasset uns für heute auseinandergehen! Bald wird die Verheissung des Meisters in Erfüllung gehen. Dann erst werden wir alle lebendig durchdrungen sein von dem frohen Bewusstsein: Ich darf durch Jesum nun die neuen Wege gehen, die zum höchsten Ziele führen: zur Einung zwischen Gott und Mensch!
Achtet darauf, dass eure Liebe zu Ihm und zum Nächsten nicht erkalte, sondern stets noch lebendiger werde, denn des Bruders Innen-Leben legte der Meister vertrauend in unsere Hände. Dazu stets bereit sein, ist unsere Losung! Dass wir alle grossen Aufgaben entgegengehen, wissen wir. Damit das Opfer, welches Jesus brachte, nicht umsonst gebracht wurde, sollen unsere Liebe und das innige Vertrauen zu Ihm die Mittel finden, welche all die Dinge in uns beseitigen, die bisher unsere Entwicklung zum Göttlichen hemmten!
Lasset nie und nimmer Zweifel oder gar Misstrauen entstehen, denn damit reichet ihr dem Lebensfeind die Hand zum Bunde. Seid furchtlos und stark! Ihr dürft es sein. Niemand hat ein Anrecht mehr an euch als nur der Herr und Meister. Darum wollen wir es Ihm danken mit unserer ganzen Liebe. Und was wir sonst noch auf unseren Herzen haben, legen wir im Geiste Ihm zu Füssen. Seine Gnade und Sein heiliger Friede sei mit uns! Amen!"


IV. Ermahnungen zur Liebe!

Die Aufgaben der Jünger waren nicht geringer, sondern grösser geworden, denn der Tempel wollte sich nicht zufrieden geben mit dem, was als Wahrheit durchdrang. Bethanien wurde überlaufen von all denen, die durch die Templer in Zweifel gerieten über die Himmelfahrt Jesu, welche manchen aus seiner Sicherheit riss, die doch nur Lauheit war. Die Verleumdungen der Priester wurden immer unheilvoller, doch die Jünger mahnten zu Geduld und wieder Geduld.
Ursus aber wuchs innerlich, und so sprach er eines Morgens zu Lazarus: „Bruder! Heute sind es sieben Tage seit dem grossen Geschehen am Ölberg. In diesen Tagen hat der Feind grosse Triumphe gefeiert, denn wo der Herr die Herzen aufrichtete und festigte im Glauben, arbeitete der Feind in heuchlerischer Art dem entgegen. Darum müssen wir uns wehren!"
„Bruder Ursus", entgegnete Lazarus, „auch mir zerreisst es fast das Herz, so ich daran denke, wie schnell die Liebe und die Segnungen des Meisters von manchem vergessen werden. Gestern war ich beim Herbergswirt in Jerusalem; der Tempel macht sich überall breit und lässt durch bezahlte Knechte viel Unwahres über den Herrn verbreiten. Die Brüder aber verhalten sich still, doch sind sie voller Hoffnung und erwarten mit Sehnsucht den verheissenen Augenblick, wo sie, getrieben vom Geiste, zeugen und bezeugen dürfen von dem Leben des Meisters und von der Wahrheit Seiner Lehren! Hier in Bethanien suchen wohl manche noch ihr Heil, aber gehen doch oft unbefriedigt fort, da Treue im Glauben gefordert wird. Trotz allem aber schart sich um die Jünger eine grosse Zahl, da sie in Jesu Christi Erstaunliches wirken. So messen sich jetzt die Kräfte! — Gehe ich meinem Gefühl nach, so wird in drei Tagen die Entscheidung fallen!"
Ursus war nicht ganz befriedigt, dass noch drei Tage unnütz verstreichen sollen, er sprach: „Bruder! Ich reite nach Jerusalem. Mich zieht es direkt in das Lager derer, die den Herrn bewusst verleumden. Ich müsste keine Ehre haben, so ich nur eine Stunde noch diese Lügen ruhig hinnehme. Haben wir nicht Beistand genug, so wir in Seinem Geiste Kämpfer und Erfüller sein wollen? Stehen uns im Kampfe für Seine herrlichen und heiligen Ziele nicht genug Kräfte zur Verfügung? Unser Schweigen sehen die Templer nur als Schwachheit an!"
„Bruder Ursus! Greife dem Willen des Herrn nicht vor", wollte Lazarus beruhigen, „alles hat seine Zeit und braucht seine Zeit. Ich kann dich verstehen, du magst nicht untätig sein. Deine Dankbarkeit dem Herrn gegenüber möchte Dinge vollbringen, die vielleicht noch nicht an der Zeit sind. Aber so es dich drängt, so besuche die Brüder und erlebe dort den Geist, der sie so hoffnungsvoll macht. Dort kommt Demetrius, gib ihm deine Absicht kund und folge ruhig dem Zuge deines Herzens."
Dies geschah, und in kurzer Zeit war Ursus auf dem Wege nach Jerusalem. Sein Ziel war die Herberge. Es war um die Mittagszeit, als er in den Hof einritt und einem Knecht sein schönes Pferd übergab. In der grossen Gaststube waren einige Templer, die sich mit ein paar Fremden lebhaft unterhielten. Der Wirt brachte Wein und Brot, und wie teilnahmslos folgte Ursus dem Gespräch der Anwesenden. Mit hetzerischen Lügen zertraten die Templer jeden guten Gedanken an den Heiland Jesus.
Da sprach einer der Fremden: „Ich kann euren Worten doch nicht recht glauben, denn die Boten waren zuverlässig, welche die Lehren und Taten des Nazareners selbst hörten und sahen. Blinden das Augenlicht geben und den Tauben das Gehör, ist doch etwas, was im Judenlande bisher noch nicht geschah! Wir bedauern, dass wir zu spät kommen, wie gerne hätten wir mit dem Nazarener selber gesprochen."
„Was ihr bedauert, ist euer Glück", antwortete ein Templer, „denn wer dem Nazarener verfallen ist, kommt nicht wieder los, da Er mit dem Beelzebub in Verbindung stand. Wäre es nicht so, so wäre es dem Tempel nicht gelungen, Ihn unschädlich zu machen. Mag man Gerüchte ausstreuen: Er sei auferstanden und nun gar endlich noch gen Himmel gefahren, das ändert nichts an der Tatsache, dass der Nazarener der grösste Betrüger war und seine Anhänger die Betrogenen."
Ursus stand von seinem Platze auf, ging auf den Priester zu und sagte fest: „Deine Worte habe ich gehört und sie recht gewogen. Bist du bereit, den Wahrheits-Beweis dafür zu erbringen? Denn nach deinen Worten wäre auch ich ein Betrogener! Denke aber nicht, dass du ein leichtes Spiel hast, denn ich bin, wie du siehst, ein Römer, dem die Wahrheit das Höchste und Heiligste ist! Anderseits sage ich dir — ich kenne Jesus!"
Da antwortete der Priester: „Was geht dich unsere Unterhaltung an, die wir mit diesen Fremden führen? Überhaupt hast du meine Würde als Priester zu achten und meinen Worten keinen Zweifel entgegenzubringen!"
„Also weil du ein Priester bist", antwortete Ursus, „glaubst du, ungestraft lügen und verleumden zu können, glaubst du, dass alle blind zu glauben haben, was ihr für recht und richtig haltet? Bist du dir nicht bewusst, dass es sich um Jesus Christus handelt, um den, der seit Hunderten von Jahren verheissen und sehnlichst von eurem Volk erwartet wird? Viele erlebten die Göttlichkeit Seiner Sendung, und auch ihr wisset, dass mit dem Kommen Jesu die Schrift volle Erfüllung fand. Wäre Jesus in Rom geboren und hätte die Taten dort verrichtet, alle Altäre wären vernichtet und Ihm ein Tempel errichtet worden, der nur Seiner Ehre und Seiner Verherrlichung diente. Aber ich weiss, ihr liebet nur die Schätze dieser Welt, und euer Ruhm, Diener Gottes zu sein, macht euch zu Barbaren! Wie wollet ihr bestehen, so Er wiederkommt im Geiste und in der Kraft, die jede Lüge zuschanden macht, und sie jedem Geiste offenbart?"
„Sei unbesorgt", entgegnete der Priester höhnisch, „wir werden uns behaupten! Haben wir der Neuen Lehre den Kopf zertreten, wird es ein Leichtes sein, die Glieder unschädlich zu machen. Ich weiss wohl, Bethanien ist euer Stützpunkt, aber es wird schon eine Gelegenheit geben, diesen euren Zufluchtsort zu zerstören."
Da erregte sich Ursus und rief: „Danke Gott, dass ich ein Jünger Jesu bin, denn diese Beleidigung meines Freundes Lazarus und die meines Schöpfers und Heilandes Jesu müsstest du sonst mit deinem Blute sühnen! So du dir den Anspruch aneignest, ungestraft beleidigen zu können, weil du Priester bist, so könnte ich mir als Römer das Recht nehmen, dich zu strafen, denn wer einen Römer beleidigt, ist dem Gesetz verfallen. Lazarus ist jetzt ein Römer, und die Wahrheit ist seine Ehre. Also nimm dein Wort zurück, oder erbringe den Wahrheitsbeweis."
Die anderen Priester wollten beschwichtigen, aber Ursus war hart. Er rief den Pächter und verlangte einen Boten, der eine römische Wache holen sollte. Nun lenkten die Priester ein, bekannten, nach dem Geheiss des Hohenpriesters zu handeln, und baten um Nachsicht.
Ursus wandte sich an die Fremden und sprach: „Hier sehet ihr, wie der Feind alles Lebens bemüht ist, die herrliche Saat des Heilandes Jesus zu vernichten! Nicht genug, dass man Den beseitigte, der der Kranken und Armen Heiland war. Jetzt begeht man sogar die noch grössere Sünde, Den beseitigen zu wollen, der für unsere Seelen Kraft und Beistand ist, der durch Sein gewaltiges Opfer der Mittler zwischen Gott und Mensch geworden ist, und durch Seine Auferstehung aller Welt den Beweis erbrachte, dass Er in Gott und mit Gott Eins ist! Kommt mit mir, ich führe euch zu den von Ihm Erwählten.
Euch aber, ihr Priester des Hauses Jehova, gebe ich den guten Rat: bleibet in eurem Tempel! Ich lasse eine Wache in dieser Herberge Dienst tun, diese hat jeden festzunehmen, der dieser Herberge oder dem Hause Bethanien Schaden zufügen will, oder den Besitzer verleumdet! Da ihr es mit Moses haltet, soll euch auch mit Moses gedient sein: „Auge um Auge! — Zahn um Zahn!" Die liebliche Lehre Jesu: „Liebet euch, wie Ich euch geliebet habe!" ist euch verhasst, also wundert euch nicht über meine strengen Massnahmen."
Der Pächter freute sich über diese im höchsten Ernst gesprochenen Worte und sagte: „Endlich einmal ein Wort zur rechten Zeit, denn lange hätte ich diese Templer nicht mehr ertragen!"
„Vertraue auf Gott", tröstet Ursus, „unsere Arbeit ist nicht vergeblich!"
Kurz war der Abschied, und in einer halben Stunde kam Ursus mit den fünf Fremden im Hause Marias an. Wie erstaunte er aber, als in dem grossen Zimmer, gleich einem Betsaal, viele Menschen anwesend waren. Die gegenseitige Freude war echt; aber noch mehr freuten sich die Fremden, die nun endlich an der Quelle waren und bei denen sich Licht holen konnten, die da Zeugen von Jesu Leben waren.
Als Ursus den Vorgang in der Herberge erzählte, war Johannes sehr ernst geworden! „Bruder", sprach er, „Strenge ist gut, aber wozu Strenge, wenn die Liebe doch viel mehr Möglichkeiten hat, zu siegen? Siehe, wir leben in der Zeit der ernstesten Vorbereitung, obgleich unsere Herzen vom Tatendrang erfüllt sind. Wir wissen, der Herr ist nicht nur in unserer Mitte, sondern in einem jeden Einzelnen unter uns, aber so, dass wir nun alles ganz anders sehen, anders erkennen, und unsere Aufgaben nur in Seinem Sinne erfüllen wollen! Du magst nach bestem Wollen gehandelt haben, aber immer musst du bedenken: Wie würde in diesem Falle der Meister gehandelt haben? Bedenke, so du, um dem grossen Werke zu dienen, noch der Hilfe Anderer bedarfst, bleibt es immer noch Menschenwerk! Der Meister kannte keine andere Hilfe als die Kraft, die in Ihm Sein eigen war! Ob Er wirkte, um zu helfen, oder um Feinde von sich zu halten, alles tat Er nur aus dieser Kraft, die Sein Eigentum war! Und siehe, diese stille Zeit hier führt uns immer tiefer in unser eigenes Ich. Noch nie wussten wir, wie herrlich der Mensch ausgerüstet ist, aber jetzt, wo wir keinen anderen Stützpunkt haben, erfahren wir stündlich den Beistand von Oben als Kraft! Wir lebten mit dem Herrn ein Leben, wie es Kinder leben im Elternhaus, wo alles in Hülle und Fülle da ist. Sorglos liessen wir uns leiten, bis der Ernst auch an uns herantrat.
Als der Meister von uns ging, waren wir geschlagen, bis Er selbst das Wunder Seiner Kraft in uns vollbrachte. Was in dreieinhalb Jahren nicht möglich war, ist in diesen sieben Tagen vollendet worden, so dass wir uns freuen, zeugen zu dürfen von Seiner Liebe aus Seiner Kraft! Was unsere Augen gesehen haben an und von dem Meister, mussten wir bewundern. Was uns aber „in diesem unserem lebendig gewordenen Glauben" möglich ist, wird nicht nur die Mitwelt, nein, auch der Gegner anerkennen müssen!
Darum, Bruder Ursus, Sein Geist und Sein Leben in dir werde auch deine Kraft und Stärke! Siehe, du kennst Ihn als den Herrlichsten der Herrlichkeit! Zeuge auch du nun so von Ihm, damit die Welt erkenne — Seine Herrlichkeit in dir!"
Ursus reichte dem Bruder Johannes die Hand und bestätigte: „Immer triffst du doch das Rechte! Wann wird denn das Althergebrachte in mir einmal verschwunden sein?"
„Wenn du nicht mehr aus deiner Liebe, sondern aus Jesu Liebe wirken wirst!" gab Johannes zur Antwort.
„Welches ist aber der Gradmesser", fragte Ursus nachdenkend, „ob ich aus meiner oder aus der Jesu-Liebe handele?"
Da antwortete Johannes: „Ursus! Wenn du Gleiches mit Gleichem vergelten willst, handelst du wie ein Mensch ohne jede bessere Erkenntnis! So du aber Böses mit Gutem lohnst, bist du durchdrungen von Geist und Wesen Jesu!"
Die Fremden waren über diese Rede des Johannes tief ergriffen und Einer fragte: „Ihr tragt die felsenfeste Überzeugung in euch, dass ihr von eurem Jesus jederzeit volle Unterstützung findet? Wir haben leider viel zu spät von diesem herrlichen Menschen erfahren, von Seinen Taten und Wundern und Lehren! Es geht uns aber noch so, dass wir uns gar nicht hineindenken können: Er sei nicht mehr! — Es ist uns, als ob Er in jedem Augenblick zur Tür hereintreten könnte und würde auch uns etwas Liebes oder Wunderbares sagen."
„Freunde", antwortete Johannes, „der Herr musste wieder in Sein ewiges Reich zurückkehren, um der Seligkeit der Menschen willen; doch Sein herrlicher Liebes-Plan soll allen Menschen geoffenbart werden! Darum hat Er an vielen, vielen Orten sich Zeugen erweckt, die Sein heiliges Erlösungs-Werk ganz in Seinem Sinne fortsetzen werden. Wohl war es Gnade ohnegleichen, mit Ihm als Mensch und Bruder zu leben. Aber Grösseres und Herrlicheres ist denen beschieden, die Ihn nur in ihren Herzen erfassen und ganz aus Seinem Geiste leben! Wir wissen aber, dass der Herr immer bei denen ist, die aus Seiner Gnaden-Fülle und aus dem Reichtum Seiner Liebe dem Nächsten ein rechter Diener und Helfer sein wollen. Durchdrungen vom Geist alles Lebens, sind wir aus dem Alltag herausgewachsen und haben erkannt, dass die Erde mit allen Bewohnern nur ein Schein-Leben bedeutet, das erst einen gewissen Wert und Inhalt bekommt, so der Mensch durch Jesus Christus „eine neue Kreatur" wird! Dieses Wunder vollzieht sich nach und nach bei jedem, der da ernstlich will, und so wird uns Himmel — und Erde gleich!"
Sprach der eine der Fremden, Gregor mit Namen: „Wie lieblich klingt dein Wort, und wie gross ist das Bild des Heilandes, welches du uns darstelltest. Es ist uns kaum fasslich, mit welcher Sicherheit du von dem ewigen Gott und Herrn zeugst! Nach deinen kurzen, aber inhaltreichen Worten musste Jesus mit dem allmächtigen Schöpfer Eins sein, denn sonst könnte es doch nicht geschehen, dass wir Menschen ein neuer Mensch würden. Es wäre ja dies ein Wunder aller Wunder! Ich kenne viele Mitmenschen, die ihr halbes Vermögen opfern würden, so sie ein anderer, ein neuer Mensch, werden könnten."
„Bruder", antwortete Johannes, „alle, die du hier siehst, sind durch die Gnade des Herrn mehr oder weniger schon neue Menschen geworden. Das bewirkt aber nur der eigene Wille, der sich ganz dem Willen des Herrn unterordnet. Wir alle lernten vom Herrn, wie Er Seinen eigenen Willen dem Gotteswillen ganz unterordnete. Doch dieser Gottes-Wille muss zuvor richtig erkannt werden. Auch ihr und alle Menschen werden zuvor den rechten Gotteswillen erkennen und anerkennen müssen. Und erst in diesem Eingehen in den Gotteswillen gehen wir Jesum entgegen. Trotzdem bleibt der Mensch der freieste, den man sich vorstellen kann, denn keiner wird je genötigt, etwas zu tun oder zu lassen. Ja, noch mehr sage ich: Jesus kann nur den Herzen etwas sein, die in ihrer freien Willens-Entschliessung durchdrungen sind vom Wollen und Vollbringen für Jesus! Die Zeiten sind ernst, da gewaltige Aufgaben unserer harren, doch wir werden sie lösen, da uns nur der eine Wille beherrscht: nur noch zu leben für Ihn, unseren Herrn und Meister, der uns nicht nur Liebe lehrte, sondern diese Liebe vorlebte. Ja noch mehr: Vor der Grösse Seiner selbstlosen Liebe und Seines schmerzvollsten Opfer-Todes muss alles schweigen! Und diese Liebe wird in den Herzen derer, die bei Ihm Trost suchen, ein lebendiges Denkmal bauen, welches allen Stürmen der Welt standhalten wird!"
Gregor sprach weiter: „Ich wünschte, ich könnte dies alles so erfassen, wie du es darstellst, und würde mich glücklich preisen, so ich dieses herrliche Leben mein eigen nennen könnte. Darum bitte ich euch, auch im Namen meiner Brüder: Lasset uns bei euch bleiben, bis wir dieses neue Leben erfasst haben."
„Gerne gewähren wir euch dies", antwortete Johannes, „aber nicht hier, sondern in Bethanien. Bleibet bei dem Bruder Lazarus; dort lebt derselbe Geist wie hier, und dort sind Möglichkeiten geschaffen, euch den Aufenthalt so angenehm wie möglich zu machen; Bruder Ursus wird euch hinbegleiten."
Es wurde nun den Fremden Brot und Wein gereicht; dem Ursus wollte freilich dieser Auftrag nicht so recht gefallen, da er lieber in Jerusalem geblieben wäre bei den Brüdern.
Johannes aber sagte sanft: „Bruder! Lasse nichts in dir aufkommen, was das Neue Leben in dir bedrängen könnte! Siehe, den Brüdern zeigt das Leben in Bethanien viel Wichtigeres und Gewaltigeres als hier in Jerusalem, wo nur gepredigt oder gebetet wird! Auch du würdest dich hier auf die Dauer nicht wohlfühlen, denn siehe, hier wird vom Herrn und vom Neuen Leben zwar viel geredet, doch in Bethanien wird es gelebt! Hier ist das Wort — dort ist die Tat."
Noch eine Stunde verlebten die Brüder mit Ursus und den Fünfen zusammen; dann erboten sich einige Brüder, die Fremden nach Bethanien zu begleiten, da Ursus nochmals in die Herberge zurück musste, um sein Pferd zu holen. Dabei fiel ihm ein, doch in die Kommandantur zu gehen, um sich einige Soldaten zu sichern zur Aufrechterhaltung der Ordnung in der Herberge. Dort aber wurde ihm abschlägiger Bescheid, da in Jerusalem nur eine ganz schwache Besatzung war.
Nun erst sah er ein, wie recht Johannes hatte, und bat innerlich demütig den Herrn um Vergebung und um Geduld mit ihm. In seinem Herzen aber regte sich das Neue Leben! Wie Harfentöne erklang es in ihm und formte sich zu Worten: „Bleibe stets in der Ruhe, und bewahre tief auf deinem Herzensgrund Mein Bild, damit es immer in dir lebendig bleibe! Denn du bist nicht berufen, zu zeugen von Meinem Leben als Menschensohn, sondern von Dem, der da auferstanden ist — und in dir lebt!"
Wie froh machte ihn dieses Erlebnis inmitten von fremden Menschen! Wie erhaben fühlte er sich all dem Weltlichen gegenüber! „Ein Wort von meinem Heiland — und mit einem Schlage sieht die Welt ganz anders aus!" musste er sich nun sagen. Mag nun kommen, was da will, ich bin ja bei Ihm!
So gelangte er in die Herberge; mit einem Händedruck verabschiedete sich Ursus von dem Pächter, und bald hatte er auf seinem arabischen Hengst die Fremden auf dem Wege nach Bethanien eingeholt. Er stieg ab, und das schöne Pferd folgte von selbst, worüber sich die Fremden sehr wunderten. Ursus erklärte ihnen: „Dieses bewirkt nur die Liebe! Es ist beschämend, dass der Mensch alle die Wohltaten des ewigen Schöpfers, auch durch die Tiere, so wenig anerkennt und Ihm dankt dafür!"
Wie staunten die Fremden über diese so einfache Wahrheit, denn diese Worte fielen auf zubereiteten Boden.
Die Brüder verabschiedeten sich und gingen zurück; und unter tiefen Gesprächen erreichten die Anderen Bethanien. Wie immer, wurden auch diese Fremden herzlich aufgenommen und erlebten nun die Wahrheit, die in den Worten des Johannes lag: Hier in Bethanien lebt die Tat. Der Abend vereinigte wiederum alle Gäste in weihevoller Andachtsstunde, wo Lazarus mit von Herzen kommenden Worten die grosse und herrliche Heilands- und Erlöser-Liebe bezeugte. Er schloss: „Was Er uns war, werden wir ewig nie vergessen; was Er uns aber jetzt ist, soll unser Mitmensch nie vergessen können! So bauen wir mit am grossen Werke und dingen viele Herzen, die wiederum durchdrungen werden von Seiner grossen Heilands-Liebe!"
Und dann begaben sich alle zur Ruhe.
Doch Lazarus blieb mit Demetrius und Ursus noch länger beisammen und fragte Ursus: „Wie fandest du die Jünger in Jerusalem?"
„Anders!" — antwortete Ursus. „Sie sind nicht mehr die, die geführt werden müssen; da ist jeder zu einem Führer geworden. Ihre Art ist wohl dieselbe, aber das merkte ich: Diese sind schon durchdrungen von der Kraft und der Wahrheit des ewigen Gottes-Geistes, und doch wollen sie noch in der Stille bleiben."
„So ist auch meine Ahnung richtig", entgegnete Lazarus, „darum wollen wir in der Frühe des Pfingstfestes nach Jerusalem gehen. Grosse Ereignisse werfen immer Schatten voraus! Dort wird auch uns das Erleben werden, wie der Herr Sein Wort der Verheissung erfüllt!"
Nun berichtete Ursus dem Lazarus sein Erlebnis mit dem Priester und von der weisen Lehre, die er vom Johannes erhielt.
Lazarus aber sagte: „Bruder, ich wusste es, dass du diese wichtige Erfahrung machen musstest, denn das Werk des Meisters ist gegründet: auf Liebe, jedoch verankert in den Grundfesten, die Geduld und Demut sind! Wolle nicht mehr, als der Meister will. Erkenne klarer Seinen Willen in dir, dann dringt dein Geist von selbst in die Tiefen der Weisheit wahren Gotteslebens hinein. Nicht der ist gross, der durch das Lehren Seines Wortes ganze Völker bekehren will, sondern wer den tiefsterkannten Gottes-Willen sich zum Eigentum macht und zum Vorbild ganzer Völker wird."
Da antwortete Ursus bescheiden: „Bruder Lazarus, wie tief stehen wir in deiner Schuld! Jetzt weiss ich auch, warum du uns nicht abreisen lassen wolltest. Was wäre geworden, so ich mit meinem drängenden Herzen unter fremde Menschen gekommen wäre? Des herrlichen Heilandes Liebes-Lehre hätte eine Verunstaltung erfahren, die sich an versteckte Selbstsucht anlehnt. Aber nun schaue ich tiefer und erkenne immer klarer die heilig-grosse Liebe des Herrn und Meisters — und unsere Aufgaben! O welch ein Geist gehört dazu, auch dem noch diese Liebe entgegenzubringen, von dem ich weiss: er ist mein Verräter!" —
Da legte Lazarus dem Ursus seine Hand auf das Haupt und sprach: „Ursus! Jetzt tagt in dir das neue Morgenrot! Auf diesem Wege folge nun dem Meister! Es wird viele Apostel geben in Zukunft, die aber den Herrn noch nicht in Seiner ganzen Grösse und auch Tiefe erfassen können. Und darum wird Seine hohe, so erhabene Liebe-Lehre manche Verunstaltung erfahren müssen. Was aber an mir, und nun auch an dir liegt, so wollen wir Seine Liebe, wie wir sie gefunden haben im Grunde unseres Herzens, auch nach aussen stellen, damit der Nächste und jeder Mitmensch die Kraft und selige Gewissheit Seiner Liebe ebenso erleben kann, wie ich und du diese Kraft und Gewissheit erlebten, als der Herr uns die Gnade schenkte, uns mit Seiner Liebe zu beglücken!
Nun sind wir — die Träger Seiner grossen Liebes-Gedanken. Je mehr wir ganz in Seinem Geist zu leben suchen, tilgen wir etwas von der Schuld derer, die ja der Anlass Seines Kommens waren! Siehst du die tief in Sünden steckende Menschheit als Verführte, als ein Opfer des Lügen-Geistes an, dann wird Mitleid und grosses Erbarmen auch dein Wesen erfüllen, und dir muss bewusst werden, welch ein grosses Glück dir widerfuhr! So sei in Zukunft dein Auge auf Den gerichtet, der dich glücklich machte und dich aus der Tiefe zu Sich emporhob, doch auch auf die, die noch in der Tiefe und Gottes-Unkenntnis leben. Alles weitere tue dann aus dem Geiste, dem du ewig zu danken verpflichtet bist!
So halte ich es und erlebe täglich die Bestätigung, dass der Herr und Meister die Erfüllung aller Wünsche ist! Je grösser die Aufgabe, je grösser der Kraftaufwand, um so herrlicher sprudelt die Quelle Seiner Kraft! So erlebte ich den Meister! So erlebe ich es täglich in mir! Darum, mein Ursus, nur diesen einen herrlichen Heiland und Liebe-Meister erlebe du, und stelle dir die eine Aufgabe: dass Tausende den Heiland, Herrn und Meister so durch dich erleben und die Wege Seiner Liebe und Wahrheit auch wandeln möchten!"
Ursus, ganz ergriffen, erfasste die Hand des Lazarus und sprach: „Bruder! Habe Dank für deine Liebe, die mir eben jetzt ein grosses Erleben brachte! Ich durfte in meinem Innern erschauen, wie ein grosses Volk, gleich dem Volke Israel einst, mit Eifer um das goldene Kalb tanzte. Ich wollte dieses ihr Götzenbild in meiner Erregung zertrümmern, da wurde mein Auge auf den Hügel Golgatha gelenkt. Seine Stimme aber erklang ganz leise: „Euch Verwirrte wollte Ich erlösen, darum opferte Ich das Höchste und gesellte Mich zu den Niedrigsten, um euch, wie mit Adlerkraft zur höchsten Höhe empor zu tragen. Aber eure Liebe zum Materiellen machte euch blind und schuf euch einen Himmel nur für das Vergängliche! Trotzdem wird Meine Liebe nicht ruhen, bis euer Geist sich entbinden will und alles Niedrige in euch als Opferdank zur höchsten Höhe trägt."
Als ich so auf diese Worte lauschte, sah ich, wie lichte Gestalten in die Volksmenge eilten und mit ihrer Rechten über das Gesicht mancher Menschen strichen. Diese verliessen die grosse Menge und gingen abseits, denn das weltliche Getriebe konnte ihnen nicht mehr gefallen. So eilte ich hin zu ihnen und zeigte mit erhobener Hand nach Golgatha! Da riefen sie: „Kein totes Gebilde mehr! Wir sehnen uns nach dem Lebendigen, nach etwas, was uns lebendig macht!"
Ich wurde traurig, denn ich fühlte meine Armut. Nur Golgatha war ja mein Besitztum. Da eilte eine Lichtgestalt auf mich zu, überstrich auch mein Gesicht, und in mir und um mich wurde es hell! Nun sah ich, wie viele Lichtfunken von Golgatha aus durch die Räume des Alls sprühten, und wer von einem solchen Funken getroffen wurde, eilte nach Golgatha. So blieben nur Wenige beim goldenen Kalb, um Golgatha aber standen sie anbetend Kopf an Kopf und warteten. Nun konnte ich sprechen, nun fühlte ich mich reich, denn Leben über Leben ergriff mich, und ich hörte mich reden: „Höret alle, was das Leben euch kündet! Leben entsteht, wo sich das Herz zum Herzen findet, und aus Liebe nicht ruhen und rasten kann, bis gefunden und erlöst ist der letzte Mann!"
Da freute sich auch Demetrius und sagte: „Wie treffend du dein Werden und Wollen geschaut hast! Es erfüllt mich mit grosser Freude, dass du diese Kraft aus dem Geiste „Golgathas" genommen hast."
„Nicht genommen", entgegnete Ursus, „sondern diese Kraft war da, wie die Wärme da ist, wenn mich der Strahl der Sonne trifft."
„Lass uns nun zur Ruhe gehen", bat Lazarus, „damit in der Stille unserer Innen-Welt ausreife der Gedanke zur Tat! Sein Ruf: „Lazare! Komme heraus!" erklingt immer noch und bedeutet: alles Alte abstreifen und im neuen Auferstehungs-Geiste bereit sein! Dann sind wir wie Wellenbrecher inmitten der Brandung all des verkehrten und bösen Tuns der Verirrten! Tag für Tag treten heilige Aufgaben an uns alle heran, und immer wird es eine gute Löse geben, so wir nicht einen Zoll vom rechten Geiste abweichen!"


V. Wer und was ist uns Jesus?

So verging unter reger Arbeit der Freitag, da alles auf den Sabbath und das Fest der Pfingsten (Pfingsten — Der 50. Tag nach Ostern. Ein besonderes Freuden-Fest zur Danksagung für die gesegnete Getreide-Ernte. 2. Mose 23, V. 16) eingestellt war. Die fünf Fremden schlossen sich dem Demetrius und Ursus an und waren den ganzen Tag auf den Plantagen; und hier erlebten sie, wie der Geist der Freudigkeit und Hingebung die Triebkraft war, für Lazarus so viel zu schaffen!
So fragte einer der Fremden den Demetrius: „Wie kann Lazarus das alles so erhalten? Es sind doch Hunderte von Leuten und die vielen Tiere, die alle betreut und versorgt sein wollen; dazu diese Freigebigkeit und grosszügige Gastfreundschaft! Es ist, als erlebten wir hier ein Wunder!"
„So ist es auch", antwortete Demetrius, „das, was sonst für unmöglich gehalten wird, findet hier seine Erfüllung, denn ein ganz wunderbarer Segen liegt auf allem Tun des Lazarus! Ausserdem habe ich erfahren, dass diese Liebe und Gastfreundschaft schon vom Vater des Lazarus ausgeübt wurde und es deshalb wohl dem Herrn und Meister hier so besonders gut gefallen hat. In dieser echten Herzlichkeit, in dieser freien und frohen Sphäre wird jedes Herz nach oben gezogen, und Ewigkeits-Gedanken bereichern wiederum das eigene Innen-Leben."
„O welch einen heiligen Gottes-Begriff eignet man sich hier an", entgegnete der Frager, „aber die Hauptsache geht uns noch ab: Wer und was ist eigentlich Jesus? Wohl erfuhren wir von Seinen Jüngern schon manches über Ihn, aber unsere Sehnsucht nach Ihm ward dadurch nicht erfüllt. Er ist nicht mehr! Die Feinde Seiner Liebe-Lehren beseitigten Ihn. Die Templer kennen nichts Gutes an dem Heiland, den alles Volk als den ihnen verheissenen Messias anerkennen möchte!"
Da antwortete nun Ursus wie vom inneren Geist getrieben: „Meine lieben Freunde und wohl auch Brüder, auf diese eure Frage und eure Sehnsucht nach Ihm kann euch nur Jesus Selbst die richtige Antwort geben! Jedes Ding braucht seine Zeit zur Reife, so auch hier bei euch. Ich selber habe da wunderbare Erfahrungen gemacht. Je mehr ich suchte und verlangend mich nach Ihm verzehrte, desto mehr trieb mich die Sehnsucht nach der Persönlichkeit Jesu, wähnend, wenn ich mit Ihm zusammenkomme, sei alles heisse Verlangen restlos erfüllt. Auch ich stand vor der Tatsache: Er ist tot! Was kann mir ein Toter noch sein? Bis Er Selbst zu mir kam, mich in Sein eigenes Innere schauen liess und mir offenbarte: „Alles dieses, was Ich in Mir trage, lebt auch in dir! Wecke es durch die Liebe zu Gott und zu deinen Nächsten, dann trägst du Mein Leben in dir, und Mein Geist wird dir alles offenbaren!"
Und Ähnliches erlebten auch andere Brüder. Auch euch wird dieser Weg zu Ihm in eurem eigenen Herzen gezeigt werden, und die Antwort auf deine Frage: Wer und was ist Jesus? wird dir dann dein eigenes Ich geben! So kann ich getrost zu euch sagen: Jesus ist für jeden das — was er aus Ihm macht! Dem einen ist Er Mensch, dem Anderen Heiland. Mir ist Er der alleinige Herr, der ewige Gott, der mich mein innerstes Sein und Leben erkennen liess! Nun darf ich aus meiner eigenen Liebe zu Ihm Sein Leben und Seinen Geist Anderen übermitteln. Der Zug meines Herzens, Ihm zu dienen, ist mir wie ein Gnaden-Strom Seiner Lebens-Fülle, weil im Dienen grösste Gefolgschaft liegt. So komme ich zu der Antwort: Mir ist Jesus mein ganzer Lebensinhalt!"
Gregor, einer der Fremden, der bisher stets geschwiegen, sprach nun zu Ursus: „Du junger Freund, in meinem Herzen lebt schon eine Freude, die mich fast stumm macht! Dein Eifer, die Aufrichtigkeit in deinem Wesen, Dem gleichen zu wollen, Den wir mit Inbrunst suchen, hat mich zu deinem Freunde gemacht. Viel hörten wir schon über die Nachfolge Jesu reden und predigen, aber das Leben derer, die hier in Bethanien Seine Liebe betätigen wollen, ist mir etwas überaus Neues. Dadurch steigt in mir die Frage auf: Handeln die Jünger Jesu und alle Seine Freunde so, weil es der ausdrückliche Wunsch eures Heilandes Jesu ist, oder ist es ganz eurem freien Willen überlassen, wie ihr in diesem Geiste allen Anderen dienen wollt?"
„Gern", sprach Ursus, „will ich versuchen, deine Frage zu beantworten. Siehe, es ist ein gewaltiger Unterschied in diesem Dienen an dem grossen Werk Seiner Erlösung für die Menschheit! Da, wo Menschen sich anschicken, in den Dienst des grossen Lebens-Meisters zu treten, wird es nur Wenige geben, die den tiefsten Sinn Seiner Heilands-Lehre schon erfassen! Noch leben wir alle unter dem Eindruck vergangener Zeiten, wo die Liebe des Meisters uns den Weg bahnen wollte, diese Erde zu einem Himmel zu machen. Freilich konnte Sein Tod wohl manchen Anhänger irre machen, aber Er Selbst in Seiner ganzen Herrlichkeit ist als Sieger über allen Tod unter Seine Menschenbrüder getreten und hat uns alle wieder froh und glücklich gemacht! Nun ist der Herr zurückgekehrt in Seine ewige Ur-Welt, da nach Seinen eigenen Beschlüssen Seine Sendung als „Menschen-Sohn" restlos erfüllt ist. Der Menschheit wurde geoffenbart: Gott ist Mensch geworden, um Sein Versprechen einzulösen, und einen neuen Weg zum göttlichen Sein zu bahnen für alle, die vom Feinde des Lebens verstrickt wurden in die Aussenwelt.
Aber der Mensch vergisst so leicht wieder das hohe Ziel seines Lebens, da ihm nur am Gelingen seiner eigenen Pläne liegt! Siehe, darum wird mancher jetzt glauben: Wenn diese Heilands-Liebe verwirklicht würde auf dieser Erde, könnten sich auch meine eigenen Pläne mit verwirklichen. Wieder andere werden sich an Seine Worte, Seine Verheissungen halten und darin die Erfüllung ihrer Wünsche suchen. Ein anderer Teil wird wohl das Grosse und Gewaltige Seiner Lehre erkennen, doch nur davon predigen wollen in Seinem Namen.
So gut, wie alles dieses auch ist und zu loben wäre, bleibt aber das tiefe Sehnen Gottes doch ungestillt. Denn noch ist der Mensch nicht reif genug, um zu erkennen, dass es im Ernste zweierlei Arten gibt, Gott zu dienen. Alle die eben Genannten wollen dienen aus der Wahrheit für die absolute Wahrheit Gottes. Gott aber — will geliebt sein! Und um dieses tiefe Sehnen Gottes zu erfüllen, braucht man kein Grosser, Reicher oder Gelehrter zu sein, sondern nur wach und still zu werden und voll Demut gegen den göttlichen Willen, damit das in uns schlummernde Gottes-Leben keine Beengung erfahre. Um Ihm zu dienen in Seinen heiligen Liebe-Absichten, muss ich mich ganz von Seiner Liebe erfüllen lassen, damit ich von Seinem Geiste mich führen, leiten und treiben lassen kann! Leben aus Ihm ist ohne Seinen Geist, Seinen Einfluss, undenkbar! Wenn aber wahrhaft Sein Leben in uns wirken will, Bruder Gregor, braucht Er uns nicht zu nötigen, und wir nicht erst zu überlegen, da in dieser freien Gottes-Liebe jegliche Schatten oder Bedenken nicht mehr bestehen können! Das Leben Jesu ist und bleibt uns ein ewiges Vorbild, aber der Geist, der Jesus belebte, ist das Alles Erhaltende und die zu immer neuen Schöpfungen treibende Kraft. Nichts wird dieser Kraft, diesem Leben, entgegengestellt werden können, so viel es auch versucht wird, weil Er, als der Herr und Schöpfer Himmels und der Erden diese Kraft und dieses Leben ja Selber ist! Bedenke aber, dass in diesem Seinem Geiste die allerreinste Liebe mit der allerhöchsten Weisheit geeint ist, und darum kann unser Tun aus diesem Geiste nur das Reinste und Liebevollste sein! Mehr Worte darüber machen kann ich nicht, da ich sonst das Leben aus diesem allerfreiesten Geiste beengen würde!"
Gregor dankte dem Ursus und sprach noch: „Wie ein Vorbote der aufgehenden Sonne erscheinst du mir, und meine Ahnungen stehen fast schon vor der Verwirklichung! Gott muss aber Seinen weisen Grund haben, Seine tiefsten Geheimnisse nur wenigen Seelen anzuvertrauen. Wenn ich doch auch so nahe am Ziele wäre, wie würde ich mich freuen!"
„Du kannst es bald erreichen", entgegnete nun Demetrius, „denn wo das Verlangen nach Ihm das Herz treibt, gibt es bald Erfüllung! Darum sorge jeder, dass alles, was in seinem Herzen lebt, vom Geiste der Liebe zu einer Neuschöpfung umstaltet werde!
Dort kommt Lazarus — er sucht uns!"
Es war so; Lazarus hatte sich beeilt, zu seinen Gästen zu kommen, und rief freudig: „Alles ist geschafft! Nun können wir Erntedankfest feiern! Der Weizen ist in die Scheuern eingebracht, und dieses war nur mit Hilfe deiner Leute möglich, lieber Demetrius, die unermüdlich tätig waren; nun aber gibt es ein paar Tage Ruhe für alle. Lasset uns heimkehren, denn es sind noch Vorbereitungen zum Fest nötig."
Auf dem Wege nach dem Wohnhause dankte nochmals Gregor mit bewegten Worten dem Lazarus. „Nie in meinem Leben hätte ich geglaubt, dass sich unter den grossen Gegensätzen in der Welt ein solches Leben voll Harmonie gestalten könnte", sprach er weiter, „aber diese Tatsachen hier und die freudige Willigkeit aller beweisen uns, welch guter Geist hier herrscht! Würde ich nicht selber grosse Anwesen haben, so bliebe ich am liebsten hier und würde einer der Eurigen."
„Dies kannst du doch auch, ohne hier in Bethanien zu bleiben! Du nimmst diesen guten Geist, den du dir zu deinem Eigentum machst, mit in deine Heimat und schaffst ein zweites Bethanien, dann wirst auch du die Gnade und den Segen erleben, der aus solchem Tun hervorgeht!" — antwortete Lazarus. „Was der Mensch erlebt, ist Aussaat und Ernte zugleich. Was aber zwischen Aussaat und Ernte liegt, ist Gnade über Gnade! Darum geben wir Gott die Ehre, der uns reif gemacht hat für Seine Gnade!"
„Jedes Wort ist so lebenswahr", antwortete nun wieder Gregor, „so einfach und doch so gross! Wie wohl muss euch gewesen sein, als der Heiland Jesus unter euch weilte!"
„Nicht wohler wie heute", sprach Lazarus, „weil wir wissen: Er ist alle Tage bei uns mit Seiner Liebe, Seiner Kraft und Seinem Segen, und dieses Bewusstsein macht uns zu starken Menschen."
Ein Arbeiter kam ihnen eilend entgegen und bat Lazarus, heimzukommen, da der Tempel Boten gesandt habe, um mit ihm zu sprechen. Aber Lazarus sagte ruhig: „Deswegen gehen wir nicht schneller, dazu kommen wir immer noch früh genug!" Und es war so. Zwar regten sich die Templer auf, da sie so lange warten mussten, aber Lazarus sprach freundlich: „Da hättet ihr euch anmelden müssen! Wir haben alle Hände rühren müssen, um den Weizen einzubringen, aber ihr wolltet sogleich ernten, auch wo ihr nicht gesäet habt. Wenn ihr gekommen seid, euern Anteil daran zu holen, er liegt für euch bereit! Ich werde das Korn aber nicht mehr nach Jerusalem schaffen lassen, sondern ihr müsst es selbst holen. Stets betrachtet ihr mich als den Verworfenen, als einen Sohn der Nacht, aber das Gut, welches ihr von Bethania erhaltet, nehmet ihr gern. Doch müsset ihr es nun selbst holen, kein Knecht, keine Magd darf dabei helfen! Dies ist mein Wille! Gefällt es euch nicht, so bleibt das Korn hier für die Armen, diese kommen gern, allzu gern nach Bethania."
Die Templer schalten und wollten durchaus Lazarus umstimmen, aber Lazarus blieb fest! Und so zogen sie erbittert ab; eine neue Niederlage, die sie mit verbissenem Groll auf das Konto des Nazareners buchten und somit bewiesen: Jesus ist das, was die Liebe des Menschen aus Ihm macht! („Und was ist Er mir?" — frage sich jeder Leser!)


VI. Erntedankfest in Bethanien.

Als dann das Nachtmahl beendet war, lud Lazarus alle seine Leute und Gäste nach dem Hügel, um dort die Weihe des Erntedankfestes vorzunehmen. Die Fackeln wurden angezündet, um die kommende Nacht zu erhellen, und die Fackelträger bildeten einen weiten Kreis um alle Versammelten. Die Menge stimmte einen fröhlichen Lob- und Dank-Psalm an, dann wurde alles still, und Lazarus begann laut zu beten: „Grosser und gütiger Gott! Du Liebe aller Liebe! Du Leben alles Lebens! Dir zu danken in innerster Freude weilen wir hier. Wohin unser Auge schaut, sehen wir die Beweise Deiner Macht und Herrlichkeit, sehen wir, wie Deine Güte alles so lieblich und wundersam geordnet hat. Du Selbst hast in Deiner Liebe zu uns Menschen Dein übervolles Herz mitteilsam werden lassen, sodass wir wissen: Du bist im Geiste und in der Wahrheit mitten unter uns! Gnadenvolles Leben liegt hinter uns, doch vor uns die Aufgabe, Dein Gnaden-Leben nun an Anderen zu verwirklichen! So bleibe bei uns, und lasse uns immer daran denken, dass wir ohne Dich und Deinen Segen nichts vermögen! Gib uns die Kraft, dass wir alle Nacht in uns überwinden und einen kommenden Tag erleben, der nur Licht und Leben spendet. Segne uns! — wir sind Dein! und wollen es auch verbleiben durch Deinen Heiligen Geist! Amen." — „Amen!" — sprechen alle.
Lazarus sprach weiter: „Brüder und Schwestern! Da, wo der Herr das Haus bestellet, ist alles zufrieden und glücklich! Auch wir dürfen es sein. Und so danken wir in dieser Stunde dem Gott aller Liebe und dem Vater aller Kinder für die Gnade, dass wir sein dürfen die Ausüber Seines Willens. Willens-Träger sein, heisst aber auch: alles gnadenvolle Leben zu vermehren suchen, auf dass das Heil, welches durch Jesum, den Auferstandenen, uns geworden ist, Gemeingut aller werde. Zurückgekehrt in Seine Heimat ist unser herrlicher Meister, um von dort aus uns zu unterstützen in solchem unserem Wollen. So bleibt Er in ständiger Verbundenheit mit uns, die wir Ihn so innig lieben. Ihn lieben aber heisst wiederum: Sein in unser Inneres gelegtes Leben zu fördern, und stets im Geiste Seiner erbarmenden Liebe zu wirken!
Heute, am Vorabend des Erntedanktages kommt uns so recht zum Bewusstsein, wie doch der Mensch abhängig ist von den Einflüssen, die alles Wachstum fördern oder hemmen, und wie doch der Mensch infolge seiner hohen Veranlagung imstande sein sollte, alles Schädliche fernzuhalten, doch alles Gute viel mehr noch zu fördern! Verlorengegangen ist dieser köstliche Besitz dem Menschen, und dafür entstanden nur Wünsche und Begierden in ihm. Nun hat uns aber der Meister alles wahren Lebens gezeigt, wie der Mensch wieder in den Besitz dieser verlorenen Kräfte gelangen kann und dadurch von seiner Verbundenheit mit dem Herrn und ewigen Gott zeugen darf.
Die Ernte ist immer das Produkt einer Aussaat, und diese Verbundenheit mit dem ewigen Gott die Folge unseres lebendigen Glaubens an Seine Liebe und unserer demütigen Hingabe in Seinen Willen! — So lasset unser Leben ein fröhliches Danken sein, weil auch Gott uns danken möchte für den Dienst, den wir unseren Brüdern leisten! Und wie unser Herz erfüllt ist mit Freude und Dankbarkeit, so dass nie mehr Trauer oder Sorge uns beunruhigen sollten, so sollen alle Menschen an unserer Freude teilnehmen, denn in der rechten Freude erst bist du befähigt, wahrhaft zu danken. Dankbare Kinder rühmen in allen Tonarten ihres Vaters herrlichstes Gut! Darum lasst uns rechte Kinder sein, und noch mehr werden, um Seiner heiligen Liebe willen!"
Nun schwieg Lazarus. Die äussere Dunkelheit kam ihnen nicht zum Bewusstsein, da die vielen Ölfackeln in den Händen aufrecht stehender Männer einen grossen Licht-Kreis ringsum bildeten; und die von Herzen kommenden Worte hatten alle zu frohem Danken gestimmt.
Enos schaute fragend auf Lazarus — und dieser nickte zustimmend. So trat Enos an die Seite des Lazarus, segnete als Priester alle die hier Versammelten und fuhr fort: „Meine Brüder — und auch ihr Schwestern! Dem grossen und heiligen Gott hat es gefallen, Seine Gaben in reicher Fülle auszuschütten in den Schoss unserer Erde. Durch Seine Gnade hat Er uns zu Sachwaltern dieser Güter gemacht, aber durch Seine väterliche Liebe — zu Kindern! So hat Er uns alle Sorgen abgenommen, damit wir in rechter Freude Ihm danken können! Aber, meine Brüder, es gibt kein Glück, welches wahrhaft ungetrübt wäre. In all unserer Freude und unserm Geborgensein umschleicht doch Wehmut unser Herz, da die Liebe aller Liebe so verkannt ist, und die Herrschsucht so viele Herzen zu Stein verhärtet hat. Ich bekenne: Alt und grau bin ich geworden, doch die Lehre Jesu und Seine Liebe zu allen Menschen war mir ein Ärgernis. Durch Herschsucht und Hass aber ward ich selber in Leid und Not geführt, bis gütige Herzen der Heilands-Lehre mir halfen und mich hineinführten in eine ganz andere Welt, die nur Frieden und Sonnenschein kennt! Ein Priester — ist ein Säemann! So sagt mir mein Herz: Nur in diesem neuen Sein und Leben kann ich Säemann sein und kann in rastloser Tätigkeit die Schuld abtragen, die der Heiland Jesus auch für mich mit Seinem Blute bezahlte.
Es werden Zeiten kommen, wo Sein Wort gepredigt wird in allen Landen; auch wird eine Zeit kommen, wo Not und Leid die Menschen fast verzweifeln lässt! Aber über alle Zeiten hin wird stehen das Kreuz, und wird mahnend erinnern und einladen, bei Dem Ruhe und Frieden zu suchen, der am Kreuze noch Seine erbarmende Liebe zu allen Menschen bekannte! Der lieber starb für die Erlösung Seiner Kinder aus der Materie, als für Ewigkeiten ohne Kinder zu sein! Darum bekenne ich hier: Du mein Jesus, Du gabst mir ein neues Leben, welches nach Betätigung drängt, und so geschehe allezeit nur Dein heiliger Wille! — Amen."
Ganz ergriffen lauschte die Menge — und eine Stille trat ein, jeden zur inneren Einkehr einladend.
Nach einer Weile lud Lazarus seinen ältesten Arbeiter Tobias zu sich und bat ihn, auch einige Worte zu sprechen — und es geschah. Tobias, eine alte, ehrfurchtgebietende Gestalt mit weissem langem Haar und Bart, begann: „Gern erfülle ich die Bitte unseres Haus- und Brotherrn und will das selige und frohmachende Leben aus dem Geiste wahren Zufriedenseins bezeugen. Es ist nicht nur das friedliche Leben hier, nicht nur das Bewusstsein: wir sind versorgt, sondern es ist der Geist hier, der uns so belebt und erfüllt. Wie nahe ist uns doch der Himmel und wie fremd die Erde geworden! Warum? — Weil Gottes Liebe erbarmend die Tore zum heiligsten und innersten Gottesleben weit geöffnet hält.
Wo ist einer, der sagen kann: mir wurde die Gnade entzogen! Wo ist wohl jemand, der bittend und suchend beim wahren Heile vorübergegangen wäre, und wo wäre wohl noch einer, der da sagen könnte, mir hat diese Liebe und Gnade nicht zugesagt? Es wird keinen geben, höchstens die, die vom falschen Geist noch trunken sind. Um die klage ich mit meinem Heiland, der mit sehnsuchtsvollem Herzen doch allen Glück und Erlösung bringen wollte. Spärlich nur war die Ernte all Seines Liebe-Dienens, eines Dienens, das alle Menschen zu ewigen Schuldnern macht! Wie wird aber die Ernte sein, wenn sich alle Verheissungen erfüllen? Wenn durch Not und Leid und durch wunderbare Führungen jedes Menschenkind erkennen muss: Alles ist so vergänglich und wertlos ohne den liebenden Gott, den Vater aller Kinder.
So rufe ich euch zu: Wohl trauern viele um ihren Wohltäter, der in restloser Liebe sorgte und besorgt war um unser aller Wohl. Er ist unserem Auge entschwunden, will aber unserm Herzen so viel näher kommen! Sein zu uns gesprochenes Wort wird lebendiger von Stunde zu Stunde, und Seine allumfassende Gnade macht uns zu einem Glutbecken, welches immer mehr Licht und Wärme spenden will. Wie ein reissender Strom wird sich Seine Wahrheit in die Herzen Seiner Getreuen ergiessen und wird das festeste Bollwerk des Fürsten der Finsternis niederreissen. Wohl nahmen wir Abschied von unserem Heiland, der uns in unserem Leben so viel, so Grosses war; aber nun rufen wir alle: Willkommen Du Lieber! — Du Guter! Die Welt ist zu gering und vermag uns nicht mehr von Deinem Leben zu trennen. Nun ist Dein Sehnen erfüllt! Nun ist Dein Geist zum Durchbruch gelangt! Deine Boten harren Deines Rufes und sind bereit, aus Deinem Geiste eine neue Saat in den Schoss und Mutterboden Deiner Menschen-Kinder zu legen. Ich sehe im Geiste, wie Licht um Licht, wie Leben um Leben die Finsternis und alles Tote verdrängt. Wie die Botschaft Deines Gottes- und Herzens-Friedens diese Erde zum Ausgangspunkt Deiner herrlichen Liebe macht!
So kommet, ihr Fackelträger! Vereinet euch nun zu einer einzigen Flamme und gebt heute, am Vorabend der Vollendung Seines herrlichen Gotteswerkes, der Erde und ihren menschlichen und geistigen Bewohnern den Beweis: Jesus ist unser Licht und unser Leben! Was seit unendlich langen Zeiten verborgen war, ist uns heute offenbar: Die ewige Liebe des grossen Gottes will, vereint mit Ihren Kindern, der Erde und allen Welten Seinen heiligen Geist vererben, damit aufhöre alle Feindschaft!
Welch eine Gnade, für würdig befunden zu werden, mitzubauen durch Seinen Geist am grossen heiligen Erlöser-Werke! So leuchtet, ihr Flammen, als Zeugnis für Den, der mit flammendem Herzen und heiligem Liebe-Feuer uns den heutigen Tag erleben liess, wo wir mit frohem Herzen bekunden dürfen: Das Licht scheinet in die Finsternis und wird nie mehr aufhören, zu scheinen, bis alle Finsternis sich zum Lichte bekennen muss! So danket nun in euren Herzen und durch eure Taten, denn die Welt hungert nach eurem Dank, hungert nach Beweisen solchen Lichts, das sich durch euch als Lebens-Kraft und heiliges Lebens-Gut offenbaren soll! So gib Du, o Herr und Meister Jesus Christus, uns den Segen! Er ist das Vermächtnis Deiner Liebe, damit auch wir durchdrungen werden, gleich Dir zu segnen und allen zu dienen. So lasse Deinen Willen unser Wollen werden! Amen."
Wiederum wurde es still — bis Lazarus sagte: „Lasset uns nun zur Ruhe gehen, damit von diesem herrlichen Geiste nichts nach aussen hin verflache. Was die ewige Liebe uns zugedacht, haben wir in reichem Masse empfangen. Morgen, zum Sabbath, sei euch allen wahrhafte Ruhe anempfohlen! Tue jeder frei nach dem Zuge seines Herzens, und Gott wird mit uns sein! Amen."
Auch Lazarus war innerlich stark ergriffen und sagte zuletzt noch zu seinen Gästen: „Morgen ist Sabbath, aber der nächste Tag ist Pfingsten, da wollen wir uns vereinen mit den Brüdern in Jerusalem!"


VII. Was ist der Heilige Geist?

In diesen Tagen blieben alle Jünger im Hause Marias eng versammelt, und in einmütigem Beisammensein, in innerster Stille und Erwartung wurde ihr Inneres frei von den letzten Bedenken. Mächtig arbeitete der Gottes-Geist an ihrem Wesen, bis auch das letzte Hemmnis, welches der Verstand und die Eigenliebe noch aufgerichtet hatte, beseitigt war. Am Sabbath-Abend (Neun Tage nach der Himmelfahrt.), sassen die Jünger auf dem Söller des Hauses und waren gemeinsam erfüllt von gesteigerter Sehnsucht, aber auch voller Hoffnung auf die Verheissung Jesu!
Diese stille Nacht machte ihre Herzen besonders still und aufnahmefähig, und in Petrus entwickelte sich langsam eine Klarheit und Bewusstheit von dem, was vorher nur Hoffnung war, dass er plötzlich ausrief: „Ich erlebe Gewaltiges und ganz Wunderbares! Mir ist, als gehe ich ein in den Herrn, als sei ich ein Wesen ohne Fleisch und Blut und könne in der Gestalt und der Person Jesu, ja in Seiner Menschen-Hülle, Wohnung nehmen!"
Er schwieg — dann fuhr er leiser fort: „In Wirklichkeit ist es aber doch anders. Ich fühle ein heiliges Wehen um mich und sehe nun den Meister in mir. Er wird immer grösser, ich bin nichts mehr! Ja, ich sehe nur noch den Meister in meiner Form, in meiner Hülle! Er ist wie von durchsichtigem Gold, in Seinem Herzen aber leuchtet ein Flämmchen, das farbiges Licht erzeugt und damit die innersten Herzens-Regungen erleuchtet. Jetzt leuchtet schon das ganze Herz und strahlt wie eine Sonne, die aber nicht blendet. Diese Strahlen dringen hinaus aus mir, und, o Wunder, ich kann in diesem Lichte die ganze Schöpfung durchschauen! Immer heller noch wird dieses Leuchten und wird zu einer heissen Glut in mir; jetzt entschwindet meine Form und ich sehe nur noch den Meister in Seiner innersten Glorie!"
Wieder schwieg Petrus, wie in andachtsvoller Schauung, dann rief er in aufflammender Erkenntnis aus: „Herr! — Du bist nicht nur Sohn, Du bist der Schöpfer Selbst! Du bist Gott! — der Ewige — der Heilige! — und — unser Erlöser!"
Petrus atmete tief auf; nun ahnte er, was der Name „Gott" uns bedeuten will! Immer leuchtender wurde sein Angesicht und auch von seinen Händen gingen feine Lichtstrahlen aus. Johannes ergriff die Rechte des Petrus und reichte die Linke dem Jakobus; dieser aber reichte die Hand den Anderen, dass eine Kette gebildet ward. Ein heiligender Licht-Strom erfüllte nun alle, und mit bittendem Herzen: „Durchflamme auch mich!" schauten sie ebenfalls dieses Licht in sich und erlebten die Gottheit in sich als lebendige Feuer-Kraft, als den Erwecker alles Lebens!
Johannes sprach ergriffen: „Brüder! Nun hat der Herr Seine Verheissung erfüllt! Sein eigener Heiliger Geist hat uns durchflutet! Dieser Heilige Geist als Licht aus Seinem Ur-Lichte, als Kraft aus Seiner Ur-Feuer-Kraft, als Klarheit aus Seiner Weisheit, will Wohnung in uns nehmen und in allen Menschen! —
Wie klar wird mir, dass man selber erst lebendig werden muss, um dieses neue Leben in Anderen wecken zu können! (Aber wie schwer machen sich die Menschen von ihrer geistigen Trägheit los) Nun bin ich mir bewusst: Alles, was Jesus als unser Meister uns nicht sagen durfte, finden wir von nun an als lebendige Wahrheit in uns selbst. Er ist unser Gott! Jesus, als Mensch, gab durch freiwillige Opfer dem ewigen Gottes-Funken Raum in Seiner Brust! Uns aber, Seinen Zeugen, schenkt Er diese Seine erworbene Gottes-Kraft, und macht uns dadurch zu Trägern Seines Heiligen Geistes, damit durch diese Licht-Kraft alles Trennende, welches sich immer noch zwischen Gott und das werdende Gottes-Kind stellen will, überwunden werde."
Petrus erhob sich, und voll Festigkeit waren seine Worte, als er sprach: „Noch nie habe ich diesen heiligen Gottes-Funken in mir so als Kraft und Licht erlebt und gefühlt! Ich sehe: Gott, der Ewige, wird überall sichtbar für uns, denn Er ist in uns und erweckte unseren Lebens-Kern! Dadurch wird jedes Wort des Meisters wie von Innen her in seinem Ewigkeit-Sinn durchleuchtet! Vor uns liegt nun die grosse Aufgabe: Sein heiliges Wort in diesem Lichte allen zu verkünden! Doch in diesem Lichte wird diese Aufgabe uns ja zum Bedürfnis!"
Sinnend fuhr Petrus fort: „Da nun das gewaltige Leuchten in mir verblasst, bleibt doch ein heisses Drängen in mir, das immer tiefere Erkenntnisse über Jesus, den Herrn, bringt! Er ist wahrhaft Gott — von Ewigkeit zu Ewigkeit! Seine grosse Liebe zur Menschheit machte uns zu Seinen Jüngern und Zeugen. Getrieben von diesem neuen uns geschenkten Heiligen Geiste, reden und zeugen wir freudig von Seiner Liebe zu allem von Ihm Geschaffenen und dürfen damit wirken und weben an Seinem heiligen Erlösungs-Werke!"
Alle Zurückhaltung war plötzlich überwunden, denn dieses neue Erleben sah ein bestimmtes Ziel vor sich: die Verwirklichung all der gewaltigen Aufgaben, die Jesus, als Gottes- und Menschensohn, verwirklicht haben wollte. So wurde dieser Heilige Geist das Treibende, aber auch das Beglückende in ihnen und schuf einen Strahlenkranz von Freude um die Jünger, der sich als Abglanz auch auf die Anderen übertrug. Von nun an waren sie die Gebenden! Die Quelle ihrer Kraft war Christus, der da lebte und wirkte in ihrer Brust.


VIII. Pfingsten!

An diesem besonderen Freuden-Feste zog viel Volk zum Tempel, wo sich aber schon im Vorhof zwei Parteien bildeten: die Einen waren mit den Massnahmen der Templer unzufrieden, die Anderen hielten zum Tempel; und so drohte ein Streit, als der bessere Teil die Aufmerksamkeit auf die eben ankommenden Jünger Jesu richtete und rief: „Dort kommen sie, diese wollen wir hören!"
Es entstand eine Bewegung und ein Weg wurde gebahnt; die Templer aber hatten sich in den Tempel zurückgezogen. Alle schauten auf die Jünger, die in überirdischer Freude ihre Hände segnend ausbreiteten. Als dieselben die Stufen, die in die Vorhallen führten, betraten, drehte sich Petrus um und segnete nochmals das ganze Volk.
In diesem Segnen flammte der Funke seines Gottes-Lebens wieder hoch auf und belebte auch seine anderen Brüder. Lautlos hörte die Menge seine vom Geist der Wahrheit mit Überzeugung gesprochenen Worte, die ein Verständnis für das neue Leben und die Kraft, die ihn zum Sprechen zwang, schufen.
Immer noch mehr wollte die Menge hören, und so wurden auch die anderen Jünger getrieben, offen von der grossen, erlösenden Heilands-Liebe zu zeugen. Und merkwürdig — sie wurden restlos verstanden, da ja alle Jünger aus dem Feuer ihres Herzens, und nicht aus dem Willen, dieses neue Leben durch Jesus bezeugten. Nicht einer konnte sich der Wahrheit verschliessen, etwas vernommen oder empfunden zu haben, was sein Gemüt nicht beseligt hätte! Je mehr die Jünger sich vom innersten Geiste führen liessen, um so verklärter wurden ihre Gesichter. In ihren Herzen hatte die ewige Liebe ein heiliges Feuer entfacht, welches nun flammend von Herz zu Herz, von Liebe zu Liebe übergriff, und dessen Flammen als Leben weckend alles Verstandesmässige beseitigten. Über ihnen war ein Glanz wie aus lichten Höhen, und man glaubte: ein Rauschen und Brausen zu vernehmen wie einen Widerhall aus den Hallen des Tempels, wie ein Echo aus dem hohen Hause, welches der Heiligkeit des Gottes-Wortes geweiht sein sollte! Immer überzeugender sprachen die Jünger, bis die Herzen der Menge selber in helle Begeisterung gerieten. Nun war die Verheissung erlebt! Alle Schranken waren gefallen! Dieser Heilige Geist hatte die Tore verkehrten Verstandes-Wissens verschlossen und ein anderes Tor der Erkenntnis geöffnet, welches direkt zum Herzen und in das Gemüt führte.
Ein jeder hörte die Sprache seines Herzens, hörte, wie der Gott der Liebe zu seinem eigenen Inneren sprach! Und vor diesem Geschehen gab es kein Ausweichen. Viele wurden überzeugt, aber noch viel mehr hungrig gemacht, und verlangend nach wahrem Lebens-Brot wurden auch ihre Herzen reif für den Geist, der uns tröstet und in alle Wahrheit führt!
In der Herberge des Lazarus war grosser Jubel: Nun hat der Meister Sein gegebenes Wort eingelöst! Es ist eine Verbindung geschaffen von Seinen Himmeln aus bis zur Erde, die kein Feind, kein Gegner mehr unterbinden kann! Wie oft hatte der Meister darauf hingewiesen: „So Ich nicht mehr unter euch bin, soll Mich doch keiner vermissen!" Ja, noch mehr: „Es kann mit Mir reden — wer da will, gleich, zu welcher Zeit oder Stunde!" —
Nun war es erfüllt! Der Beistand, der Führer und Tröster aus den Himmeln war Eigentum dieser Erde geworden, denn die Feuer-Kraft dieses Heiligen Geistes war nicht Erscheinlichkeit, nicht aus zeitlichen Umständen geboren, sondern war eine freie Gabe Dessen, der in aufnahmefähigen Herzen nun Raum und Wohnung nehmen wollte. So löste Jesus Sein Versprechen ein und gab viel mehr, als erwartet wurde, nämlich: Brot aus Seinen Himmeln, Licht aus Seinem Lichte und Kraft aus Seinem Ur-Geiste! —
Für Ursus und Theophil wurde dieses Erleben wie eine Stufenleiter zu höchsten Gottes-Begriffen! Wie von Oben herab erschauen sie alle Gnaden-Vorgänge in einem viel herrlicheren Lichte! Nun erleben sie nochmals in aller Wirklichkeit: Gott ist Leben! Und Gott gibt immer neues Leben durch den Heiligen Geist, der allen verheissen ist durch Jesum Christum! Pfingst-Geist ist Erneuerung zur Freude! Pfingst-Geist ist Fortsetzung und Erfüllung Seines grossen Erlösungs-Werkes.
Die Gäste blieben in Jerusalem; keiner empfand eine Müdigkeit, für alles war bestens gesorgt, und ohne Schwierigkeiten wurden alle irdischen und geistigen Wünsche erfüllt.
Demetrius nahm Lazarus abseits und sprach: „Bruder, viel Göttliches habe ich bei euch erlebt, aber das Gewaltigste war doch heute! Die Nachwelt wird es nicht fassen und begreifen. Diese Kraft und das Feuer des neuen Lebens in den Brüdern schuf in uns allen ein neues Licht! Ich danke dir, dass du uns noch hier gehalten hast; denn wären wir heimgezogen, hätte ich nie dieses Grösste und Gewaltigste erleben können! Aber nun habe ich eine Bitte, die du mir nicht abschlagen darfst: Lasse mich alle Unkosten von heute tragen, und alle Fremden sollen meine Gäste sein. Du willst von Dank nichts wissen für alle Ausgaben, die doch immerhin ganz bedeutend sind. Darum lasse mich wenigstens heute einmal Hausherr sein; mir ist, als ob der Herr und Meister auch Freude daran hätte."
Sprach Lazarus: „Bruder, du weisst, wie gern ich jede Bitte erfülle - so sei dein Wunsch gewährt. Ich fühle mich schon den ganzen Tag wie Gast am Hochzeitsmahle. Es sind dies Vorfreuden der ewigen Seligkeiten, die in natürlicher Art uns schon im Irdischen ahnen lassen, was alle die erwartet, die ganz in Seinem Sinne Verwalter Seines Gutes und Träger Seines Geistes sind. Begeben wir uns wieder zu unseren Gästen; es braucht niemand zu wissen, ob du oder ich Gastgeber sind, aber ein Jeder soll fühlen, heute geniesse ich alles am Tische der ewigen Liebe! Doch, Bruder, eins bedenke noch: keinen einzigen Templer siehst du heute. Hat die ewige Liebe nicht weiter gesorgt denn wir? Manchem wäre diese Liebe kein solch herrliches Geschenk geworden, wenn verbissene und erbitterte Priester unter uns wären. So aber siehst du nur Freude und Dankbarkeit. Darum lasse die Erinnerung an diesen Tag nie verblassen, sondern lebendig und gegenwärtig in dir bleiben! Denn es ist Pfingsten! — und möge immer das Pfingsten der Freude bleiben in uns."


IX. Abschied von Bethanien.

Nach diesem gewaltigsten Pfingst-Erlebnis drängte es Demetrius zur Abreise; und so plante Lazarus noch ein Abschieds-Mahl in Bethanien, wozu die Jünger und viele Freunde und Fremde eingeladen wurden. Zum Donnerstag wurde das ganze Haus festlich geschmückt; die Mutter des Herrn aber kam schon vorher zu den Schwestern des Lazarus, da sie sich in Jerusalem überflüssig fühlte. Ursus und Theophil waren seit Himmelfahrt unzertrennlich, und Theophil wäre am liebsten mit den Römern fortgezogen, aber Ursus lehnte dies ab. Er sagte: „Bruder, bleibe hier! Die Brüder können dich viel nötiger brauchen denn ich. Mein Leben ist umgeben von Gefahren, und in der Wüste muss man vieles entbehren. Die Pflicht gilt uns Römern alles, und die Sorge um das Anvertraute an Menschen und Gut ist nicht gering. Wohl haben wir die herrliche Verheissung, dass der Herr allezeit bei uns ist und uns unterstützt nach dem Grade unseres Glaubens und Vertrauens; aber ich hätte keine Ruhe, so dir ein Unfall zustiesse. Darum bleibe! Der Herr hat dir ein anderes Arbeitsfeld bestimmt!"
Darauf konnte Theophil nichts erwidern, und auch Demetrius pflichtete dem Ursus bei.
Gegen Mittag schon war das Haus voller Gäste, und die Jünger brachten auch noch Freunde mit, in denen das Verlangen nach Wahrheit übermächtig war. Inzwischen wurden Erfrischungen gereicht, denn das Festmahl sollte erst mit dem Sinken der Sonne beginnen. Jeder Bewohner von Bethanien machte es sich zur Pflicht, allen Besuchern das wahre Wesen der Liebe zu zeigen, welches jeden von Innen erfüllen muss. Und ehrliches Staunen und grösste Befriedigung war das Echo für ihre Liebe und ihr Tun. Auch zu Enos traten viele Bekannte und drückten ihre Freude aus, dass er in Bethanien ein neues Leben gefunden habe. Aber am meisten waren die Jünger umgeben, denn in ihren Herzen lebte strahlende Freude und Kraft-Bewusstsein.
Ein Grieche sprach zu Petrus: „Es wird mir alles so gross und gewaltig, wenn ich mich wahrhaft in das Leben eures grossen Meisters hineindenke, und so frage ich: War diese Ausgiessung des Geistes von Pfingsten wie die Geburt und das Sterben eures Messias auch schon seit Anbeginn der Welt vorgesehen? Wieviele Schriftstellen prophezeien von Seiner Geburt, wie auch von Seiner Opfer-Tat, aber dass Seinen Jüngern diese überirdische Gnade Seines Geistes zuteil werden sollte, ist mir aus euren heiligen Schriften nicht bekannt!"
„Lieber Freund und Bruder im Herrn", antwortete Petrus, „diese deine Frage ist durchaus berechtigt. Alle Verheissungen Gottes an die in Materie gefallene Menschheit richteten sich auf den einstigen Erretter und Erlöser daraus, welcher nun in der Person Jesu diese Seine heilige Mission restlos erfüllt hat! Aber jede Verheissung ist zugleich eine Gottes-Offenbarung und schliesst so Vieles, Hohes und Geistiges ein, dass derjenige, der gläubig sucht, noch manches darin finden wird, was bis jetzt noch nicht ausgesprochen ward. Es ist aber offenbar, so Er, der Meister, der nach Jesaias: Ewig-Vater und Friede-Fürst heisst, alle, die in Seinem Geiste leben, zu Seinen Auserwählten macht, ihnen die Kraft Seines Geistes nicht vorenthalten wird. Wir waren Zeugen Seiner Macht, Kraft und Herrlichkeit, und ihr seid Zeugen von dem, was Sein Geist uns gibt! Kann nun Sein Geist in uns etwas anderes wollen als in Ihm?
Des Meisters Leben und Sterben war Erfüllung der Schrift! Mit Seiner Himmelfahrt nahm Er alles fort, was noch an Persönlichem von Ihm in uns lebte! Dieses Pfingsten aber war der Tag unserer Taufe mit Seinem Feuer, wo Er im Geiste Sein Vermächtnis der ganzen Menschheit anbot. Denn siehe: Was Jesus an Opfern an Seinem Menschlichen darbrachte, forderte das Gesetz von Ihm! Was aber wir, als Erben und als Träger Seines Geistes, opfern wollen, ist freie Liebe aus freiestem Wollen! Was aber aus freier Liebe heraus geschieht, steht über allen Verheissungen!"
Der Grieche bedankte sich; in ihm stiegen neue Klarheiten auf, doch das allgemeine Zeichen ertönte vom Wohnhause. Es war Zeit zum Versammeln im grossen Speisesaale, und so endete jede Unterhaltung, um das Fest nicht zu verzögern. Schön war der Saal geschmückt; auf allen Tischen standen Leuchter bereit zum Anzünden, und weissgekleidete Diener eilten hin und her. Als alle Gäste Platz genommen hatten, gab Lazarus Anweisung, das Mahl aufzutragen; es wurde Fleisch von Hühnern und Lämmern gereicht, dazu Gemüse und Brot und köstliche Früchte, andere Diener füllten die Becher mit kühlem Wein.
Lazarus stand auf und sprach: „Liebe und teure Brüder! Die ewige Liebe grüsset uns und segnet unser Fest! Auch meine Liebe möchte euch mit den Kräften umhüllen, die aus Jesus kommen, um euch zu beweisen, wie glücklich ich in diesem Geiste bin. Seid es mit mir! Und so wollen wir gemeinsam bitten: „Herr! Es verlanget uns, mit Dir das Mahl zu halten! Sei im Geiste bei uns und nimm den Dank dafür entgegen, dass wir in Deinem Namen auch segnen dürfen! So sei gesegnet diese Stunde, die wir hier aus Deiner Gnade erleben dürfen! Sei gesegnet du, Bruder und Schwester, der du ganz mit Jesu Geist erfüllt sein willst, und sei gesegnet, du,Speise und Trank, damit ihr uns stärket zur Betätigung unserer Liebe!"
Nun nahmen alle von den schönsten Speisen. Trotz der vielen Menschen lag Weihe über allen, und die gegenseitigen Unterhaltungen wurden nur leise geführt. Der Tag neigte sich, die Leuchter wurden angezündet und die Tische abgeräumt. Alle schwiegen, denn sie wussten, nun beginnt die Weihe-Stunde.
Lazarus sprach: „Liebe Gäste! Wir empfinden alle, dass die vergangenen Wochen mit ihren gewaltigen Prüfungen uns innerlich fest miteinander verbunden haben. Alle unsere Nöte wurden gemeinsam überwunden, und so ist es auch in der Ordnung, dass unsere Freude gemeinsam genossen wird. Dieser Abend ist aber zugleich eine Abschieds-Feier, da viele von euch nun in ihre Heimat zurückreisen; und auch unsere lieben Brüder Demetrius und Ursus wollen mit ihrer ganzen Karawane uns verlassen. Die Pflicht ruft jeden auf seinen Platz zurück, doch die Erinnerung an diese herrlichen Erlebnisse wird bleiben und kann Vergangenes immer wieder lebendig machen! So bitte ich euch alle: Eilet, so oft ihr Gelegenheit habt, im Geiste her nach Bethanien! Verbindet euch mit uns, die wir alle doch nur ein Streben kennen: Eins zu werden mit dem Geiste Jesu!
Meine Brüder! Gehet mit freudigem Herzen auch an eure neuen geistigen Pflichten, denn die Erde wartet derer, die Gebundene befreien, und Gerichtete erlösen wollen, damit alle Versuchungen aufhören, die uns nach Unten ziehen wollen, und neue Hoffnungen lebendig werden, die uns nach Oben tragen! Unser aller Hoffnung aber — ist Jesus — und immer wieder Jesus! Darum, Bruder Petrus, reiche du nun den Brüdern das geistige Brot, welches der Meister in dir für uns in Bereitschaft hält, und du, Bruder Johannes, gib uns dann den Segen dazu!"
So begann Petrus: „Liebe Brüder! Durch die Gnade Jesu darf ich zu euch reden von der Liebe, die sich uns allen so herrlich offenbarte! In den letzten Tagen erlebten wir, wie Himmlisches sich zur Erde neigte, um uns zu beglücken und in uns ein Verlangen zu wecken, welches nicht durch Irdisches befriedigt werden kann! Nun dürfen wir zeugen von dem, was wir erlebten, was der Meister in Seiner Liebe uns gab, damit es unser eigen werde, und als Eigenes nun Anderen zu offenbaren! Erwartet in dieser Stunde nichts, was eure Wissbegierde stillt, sondern nehmt in euren Herzen auf, was euch, aus dem Herzen kommend, gereicht wird, nämlich: dass die Stunde nun endlich da ist für alle, wo ein jeder seine ganze Persönlichkeit der Sache des Herrn und Meisters zur Verfügung stellen soll!
Der heilige Augenblick ist da, wo du, Bruder oder Schwester, zu einem Sammel- und Zentralpunkt werden kannst! Jede einstige Verheissung auf den Erlöser und Retter geht jetzt auf dich über, und du, Mensch wirst zum Bindeglied zwischen Diesseits und Jenseits, zwischen Himmel und Erde. Sein heiliges Vermächtnis an uns: Sein angefangenes Werk zu vollenden, stellt uns vor neue Aufgaben! Die erste und grösste aber ist: Nichts sein wollen, um Seinen Willen stets klarer zu erkennen! Dann können wir auch auf die Kräfte rechnen, die in uns geboren werden und uns zum Hüter, zum Licht- und Wahrheits-Träger machen!
Was wir äusserlich mit dem Meister von Seiner Liebe, Macht und Herrlichkeit erlebten, verschwindet vor dem, was uns der Meister als liebender Vater jetzt innerlich sein will! Denn das Pfingsten, das wir erlebten, wird nie mehr wiederkehren! Es wird nur in der Erinnerung leben! Es war das Pfingsten des Herrn!
Nun aber sollst auch du, Bruder, dein Pfingsten erleben, wo du als Neuschöpfung in dir diesen Geist Jesu als dein freies Eigentum der Erde reichen kannst. Wo du als Retter vielen irrenden Seelen eine andere Richtung und Entfaltung geben kannst!
Wo eure Augen sich hinwenden, sehet ihr ringende Wesen, seufzende Kreaturen. Ihre Rettung kann nicht nach Gesetzen vor sich gehen, sondern nur durch ihr freiestes Wollen! Darum reichte Jesus, als der Erretter aller, auch dem Tiefgefallenen die Hand, um ihn würdig zu machen, mit seinem freien Willen die erlösende Gnade und beseligende Heilands-Liebe zu ergreifen. Dieses beweist uns — der Charfreitag! Allen Gegnern aber offenbarte Er Seine göttliche Kraft und Macht durch Seine Auferstehung und zeigte ihnen, dass Er das Leben ist — und Leben austeilen will! Seinen heiligen Frieden pflanzte Er gleich den zartesten Pflanzen in die Herzen aller Verzagten. Wie eine besorgte Mutter pflegte Er die Berufenen und machte sie zu Auserwählten! Gelungen ist Seiner Liebe das herrlichste Werk: Pfingsten!
Du heiliger Tag! Du brachtest dem ewigen Gott den Beweis, dass Sein Geist, der in allen Himmeln das Regierende und Erhaltende ist, jetzt der Erde eingepflanzt ist in die Herzen jener Menschen, die sich als Sein Eigentum bekennen! Von nun an gibt es keinen anderen Gottes-Dienst als den Dienst an unsern Mitmenschen im Geiste Jesu, des All-Erbarmers!"
Petrus schwieg! — Seine flammenden Worte hatten gezündet — und Stille ward in allen Herzen! —
Nun erhob sich Johannes, sah liebevoll in aller Augen, segnete sie und sprach: „Gesegnet seid im Geiste Jesu! Machet eure Herzen weit und die Türen hoch, damit sich Sein Licht in euch ergiesse, welches durch die Liebe zu allen Wesen in euch geboren wird! Wohl ist das Unfassbare geschehen: Gott — wurde Mensch! und wir sahen Seine Herrlichkeit! Aber Er kam nicht, um uns Seine Himmel und Herrlichkeiten zu zeigen, sondern dass wir Zeugen werden für Seine Liebe- und Wahrheits-Lehre! Darum dürfen wir, Seine Zeugen, nicht schweigen, denn wir wissen: Es ist noch ein weiter Weg bis zur völligen Einung mit dem Ewigen.
Mit meinen geistigen Augen erlebe ich jetzt die Gnade, zu schauen in die Sphären der Seeligen. Mit welcher Freude und Wonne nehmen sie Kenntnis von dem Geist, der der Erde und ihren Bewohnern Befreiung bringen soll von den Ketten und Banden, die der Feind alles Lebens um alles Sein geschlungen hält!
Wieder darf ich Engel schauen, die mit dem heissesten Herzen zu uns Menschen dieser unserer Erde kommen und helfen möchten - aber sie müssen schweigen, weil es dem Erden-Menschen vorbehalten sein soll, seine Ketten selber zu sprengen, und den lebendigen Geist in seinem Innern selber zu entbinden, der die Befähigung in sich trägt: Eins zu werden mit Gott, dem ewigen Vater, dem Herrn der Unendlichkeit!
Ihr könnt es noch nicht begreifen, mit welcher Ehrfurcht ein Engel vor dem erwachenden Leben in der Brust eines Gotteskindes steht! Er weiss: Dieses neue Leben — ist der wiederkommende Christus! und diesem Leben ist die Möglichkeit gegeben, einen neuen Himmel und eine neue Erde zu schaffen!
Dieses herrliche Leben aber konnte Christus Jesus uns nicht geben, sondern nur den inneren Weg dahin uns vorleben! Aber geweckt durch den Geist von Pfingsten darfst du nun, Bruder und Schwester, als eigenes Leben weitergeben, was du durch die Gnade Jesu in dir gefunden hast!
Wie Jesus, unser Meister, nur zeugen konnte von dem Himmel, der Sein eigen war, so sollst auch du nun zeugen von dem, was durch Jesus dein geworden ist! Was du noch dein nennst aus dir, gehört der Erde und muss vergehen! Was aber durch Jesus dir geworden ist, gehört dir für alle Ewigkeit und steht deiner freien Liebe zur Verfügung.
Pfingsten soll es immer bleiben! Denn in dir möchte der Heiland Sein Ebenbild und Seinen Wesens-Träger sehen, damit Sein heiliger Geist die Quelle aller Kraft auch in dir erschliesse!
Pfingsten soll es immer bleiben, da es uns die Gewissheit gibt: Ich bin durch Seine Liebe und Gnade Sein wahres Kind und Sein Erbe geworden!
Und Pfingsten soll es immer bleiben, damit ich mich zu den Auserwählten zählen darf, die im Geiste Jesu Miterbauer am ewigen Gottesreiche sind!
Bis in die heutigen Tage kamen alle Segnungen von Oben, da Gott, der Ewige und Erbarmende, Sein Herz vor den Bitten der Menschen nicht verschliessen konnte. Aber Pfingst-Geist bringt Segnungen von Oben und von Unten, da das liebende und segnende Gottes-Kind begnadet ist, durch die Kraft seines Glaubens und die Macht seiner Liebe Den auf dieser Erde festzuhalten, Der da ist Ewig-Vater und Friede-Fürst!
So gross und so unglaublich es euch erscheint, ist dies aber doch allen denen vorbehalten, die da einen lebendigen Glauben haben. Mancherlei Zeiten werden kommen und vergehen, aber nicht untergehen wird das Geistes-Leben, welches Pfingsten der Erde brachte! So warten wir eines neuen Himmels und einer neuen Erde, in welcher Jesus als Vater, als König und Hohepriester leben wird; als Jesus, geboren aus dir, o Mensch, da Gott Sein Leben in dir einzeugte! Erkennet nun eure Aufgabe! Erkennet die Gnade und heiliget alles Leben! Denn Gott ist Leben, und Leben ist Vervollkommnung! So nehmet hin den Segen aus meinem Herzen! Er sei euch allen der Beweis: Gott hat euch lieb! Die Gnade Gottes belebe eure Herzen zu lebendigem Tun, und die Liebe Jesu sei euer ewiges Heil! Amen." —
„Ziehet hin in Frieden! In treuem Gedenken bleiben wir Eins."
Tiefe Stille folgte den Worten des Johannes — als aber dann Lazarus den Brüdern ans Herz legte: „Seid zwanglos und beweist, dass ihr rechte Brüder seid!", da blieben sie noch lange bis nach Mitternacht beisammen. Den Jüngern aber fiel die Aufgabe zu, allen scheidenden Gästen noch einen rechten Segen zum Abschied mitzugeben. Auch Demetrius verabschiedete sich von allen Bewohnern, und Ursus sagte immer wieder: „Wir sehen uns wieder! Vor mir liegt es wie ein Frühlingsmorgen! Es ist das neue Leben aus Gott, durch Pfingsten — nun mein Leben!"





Jesus spricht: „Ich bin gekommen, ein Feuer in euch anzuzünden! Was wollte ich lieber, als — es brennete schon!"
Alle Zweifel über Jesus löst erst unsere Liebe zu Ihm! Ja, Jesus wartet, bis die Liebe des Menschen erwacht und Ihn in Seinem innersten Wesen erkennen kann!
Pfingsten naht, wenn wir klarer die Aufgaben erkennen, die zur endlichen Erlösung von allem Irrtum der Welt in uns und ausser uns notwendig sind!
Unser Pfingsten erleben wir, wenn der Heilige Geist, als der grosse Tröster in allem Ungemach, auch uns in alle Wahrheit führen wird!
Pfingsten wird es in aller Welt, wenn die geistigen Führer von diesem lebendigmachenden Geistes-Feuer durchdrungen werden und dadurch in die Tiefen der göttlichen Absichten mit der Menschheit hineinschauen lernen!
Alle Völker harren eines Neuen, doch nur der Geist der Pfingsten kann der Christenheit neues Leben und Erlöser-Kraft bringen!

Georg R i e h l e