Heft 08

Heft 08. Karfreitag

Inhaltsverzeichnis
01. Golgatha
02. Des Hauptmanns Erlebnis in der Nacht darauf
03. Geistige Vorgänge auf Golgatha
04. Judas vor dem Herrn
05. Der Herr im Tempel
06. Am Sonnabend vor Ostern
07. In der Herberge des Lazarus
08. Wie der Erlöser in einem ändern Tempel schon erwartet wurde
09. Jesus inmitten jüdischer Kaufleute
10. Warum musste Jesus sterben

 

 



01. Golgatha!

Brausend und schaurig erklang es aus dem Volkshaufen: „Kreuzige — Kreuzige Ihn!“ —, und durch die aufgeregten Menschen schien eine Welle von Blut-Rausch zu gehen. Den Verhandlungen mit Pontius Pilatus folgte aufmerksam ein Hauptmann der in Jerusalem stationierten römischen Besatzung; eisern seine Ruhe! —, und doch verfolgte er mit innerem Interesse das weitere traurige Geschehen. Als Jesus — ein Bild tiefsten Jammers — zurückgeführt wurde, schien es, als wollte dieser Hauptmann auf Jesus zueilen und in die Verhandlungen eingreifen. Da sah ihn Jesus an mit Augen, die den Römer bis ins Innerste erschütterten. Dann ging der Hauptmann hinaus; es war zuviel! —, er blieb im Vorraum und erwartete weitere Befehle.
Noch einmal erfolgte Getöse von draussen, und dann war Toten-Stille! Das Todes-Urteil wurde gesprochen und vom Volk bestätigt! Mit zusammengebissenen Zähnen lauschte der Hauptmann und durchschritt dann aufgeregt die Halle; da erschien ein Bote und beorderte ihn zum Landpfleger. Hier angekommen wurde ihm der Befehl, „Die Kreuzigung auf Golgatha“ vorzunehmen! Schweigend übernahm der Hauptmann den bitteren Auftrag; doch nach einer kurzen Pause sagte er zu Pilatus: „Mein Bruder! Noch an keinem Verbrecher habe ich diese Würde, diese Hoheit beobachten können wie an diesem Menschen! Wenn nun dieser Mann unschuldig ist? Was dann? Wohl wuschest du die Schuld von deinen Händen — mit Wasser, wie aber willst du die Schuld von deinem Gewissen abwaschen? Ich diene meinem Kaiser, und du bist hier sein Stellvertreter! Also geschehe es nach deinem Befehle! Dixi! --Doch, mein Bruder, höre: Sollte noch auf dem Wege dorthin oder auf Golgatha ein Zeuge Seiner Unschuld auftreten, werde ich die Ausführung verhindern!“ Mit diesen Worten trat der Hauptmann hinaus und erteilte seine Befehle. Und so nahm die Kreuzigung ihren Anfang. Auf dem Wege nach der Richtstätte befahl er drei Hauptleuten von der Tempel-Garde, nicht von seiner Seite zu weichen. So erreichten sie dann mit einigen Störungen Golgatha!
Tausende von Menschen, Neugierige, Männer und Frauen, hatten sich angesammelt; der Hauptmann aber liess bekanntmachen, dass sofort alle Kinder den Hügel zu verlassen hätten. Dann erging die Aufforderung, sich mit keinem Laut, Wort oder gar Tätlichkeiten an diesem Geschehen zu beteiligen! Und ein Trompetenstoss ertönte! — Noch einen Aufruf erliess der Hauptmann, der also lautete: „Sehet diesen Menschen! Auf Grund eurer Anklage wurde er zum Tode verurteilt! Doch vermisse ich Zeugen, die das Gegenteil eurer Anklage behaupten! Denn Jesus verteidigte sich nicht! Hat niemand den Mut dazu? Kraft meiner Amtsbefugnisse frage ich .euch und gebe euch noch zehn Minuten Zeit. Du aber, zum Tode Verurteilter, bereite dich vor! Nimm Abschied, so du Freunde hast!“
Erstaunt blickten die Tempeloffiziere auf den römischen Machthabenden, bleich waren ihre Züge; und der Hauptmann sprach zu ihnen: „Höret, wenn hier ein Wunder geschieht oder Zeugen für die Unschuld des Verurteilten auftreten, dann kommt ihr drei ans Kreuz, und sollte alle Welt zugrunde gehen! Denn ein Schuldiger sieht anders aus! Warten wir also ab!“ Nach einer Weile trat ein Unterführer heran und meldete, dass die zehn Minuten vergangen seien. Da gab der Hauptmann ein Zeichen, denn seine Pflicht gebot es ihm, und die Kreuzigung begann und nahm, wie bekannt, ihren Verlauf.
Als Jesus die Worte ausrief: „Vater! — Vergib ihnen! — Denn sie wissen nicht, was sie tun!“ —, da erfasste den Hauptmann ein Sehnen, dass er zum Kreuze hineilte und schmerzenden Herzens noch einen Blick von Jesus suchte; und Jesus, ohne der eigenen Schmerzen zu achten, schaute ihn lächelnd an! Da erlebte der Römer ein Glücks-Gefühl in sich, das zu dieser Stätte des grössten Unrechts in seltsamem Widerspruch stand. „Mir ist verziehen!“, dachte er befreit, trat zu den Templern und sagte: „Sehet hin, welch reinem Menschen ihr den Tod bereitet! Wie wollt ihr das verantworten? Habt ihr jemals erlebt, dass ein Verbrecher seinen Gott und Vater um Vergebung bittet für die, die ihm das schlimmste Unrecht antun? Noch nie ist so etwas geschehen! Anders als in Wut oder Verstocktheit oder Angst sah ich keinen, der zu solch gewaltsamem Tode verurteilt ward.“
Und weiter nahm das Verhängnis seinen Lauf. Jesus ertrug mit Würde Seine furchtbaren Schmerzen; und Maria, aus ihrer Ohnmacht erwachend, schaute hinauf zu ihrem Sohn; ihre sanften
Mutterhände glitten suchend empor am Stamm des Kreuzes, kamen an die Füsse Jesu, an die Nägel und ein Schrei ertönte, der alle, Volk und Soldaten, aufs tiefste erschütterte. So fühlt nur eine Mutter für ihr Kind! Da ging eine grosse Bewegung durch alles Volk, der Blut-Rausch war verflogen! Maria aber sah empor, stand auf und umschlang die blutenden Füsse, und Jesus lächelte Seiner Mutter entgegen! Marias Herz ward dadurch erfüllt vom Geiste der Kraft und der Hingabe in den unerforschlichen göttlichen Willen! — Auch der Jünger Johannes kam nun näher und erhielt seine besondere Weihe vom Kreuze herab! — Nach und nach verliessen viele den schaurigen Ort und flüchteten nach der Stadt zurück; doch jetzt gebot der Hauptmann: „Niemand verlässt den Platz, bis ich es gestatte! Es war euer Wunsch, nun sehet zu, dass euch nichts Ärgeres widerfährt!“ Und sogleich gab er auch seinen Soldaten den Befehl, das Verlassen der Richtstätte zu verhindern.
Von tiefem Mitleid erfüllt hörte der Hauptmann die weiteren Worte des sterbenden Jesus mit an; dann trieb ihn sein Herz zu den drei Frauen, und er war überrascht von der Erhabenheit ihres Seelenschmerzes. Grüssend trat er näher und bat Johannes um Aufklärung über Jesus und Seine Lehre. Johannes erzählte ihm, dass ihr Meister Jesus ein guter Freund der römischen Befehlshaber Cyrenius, Cornelius und Julius war, dass aber Jesus Selbst ihnen allen schon angedeutet habe, dass Er einen traurigen und entehrenden Tod einst sterben würde und dass kein Mensch dies je verhindern könne, da es Gottes Heiliger Wille so sei! „Und wenn auch heute dieses nun geschieht —, unser Meister, unser Herr, wird als Erlöser auch den Tod siegreich überwinden!“ Erstaunt und bewegt hörte der Hauptmann zu, reichte dem Johannes die Hand und sagte: „Gehört habe ich schon öfter von dem Nazarener, aber begegnet bin ich Ihm noch nicht. Hätte ich Ihn jedoch früher so erkannt wie heute, so hätte ich diese Kreuzigung nicht ausgeführt!“ — Und zu den Templern gerichtet rief er mit drohender Stimme: „Ihr Juden und Tempelgelichter, mit euch wird noch abgerechnet werden! „Nicht so“, sprach Johannes milde, „siehe, unserem Meister wäre es ein Leichtes gewesen, dieses alles zu verhindern! Denn alle Kräfte des Himmels und der Erde stehen Ihm ja zur Verfügung! Sein gestriger Kampf im Garten Gethsemane war vielleicht ein noch grösserer als heute! Da rang Er mit Sich, dass wir alle, Seine Jünger, zaghaft wurden und Ihn nicht mehr verstanden! Doch Jesus sprach zu Seinem Allmächtigen Vater: «Nicht Mein, — sondern Dein Wille geschehe!» Nun lasse mich mit den Frauen allein, — uns alle blutet das Herz! Hab Dank für dein Mitgefühl, der du doch ein Heide bist! Du erleichterst unserem Meister den Todes-Kampf; darum komme nach Bethanien, zum Lazarus! Dort triffst du die Freunde unseres Meisters!“ — Johannes stärkte nun die Frauen; vor allem litt Maria Magdalena, die immer wieder das Kreuz umarmte. Noch einmal leuchtete Jesu Auge auf im grössten Schmerz —. als danke Er für die erhaltenen Liebesbeweise.
Der Himmel umwölkte sich, und eine graue, trostlose Finsternis brach herein. Jesus rief nach einem Trunk; der Haupt man u konnte nichts anderes als bitteres Essig-Wasser in einem Schwamm Ihm reichen lassen. Finster und finsterer wurde es auf Golgatha’ — Wie gerne wäre das Volk jetzt geflüchtet, doch die Furcht vor den Körnern hielt alle davon ab. Der Hauptmann wandte sich zu den Templern und sprach: „Was sagt nun ihr, die ihr dieses reinen Menschen Tod verlangt habt? Sehet ihr nicht, dass dieser unschuldig ist?“. Die Templer aber schwiegen, und der Hauptmann fuhr fort: „Nur, weil der Nazarener mir verziehen, unterlasse ich alles Weitere! Aber sehet zu, dass euch nichts Ärgeres widerfährt! Denn aus dieser eurer ungerechten Tat wird eine böse Saat entstehen, die euch allen den Tod bringen muss!“ Ein furchtbarer Erdstoss erschütterte plötzlich den Boden, dass alle Anwesenden vor Angst und Furcht zitterten. — Wie Donner-Rollen drang Jesu Ausruf „Es ist vollbracht!“ in ihre Ohren! Endlich hatte Jesus ausgelitten!
Erschüttert rief der Hauptmann: „0 — Du! — Gott! Den ich erst heute kennen lerne! Habe Dank, dass Du dieses Leiden verkürztest! Von nun an diene ich Dir! Denn wahrlich, dieser Jesu« muss Dein Sohn gewesen sein!“ Dann trat er zu den gebeugten Frauen. Da erfolgten noch ärgere Erdstösse, die Erde bebte! Nun gab es kein Halten mehr: die Menge durchbrach die Kette der furchtsam gewordenen Soldaten und eilte, wie von Furien getrieben, der nahen Stadt zu, in der so mancher stolze Bau diesem Erdbeben zum Opfer fiel.
Allmählich wich die Finsternis, und die untergehende Sonne beleuchtete noch einmal die traurige Stätte. Der Hauptmann liess seine Leute sammeln und befahl seinem Unterführer, Sänften herbeizuschaffen für die drei Frauen, damit sie sicher heimkämen; denn zum Gehen waren sie zu schwach! Dann gebot er: „Bewachet diesen Gekreuzigten! Ich eile zum Landpfleger“, bestieg sein Ross und stürmte in die Stadt zu Pontius Pilatus. Ohne Anmeldung eilte er in dessen Wohnung, erstattete ihm ausführlichen Bericht und bat um eine starke Bewachung des Leichnams Jesu, da er dem Tempel nicht traue! Dann kam auch schon eine Abordnung des Tempels zu Pilatus und erbat sich die Abnahme des Leichnams Jesu zur Grablegung. Der Hauptmann aber setzte es durch, dass diese nur unter römischer Bewachung geschehe! Da sagten Nikodemus und Joseph von Arimathia: „Fürchte nichts! Wir selbst sind Freunde von Ihm! Willst du uns aber dienstlich behilflich sein, so erntest du unseren Dank!“ Zweifelnd schaute der Hauptmann die beiden an und sprach: „Ihr wollet Freunde des Nazareners sein? Wo seid ihr denn gewesen, als ich Zeugen für Seine Unschuld forderte? Glaubet mir, wäre ich Sein Freund gewesen, — eher wäre der Tempel zerstört worden, als Jesus gekreuzigt!“ Pontius Pilatus bewilligte die Abnahme des Leichnams, da der Hauptmann aufs neue versicherte: „Dieser Nazarener hat unschuldig den Tod erlitten!“ Der Hauptmann eilte nach Golgatha zurück, doch konnte er nicht verhindern, dass ein Soldat mit seinem Speer in die Seite des Gekreuzigten stiess. Sofort verständigte er hier die Freunde von der Erlaubnis zur Abnahme und Grablegung und liess Wasser, Salben und Wäsche dazu holen. — Mit heiliger Liebe trugen seine Freunde den Körper ihres geliebten Meisters zum Felsen-Grabe; nach der Bestattung liess der Hauptmann das Grab versiegeln und ordnete strenge Bewachung an! Nachdem alles in Ordnung gebracht war, schloss er sich den Frauen und Johannes au, welche sich in den Sänften auf Einladung des Nikodemus in dessen Haus tragen liessen; und Nikodemus lud auch den Hauptmann ein, an dem Nachtmahl bei ihm teilzunehmen. In seinem Hause angekommen blieben die Frauen allein; denn jetzt fühlten sie doppelt, wie einsam sie waren! Die anderen aber nahmen das Nachtmahl ein, und der römische Hauptmann liess sich noch manches vom Gastgeber und von Johannes aus dem Leben und Wirken Jesu erzählen. Erst spät in der Nacht trennte er sich von ihnen und eilte seinem Hause zu.

02. Des Hauptmanns Erlebnis in der Nacht darauf

In seiner Wohnung angekommen blieb der Hauptmann bis zum anbrechenden Morgen an seinem Tisch sitzen und liess nochmals alle Vorgänge an sich vorüberziehen. Da auf einmal wurde es ganz hell um ihn! Ein junger Mann in leuchtender Kleidung stand vor ihm, verneigte sich und sprach: „Lieber Freund! — Die Liebe zu unserem Gott und Schöpfer, der uns heute das Allergrösste miterleben liess, treibt mich zu dir, um dir zu danken für das, was da im unbewussten Drang deines Herzens getan hast! Siehe in Diesem Jesus, in Diesem Sohn der Menschen, keinen ändern als unsern Gott von Ewigkeit zu Ewigkeit! Es gab für Gott, den Schöpfer aller Menschen und Wesen, keinen anderen Weg mehr, nachdem alles, alles versucht war, um Seine Schöpfung und alle geschaffenen Wesen darin vor dem inneren Untergang zu retten, als Selber ein Erden-Mensch zu werden! Hätte Jesus weltliche Hilfe angerufen oder nach Zeugen verlangt, so hätte der Gegenpol Gottes, Lucifer, triumphiert! Diese hohe Bedeutung von Jesu Leiden und Sterben für die ganze Schöpfung kam auch zum entsprechenden Ausdruck, als die Sonne sich verfinsterte und die Erde erbebte! Alle Geist-Wesen schauten nach Golgatha! Doch wir Bewohner der Himmel waren hier machtlos, weil die ewige Gottes-Liebe es also wollte! Darum erfasse dieses! — Und auch du wirst erkennen lernen die oft schmerzlichen Wege, aber auch die hohen Ziele, die Gott zur Rettung der Menschen-Seelen jetzt angebahnt hat!“
Betroffen und verwundert stand der Hauptmann auf, reichte dem Fremden die Hand und sprach: „Lieber Freund! Ich frage dich nicht: „Wer bist du?“ oder „Wie kommst du hier herein durch verschlossene Türen?“; denn zuviel des Wunderbaren habe ich heute schon erlebt, und mein Inneres ist erregt wie nie! Doch fragen möchte ich dich: „Wo ist Jesus jetzt?“ da Er, nach Seiner eigenen Aussage, trotz Seines Sterbens am Kreuz als „Der Überwinder des Todes“ sich uns offenbaren will! Wenn dies wahr ist, und Er nur gestorben ist, damit „nichts Sterbliches“ mehr in Zukunft an Ihm sei, so muss Er doch sicher irgendwo leben! Aber wie und wo? — Diese Frage lässt mir keine Ruhe! Und, so du kannst, hilf mir, dass mir Klarheit werde!“ „Mein lieber Freund und Bruder“, sprach der Engel, „werde vorerst im Innern ganz ruhig, damit ich dir zeigen kann: Die Gnade unseres Gottes — Seine Heilige Erbarmung! — und Seine erlösende Liebe! — Gehe in dich hinein! Versenke dich in die liebenden Blicke, die unser Herr und Meister dir zuteil werden liess, und habe acht auf alles, was du dann erlebst! Ich werde dich durch die Kraft und Güte Gottes in einen geistigen Zustand versetzen, damit du mir folgen kannst! Doch nur, wenn du mir freiwillig folgst, wird dieses mir möglich sein; ohne deinen freien Willen aber darf ich solches nicht tun! Und so du nun willst, dann befiehl deinen Dienern, dass sie dieses Zimmer jetzt nicht betreten; denn dein Körper darf nicht berührt werden in der Zeit, in der dein innerer Mensch mit mir ins Geistige Reich wandert.’“ Der Hauptmann tat, wie ihm geheissen und sprach dann die Worte: „Ja! — Es ist mein Wille! — Führe mich, damit Klarheit in mir werde — und Ruhe und Frieden!“ Der Engel berührte nun des Römers Stirn und Herz, und dieser fiel in einen tiefen Schlaf! Es löste sich die Seele als schöne Gestalt vom Leib des Ruhenden und eilte mit dem Engel in Gedankenschnelle nach Golgatha!

03. Geistige Vorgänge auf Golgatha

An der Richtstätte erlebten sie einen unermesslichen Andrang grosser Geister-Heere! In einem alles überstrahlenden Licht stand Jesus und zeigte den in öder, grauer Finsternis weilenden Geistern Seine noch blutenden Hände und Füsse. Wie auf lautlosen Befehl öffnete sich zwischen den Geistern eine kleine Gasse für die beiden Ankommenden, und bald standen sie bei Ihm! Erwartungsvolle Stille war um Jesus, als Er sprach: „Alles, was ihr von Mir gesehen und gehört, war Liebe, heilige Liebe! Und Mein ganzes Tun geschah aus diesem Geiste der Göttlichen Liebe! Jetzt aber will Ich euch allen einen neuen Beweis Meiner erlösenden Liebe geben. Und so komme du, der du mit Mir gekreuzigt wurdest, und dem Ich versprach: „Heute noch wirst du mit Mir im Paradiese sein“—, tritt hervor ohne Zagen! Warst du Zeuge Meines Leidens, so sollst du jetzt Zeuge Meines Sieges sein! Doch eine Bedingung knüpfe Ich an Meine Verheissung: dass du verzeihen kannst denen, die dich erschlugen! Hier kniete der Schacher nieder, stammelte Bitte um Bitte um Verzeihung ob seiner grossen Schuld—und versprach, alles auszulöschen, was als Hass und Böses noch in ihm sei! Da hob Jesus ihn auf und sprach: „So gehe und hole Meinen verlorenen Bruder, der in blinder Leidenschaft und Verzweiflung seinem Leben selbst ein Ende setzte! Im Tempel wirst du ihn finden!“ — Der Schacher bat: „O Du göttlicher Meister! Dein Wille geschehe! Gib mir Mut und Kraft dazu um Deiner grossen Liebe willen!“ Und .Jesus segnete und entliess ihn. Dann sprach Er zu den anderen: „Ihr alle, die ihr in und an euren finsteren Gräbern weilet! Kehret euch zu Mir, ins Licht! Alle, die ihr Mich heute höret, dürfet glauben, dass Ich Der bin, auf Den eure Väter hofften! Ihr dürft nun heute schauen Den, Der euch die Tür öffnet, die bisher verschlossen war!
Höret: Nicht richtend will Ich unter euch treten, nein, erlösend! Darum gehet in euch! Es ist die Gnaden-Zeit eures Seins! Wenn ihr heute „Mich“ erkennet und „Mein Wort“ annehmet, dann dürft ihr alle, auch der Finsterste, mit Mir ziehen zum Tempel und Zeugen sein, wie Ich auch dort Meine Mission vollende! Wer mit Mir geht, tritt aus den Elementen des Todes ins „Freie, Ewige Leben“ ein! Doch eines müsst ihr alle zurücklassen: Euren Hass — eure noch in euch wühlenden Begierden und Leidenschaften! Denn sehet: Wie Ich in selbst-vergessener Liebe wirkte und schaffte, so ist es in Zukunft nur denen möglich, mit Mir zu verkehren, die auch in dieser selbstlosen Liebe handeln. Wollt ihr Mir folgen, so söhnet euch in eurem Herzen mit allen aus, und die Folge wird euch den Beweis erbringen, dass wir im vergebenden Liebe-Geist uns die Hände reichen. Darum kommt alle zu Mir, die ihr mühselig und beladen seid und Den ersehnet, Der euch Hilfe bringen kann in eurer Not! Der euch Brot des Lebens reicht! Der euch führen will aus diesem kalten, finsteren Sein in ein Leben der Liebe und der Freude! Amen!“
Ruhe, heilige Ruhe folgte diesen Worten! Dann trat ein Greis, gebeugt von der Last seiner Sünden, hervor, schritt auf Jesus zu. fiel auf seine Knie nieder und stammelte: „O Du, der Du uns Licht und Leben bringen willst, wie freudig begrüssen wir alle Dein Kommen! Wie ewig lang währte unsere Gefangenschaft! Wie Himmels-Musik klingen Deine so verheissungsvollen Worte! O Du, der Du sagst, dass Du uns liebst, in Dir würden wir gern erschauen: Den Heiland! — Den Retter! — Den Gesalbten! Doch nun wir Dir folgen wollen, da türmen sich in uns Schranken auf Schranken auf! Wir können Dir ja nicht folgen, denn nur Du hast „Das Gesetz“ erfüllt! Wir aber fühlen uns schuldig, schuldbeladen! 0 Gott! — 0 Jehova! — Dein Gesetz zermalmt uns! Und doch sahen wir als Geister all Dein Tun, sahen Dein Leiden, Dein unschuldig Sterben! Wir erlebten: Du hast einem Mit-Gekreuzigten Hilfe, Gnade und Vergebung gereicht! 0 zeige uns allen, wie auch uns Erlösung kommen kann! Siehe, wir alle hier möchten gerne zu Dir kommen, doch die Schlange der Eva ist die Fessel, die uns an das Niedere bindet! 0 Herr! — 0 Jesus! — Hilf! — Hilf Du uns, wie Du anderen so gnädig geholfen hast!“ Tränen entstürzten den Augen des Alten. Jesus trat an ihn heran, legte Seine durchbohrte Rechte auf sein Haupt und sprach: „So fasse in deinem Herzen denn Mut und bekenne frei, aber voll Reue, deine Schuld und wolle von nun an in das wahre Leben der selbstlos dienenden Liebe eingehen! Dean nur darum komme Ich zu euch, die ihr Zeugen wäret Meiner grössten Herablassung und in Mir konntet erschauen den Neuen Geist der Gnade! Erfasse nun diesen Neuen Geist und kehre dich zu Mir! Denn in Mir ersiehest du Gott und Jehova!“

04. Judas vor dem Herrn

Wiederum wurde lautlos eine Gasse gebildet unter den unzählbaren Geistern, — und der Schacher Dismas kam Hand in Hand mit Judas! Zitternd trat Judas vor seinen Meister. Jesus aber sah ihn an mit Augen herzlicher Liebe und sprach: „Judas!! — Erkennest du jetzt nach all deinen Leiden, dass „Das wahre Leben“ nur in der Liebe zu finden ist? Siehe, Tausenden habe Ich helfen können, und diesen tausend mal Tausenden ist bald geholfen, indem sie das neue Gnaden-Leben schon schauen und erfassen wollen! Du aber hast Meine Worte nicht geachtet! — Meine Lehre, nach welcher unzählige Herzen sich sehnten, und die auch deinem Herzen zum Heile dienen sollte! Darum zeige Ich dir jetzt Meine Wunden! Diese Wunden werden allen denen, die da in der Irre gehen, zum Wegweiser zur alles vergebenden Gnade. Zu allen diesen hier — konnte Ich sagen: 0 gehet mit Mir! Ich zeige euch den Weg zum Leben! Dir aber sage Ich nun: Du musst den Weg zu Mir allein finden! Denn du kennst Mein Wort, Meine Lehre und Mein Tun! Judas, dir kann Ich weder raten noch helfen! Nur verzeihen kann ich dir!“ Judas stürzte vor seinem Meister nieder und wollte Seine Füsse umklammern, da sprach Jesus erneut zu ihm: „Judas, du Armer! Da wir noch Menschen waren, da hätte Ich dir helfen können, da warst du ein noch Unwissender! Doch hier, im Reiche des Geistigen Lebens, bestimmt nur der eigene, freie Wille! Du bist jetzt ein Wissender und kannst den Weg zu Meinem Wesen nur finden durch deinen noch tiefer zu beugenden Sinn! — Noch lebt Hass, Wut und gekränkte Eigenliebe in dir! Noch führt dein weltliches Verstandes-Leben die Herrschaft! Doch darum vergab Ich dir, weil du in blinder Weltsucht gehandelt hast! Jetzt aber erfasse es, dass Mein Reich ein Geistiges Reich ist! Das Reich des Ewigen Lebens! Und so beherzige Meine Worte!“ —
Zu den anderen sprach Jesus: „Nun lasset uns nach dem Tempel ziehen! Wer da will, der komme mit!“ Wieder bildete sich eine Gasse. Jesus ging mitten durch die Heere der Geister, ein endlos langer Zug folgte Ihm und zog ein in den Tempel. Es war, als ob die Mauern sich erweiterten: Alle fanden im Tempel Platz; Jesus aber ging hinein bis ins Allerheiligste. Nur zwei blieben auf Golgatha zurück: Judas und der Schacher vom Kreuz.

05. Der Herr — im Tempel

Im Tempel herrschte grösste Verwirrung, denn der kostbare Vorhang, der das Allerheiligste verhüllen sollte, war zerrissen und konnte nicht wieder zusammengenäht werden; so oft es auch versucht wurde, zerriss er aufs neue. Nun kam Jesus mit dem grossen, Ihm folgenden Zuge der Geister in den Tempel und betrat das Allerheiligste. Doch keiner der Priester, kein irdischer Mensch, hatte eine Ahnung von dem gewaltigen geistigen Ereignis, welches sich nun hier im Tempel abspielen sollte. Der Engel mit dem Römer-Hauptmann hatte wiederum in der Nähe Jesu seinen Platz; und beide verfolgten mit höchstem Interesse alle Reden und Handlungen. Engel mit Posaunen traten an den Herrn heran; und auf ein Zeichen Rafaels, der die ändern führte, liessen sie ihre Posaunen eindringlich ertönen! Da öffneten sich die Gräber, die Katakomben unter dem Tempel, und überall erschienen Geist-Wesen in der Tracht der Priester und Hohenpriester. Einer unter ihnen trat hervor und fragte mit lauter Stimme, was all dieses bedeute? Und Rafael, der Gottes-Bote, gab ihm zur Antwort: „Das sind die Posaunen des Jüngsten Gerichtes! Jetzt ist Der gekommen, Der all die Seelen in Empfang nehmen will, die euch anvertraut waren! Der Herr nimmt nun die Pfunde zurück, über die ihr gesetzet waret in eurem Amte! Freuet euch, wenn ihr als gerecht befunden, sonst wird es euch nicht zum Besten ergehen!“
Ernsten Blickes und mit gesenktem Haupte ging nun der Hohepriester hin zu Jesus, dessen Kleid leuchtete wie von der Sonne beschienener, frisch gefallener Schnee. Als der Hohepriester aber die Wundmale sah, erschrak er und fiel wie tot zu den Füssen des Herrn. Und die vielen Priester, die sahen, dass ihr Führer sich nicht wieder erhob, fielen auch auf ihre Knie und harrten ängstlich der Dinge, die sich ereignen sollten. Jesus wandte sich nach allen Seiten, hob die durchbohrten Hände und neigte Sein Haupt. Totenstille war unter den Geister-Heeren; denn die Stimmen der hier anwesenden, noch im Fleische lebenden Templer hörten sie nicht! Nun ertönte eine feine zarte Musik, anschwellend bis zum Rauschen, zum stärksten Rauschen, um dann wieder weicher und leiser zu verklingen.
Da erwachte der Hohepriester, und Jesus sprach zu ihm: „Stehe auf! Heute komme Ich nun Selbst! Ich habe euch erweckt aus eurer Ruhe, eurem geistigen Schlafe! Ich, Das Leben, habe durchbrochen die Schranken! Ich habe den Tod überwunden, um allen den Weg zu zeigen zum wahren, ewigen Leben! Bis tief ins Geister-Reich drang die Kunde von Meinem Sein auf Erden! Und viele konnten sich schon laben an dem Quell des Lebens, belehrt durch Meine Engel! Aber ihr? Wo wäret ihr? Wie kommt es, dass ihr Mich nicht kennet, und dass erst der Posaunen Ruf ertönen musste, um eure dunklen Zellen zu öffnen?“
Da endlich ermannte sich der Priester und fragte: „Bist Du der Herr? — Gott! — Zebaoth? oder von Ihm gesandt? Dein Auge blickt mild, doch tragen Deine Hände und Füsse das Symbol eines Gekreuzigten! Wer bist Du? Als ich Dich vorhin im Lichte sah, da überwältigte mich das Gefühl: Du — bist — Gott! Aber nun ich Deine Wunden schaue, da kannst Du nicht — „Gott“ sein. Und nicht Der, auf Den wir hoffen, Der da kommen soll uns zu erlösen und Der doch nur in Begleitung hoher, heiliger Engel kommen wird! Ich sehe aber weiter nichts als Volk, viel Volk um Dich! Dass Du in unsere Ruhestätten bist eingedrungen, beweist mir nicht, — dass Du Der Allmächtige bist! Und Dein Gewand, so schön und rein, ist mir auch kein Beweis! Denn mancher kam schon zu uns und wollte Gesandter von Gott sein! Aber wir glaubten ihm nicht. Doch bin ich verantwortlich als Diener dieses heiligen Tempels, und so muss ich schon von Dir verlangen, uns zu sagen, wer Du bist! Die Posaunen, die da erklangen wie Posaunen des Gerichts, können auch falsche sein, und die Musik, die schöne, herrliche, kann auch Zauber-Musik sein, um uns aus dem Tempel zu locken! Darum rede nun Du! Denn ich, der Hohepriester, habe hier das Recht, da wir uns im Allerheiligsten befinden! Vor langer Zeit schon zerriss der Vorhang (im Geistigen scheint es ihnen so), darum weise ich Dich auch nicht aus diesem Heiligtum, da Gott euch darin duldet!“
Jesus sprach: „Eljasib! Du Armer! Verblendeter! Wie lange willst du noch hier verweilen? Kommt dir nicht zum Bewusstsein, dass dieser euer Tempel nur Schein oder Erscheinlichkeit ist? Hast da noch nicht erkannt, dass dein Dienst hier in eurem „Schein-Tempel“ völlig wertlos ist? Hast du nicht bemerkt, dass auf den Altären immer ein und dasselbe Opfer benutzt wird? Ist dir noch nicht der Gedanke gekommen, dass du mit deinen vielen Priestern nur das tust, was euch gefällt? Sage, wann wollt ihr denn anfangen, den Willen Jehovas zu tun? Aber hast du dich jemals bemüht, den Willen Gottes zu erforschen? Ja, als du gesalbt wurdest, da hattest du die besten Vorsätze; und weil du im Herzen ehrlich batest, Gott möge dir in deinem neuen Amte immer zur Seite stehen, darum komme Ich nun gerade zu dir und erinnere dich daran! Nie habe Ich vergessen, was Ich dir sagen und verheissen liess! Aber du hast bald deinen Herrn und Gott, deinen Schöpfer vergessen und hast dich dennoch wohl gefühlt in deinem hohen Amte! Doch sage Ich dir und euch allen: eure Stunden hier sind gezählt! Weil ihr keinen Sinn für das Ewig Göttliche gehabt, konnte es geschehen, dass ihr schliefet und euch ausruhtet auf den Polstern und Ruhebetten in eurem Schein-Tempel; und konntet nie vernehmen die Kunde von den Grossen, Heiligen Vorgängen auf eurer Erde! Du hast noch den Ausspruch Simeons gehört: «Herr! Nun lassest Du Deinen Diener in Frieden fahren; denn meine Augen haben Den Heiland gesehen!» Wärest du wach gewesen, hättest auch du sehen können „die Herrlichkeit“ im Sohne Gottes! Schauet über euch! Viele Bekannte werdet ihr sehen, die schon Seligkeiten geniessen, da sie erkannten die grosse Gnaden-Zeit, die für alle angebrochen ist, die in Mir — Den erkennen und erschauen, von Dem die Schrift spricht, und Der allen denen Freiheit und Leben bringt, die Ihn lieben, an Ihn glauben und Ihm folgen wollen! Darum ergeht noch einmal an euch Mein Ruf: «Verlasset diese eure verkehrte Einstellung!» Denn längst seid ihr im Geister-Reiche! Und Ich Selbst, als Geist und Todes-Überwinder, komme jetzt zu euch, um euch zum wahren Leben zu führen! Ich sage euch, dass ihr arm seid, ärmer als ihr denkt! Und nur durch Mich, als euren Messias könnet ihr zu dem Bewusstsein kommen: «Gott hat euch auch heute noch lieb!» Sehet her: Meine Hände und Füsse, durchbohrt am Kreuzesstamm! Sie sind der sichtbare Beweis Meines Gehorsams gegen den Willen Gottes und Meiner vergebenden Liebe zu euch allen. Der unsichtbare, bei weitem bessere Beweis aber wird euch erst in eurem Herzen werden, so ihr empfindet, dass Ich gesühnt all eure Schuld! Nur Glauben verlange ich von euch und, dass ihr Mir folget dorthin, wo das wahre Leben eines Gottes-Dieners in der selbstlosen Liebe-Betätigung euch erwartet! So frage Ich dich, Eljasib: Kannst du Mir glauben?“ „Nein, ich glaube Dir nicht!“, entgegnete der Hohepriester scharf. „Wärest Du der Messias, so hättest Du wissen müssen, dass dieser Raum das Allerheiligste ist, obwohl der Vorhang dasselbe nicht mehr verhüllt! Und so sage ich Dir kraft meines Amtes: Verlasse dieses Heiligtum mit deinen Heeren, damit wenigstens wir uns wieder reinigen können!“ „Halt!, rede kein Wort weiter, du blinder Tor!“ entgegnete Jesus ernst! „Was dir heute im Gnaden-Licht gereicht werden sollte, wirst du noch schwer suchen müssen! Wie aber denkt ihr anderen darüber? Wollt ihr hier weiterleben in eurem Schein — oder wollt ihr im Lichte der Wahrheit in Mein Reich eingehen? Meine Zeit ist gemessen; denn noch anderen will ich den Gnaden-Ruf bringen! Wie viele erwarten mit Sehnsucht die Zeit, da Ich kommen werde, um die Gefängnisse ihres Irrtums zu offnen! Somit beenden wir hier unsere Mission! Und du, Mein Rafael, sorge, dass, wenn alle, die eines guten Willens sind, den Tempel verlassen haben, dieses Schein-Gemäuer in Trümmer zusammenfällt!“ — Nun erhoben die Engel ihre Posaunen, und unter ihren Klängen zog der Herr mit den Seinen nach dem Ölberge. Alle hier Gewonnenen liess Er von den Engeln ihren neuen Bestimmungen zuführen; und so hatte der Herr wieder eine Beute dem geistigen Tode abgerungen.
Als niemand mehr den Tempel verliess, stürzte unter Rauch und Feuer dieses geistige Truggebäude in sich zusammen und begrub den Hohepriester Eljasib mit seinen Anhängern. Mühsam und vor Qual und Schmerz sich krümmend richteten sie sich dann aus den Trümmern wieder auf und wären jetzt gerne Ihm gefolgt, Der sie so ernstlich darum bat; jedoch um sie war und blieb es finster!
Und so war auch dem Hauptmann diese Nacht vergangen, die geistige Nacht, in der er bisher gelebt; und es war Licht geworden in seinem Bewusstsein über Göttliches und Menschliches! Der Engel führte ihn in seine Wohnung, gab ihn der irdischen Wirklichkeit zurück und sprach: „Glaube ja nicht, dass du geträumt hast oder noch träumst! Glaube lebendig! — Liebe wahrhaftig! — Und diene Dem getreu, Den du als wahr erkannt! Alsdann wirst du noch weiterhin schauen dürfen die Führungen unseres herrlichen Gottes! Und so verlasse ich dich nun. Fürchte nichts! Von nun an hast du die Gabe des Geistigen Schauens! Und wenn es der Wille unseres Heiligen Gottes ist, so führe ich dich wieder! Und so walte Gottes Wille weiterhin mit uns und in uns! Amen!“

06. Am Sonnabend vor Ostern

Der Hauptmann war allein, und der anbrechende Morgen mahnte ihn an seine Pflichten. Er fühlte nicht die geringste Müdigkeit, nahm sein Morgenmahl und machte sich in Begleitung einiger Soldaten auf, die Wächter des Grabes zu kontrollieren. Von aussen fand er auch alles in bester Ordnung; die Soldaten aber erzählten, in der Nacht wäre immer ein leises Singen, ein herrlich zartes, von vielen Sängern dargebrachtes Lied zu hören gewesen, und keiner hätte an Schlaf gedacht! Menschen aber seien nicht in ihre Nähe gekommen. Der Hauptmann glaubte seinen Soldaten und sah dankbar auf zum Himmel! — Da erschaute er wiederum herrliche Engel und Jesus mitten unter ihnen! Doch nun regte sich ein Zweifel in ihm: was ist hier Wahrheit? Nachdenklich sah er auf das verschlossene Grab und schaute jetzt mit geöffnetem Geistes-Auge: es war leer! Doch zwei Engel befanden sich darin, die ihn freundlich anblickten. Nun erst war er überzeugt von der Wahrheit seiner geistigen Erlebnisse! Nun wusste er: Jesus lebt! Und Freude und Glück durchströmten sein Inneres. Anbetend schaute er auf in Jesus, Der im strahlenden Licht-Kleide wie ein Herr unter den Seinen weilte. Freundlich winkte Jesus dem Hauptmann zu, und nun kannte sein Glück keine Grenzen; er eilte so schnell er konnte zu Nikodemus, der kaum vom Schlafe aufgestanden war, und erzählte ihm seine geistigen Erlebnisse und, dass Jesus lebt! Nikodemus horchte erstaunt auf, doch er glaubte seinem neuen Freunde; und dann begaben sich beide zum Tempel. In der Nähe des Tempels schaute nun der Hauptmann wieder mit geistigen Augen die Trümmer des Schein-Tempels und sah und hörte, wie der ehemalige Hohepriester und einige Priester sich gegenseitig zuriefen, aber sich nicht finden konnten wegen der Finsternis und dem grossen Trümmerhaufen. Der Hauptmann erzählte nun dem Nikodemus auch diese im Tempel erlebten Vorgänge und nannte den Namen Eljasib. Da erstaunte Nikodemus und sagte: „Ja, Eljasib war ein Hohepriester, vor langer Zeit! Doch nun er den Herrn nicht erkennen wollte, wird er wohl noch lange suchen müssen, ehe er zum Licht gelangt.“
Nun gingen sie in den Tempel. Viel Volk war da, und die Templer waren wegen des zerrissenen Vorhanges in arger Verlegenheit. Mit bösen Blicken schauten sie auf den römischen Hauptmann, dieser aber beachtete sie nicht, verabschiedete sich vom Nikodemus und ging zum Pilatus. Pilatus kam mit ihm wiederum in ernste Gespräche; und als der Hauptmann beteuerte: „Ich weiss, dass das Grab leer ist! Jesus weilt als Lebender unter den Gestorbenen! Ich habe Ihn gesehen in der Glorie Seiner Macht und Herrlichkeit!“ —, da gab Pilatus den Befehl: „öffnet das Grab, damit wir uns überzeugen von der Wahrheit deiner Rede!“ Doch der Hauptmann entgegnete: „Es ist nicht nötig, dies zu tun! Der Nazarener weiss um die Stunde, wo Er das Grab selbst öffnen wird! Und es wird Sein Sieg offenbar werden über die in Hochmut schwelgenden Templer! Ich gönne ihnen diese Lektion, denn an Ansehen wird der Tempel gewaltig verlieren. Du solltest nur sehen, wie verstört sie waren, als ich heute morgen im Tempel war! Auch der zerrissene Vorhang macht ihnen allerhand Sorgen, denn sobald er zusammengeheftet wird, reisst er von neuem entzwei.“ Nach diesen Worten verabschiedete er sich von Pilatus und beurlaubte sich nach Bethanien. Im Hause wieder angekommen, liess er sich von seinen Dienern das Pferd satteln und bestimmte, dass ein Diener ihn begleiten solle. Und sie ritten nach Bethanien.
Unterwegs, unweit von Emmaus, sah der Hauptmann seinen geistigen Führer wiederum auf sich zukommen. Und schon rief der Engel: „Steige herab von deinem Pferd, ich habe dir von unserem Herrn und Meister Botschaft zu überbringen! Kehre um und gehe erst nach dem Fest nach Bethanien! Lazarus ist jetzt in seiner Herberge bei Jerusalem. Suche ihn dort auf!“ Und weiter: „Joseph von Arimathia, der sich um den Leichnam Jesu bemühte und ihn in seinem eigenen Grundstück beisetzen liess, ist von den Templern gefangen gesetzt! Von Pilatus ist keine Hilfe zu erwarten; gehe und befreie du ihn kraft deiner Amtsbefugnisse; denn du bist es, der Jesu Kreuzigung, Grablegung und die Versiegelung des Grabes leitete. Es ist ein neues Verbrechen der Templer, weil sie den Gekreuzigten noch jetzt fürchten! Sorge dich nicht! Denn Jesus, der Herr, wird dich leiten und dir in den Mund legen, was du reden sollst. Fürchte dich nicht! Aufs neue sollst du Jesu Gnade fühlen! Jesus mit dir!“ Verschwunden war der Gottesbote! Der Hauptmann kehrte um, und im schnellen Ritt ging es zurück nach Jerusalem, ins Lager der Besatzung; er kommandierte eine Abteilung Soldaten und zog mit ihnen in den Tempel. Dort angekommen ging er zu dem Hohenpriester und forderte die Freilassung des gefangenen Joseph von Arimathia. Der Hohepriester und seine Räte waren erstaunt, zugleich aber innerlich erschreckt, und leugneten solche Tat.
Da trat der Hauptmann mit drohender Haltung und Stimme vor sie hin und rief: „Wenn ihr nicht gutwillig und in kürzester Zeit den Gefangenen hierher bringt, lasse ich durch meine Soldaten den Tempel vom tiefsten Grabgewölbe bis zur höchsten Kuppel durchsuchen! Und so sie ihn gefunden, lasse ich an allen Seiten Feuer anlegen und diesen ganzen Bau zerstören! Einen Gerechten habe ich, durch eure teuflische Art, töten müssen! Aber die Nächsten seid ihr, so wahr ich ein Römer bin! Einen Fehler übersehen wir gern und lassen die grösste Milde walten, aber solche Verbrechen, wie ihr sie unter den Augen der Römer im Namen eure» Jehova tut, werden geahndet mit der allergrössten Schärfe!“ Erschreckt gingen die Priester auseinander; doch einer wandte sich an den erregten Römer und sprach: „Hoher Herr! Lasse durch deine Soldaten den Tempel durchsuchen; ich versichere dir, mir ist nichts bewusst von der Verhaftung des Joseph von Arimathia! Ist er doch mein Freund, und so er verschwunden sein sollte, so wollen auch wir mit euch nach ihm suchen.“ Da trat in der Kleidung der Römer der Engel zu dem Hauptmann und sagte: „Ich werde den Gefangenen von seinen Fesseln erlösen und hierher bringen! Doch schone den Tempel, der Herr will es!“ In kurzer Zeit brachte der Gottes-Bote den erschöpften Joseph von Arimathia in zerrissenem Gewand an, und dieser dankte mit Tränen in den Augen dem Hauptmann. Der Römer sprach: „Mein teurer Freund! Danke Dem, Der uns geschaffen hat, und Der mit Seinen scharfen Augen uns alle bewacht! Nur Ihm allein hast du zu danken! Gedulde dich noch, bald, ja bald erleben wir das grösste Wunder!« Mittlerweile kamen die anderen Priester wieder zusammen und waren erstaunt, den bekannten Joseph von Arimathia in diesem Zustande zu sehen! Und der Engel bestätigte, dass alle diese mit Ausnahme des Kaiphas nichts davon wussten. Da ging der Hauptmann zu dem Hohenpriester und sagte ihm ins Gesicht: „Du bist es gewesen! Hüte dich, das Mass deiner Schändlichkeit ist voll! Ein Glück für dich, dass ich ein Jünger Jesu bin! Ohne zu Gericht zu sitzen, liesse ich dich jetzt ans Kreuz heften auf Golgatha! Dass du heute nochmals frei bleibst, — verdankst du nur Jesus von Nazareth!“ Dann nahm er Joseph von Arimathia in die Mitte, zog mit seinen Soldaten aus dem Tempel und suchte dann die Herberge des Lazarus unweit des Ölberges auf.

07. In der Herberge des Lazarus

Des Hauptmanns Soldaten lagerten sich im Hof und Garten; Lazarus und der Pächter begrüssten den Hauptmann und waren sehr erstaunt, den reichen Joseph von Arimathia in solch elendem Zustand mitten unter den Römern anzutreffen. Lazarus fragte, warum sie diesen Ehrenmann mitführten und sagte: „Lasset ihn frei, Herr, ich bürge für ihn!“ Lächelnd dankte der Hauptmann dem Lazarus für die Liebe, reichte ihm nochmals die Hände und sprach: „Frei ist er erst durch mich geworden, das heisst: ich durfte das Werkzeug des grossen Nazareners sein; der Hohepriester liess ihn heimlich gefangen nehmen! Heute war ich schon auf dem Wege zu dir nach Bethanien, da erhielt ich Anweisung durch einen Gottes-Boten, ich solle diesen Freund erst aus seiner Gefangenschaft befreien und dich dann hier in deiner Herberge aufsuchen. Ich gehorchte, zog mit meinen Soldaten in den Tempel und forderte die Freilassung unseres Freundes! Da kam mir der Gottesbote, jetzt in der Tracht einer meiner Soldaten, zu Hilfe und holte ihn ans seinem tiefen Gefängnis hervor. Es stellte sich dann heraus, dass der Hohepriester allein dieses Unrecht vollbrachte, alle ändern Priester aber nichts davon wussten; und darum, denke ich, muss ich nach dem Willen des Herrn wohl die Templer schonen! Denn der Wille Gottes ist auch mir jetzt heilig!“ Lazarus war sehr erstaunt und erfuhr dann die ganze traurige Begebenheit, die Joseph von Arimathia erzählte:
„Frühmorgens war mein erster Weg nach dem Garten, nach dem Grabe; ins Gebet versunken verweilte ich dort und ging dann durch eine Nebenpforte zum Bach, der unterhalb meines Gartens liegt. Da kamen fünf Männer und unterhielten sich scheinbar harmlos; beim Vorübergehen aber bekam ich einen Sack über den Kopf, einen Augenblick später waren Hände und Füsse gebunden, und man trug mich fort. Nach einer längeren Zeit gewahrte ich, dass es Treppen abwärts ging, und ich hörte einen Riegel und einen Balken krachen; dann setzte man mich ab, löste meine Fesseln und machte mein Gesicht frei; die Männer hatte ich noch nicht gesehen; einer aber spottete: „So, nun kannst du nachdenken, wie auch der Hohepriester nachdenken kann, wie du stumm gemacht wirst.“ Dann verliessen sie den Raum und schlössen hinter sich zu. Oben an der Decke war ein Licht-Loch, viel zu hoch, um hinauf zu können, und so blieb mir nichts anderes übrig als abzuwarten; denn rufen und schreien war ja zwecklos. Aber ein Gedanke kam und belebte mich: «Gott! — Der Herr Zebaoth! wird mich nicht fallen lassen!» — und dabei ward ich wunderbar ruhig. Lange Zeit habe ich auf dem Boden gesessen, da öffnete sich lautlos die Tür, ein römischer Soldat trat herein und zog mich an der Hand hinaus. Ich sah noch, wie der Riegel wieder vorgelegt und verschlossen wurde; und dann wurde ich zum Forum der Priester geführt; dieser Hauptmann aber machte mich dann ganz frei, und so bin ich hier. Über eins aber muss ich noch nachsinnen: Was wird der Hohepriester denken, da der Riegel noch vorgeschoben ist!“
Dann erzählte der Römer auch diesen Freunden, dass in der Nacht ein Engel, ein Bote Gottes, zu ihm gekommen sei und ihn in die Geistige Welt geführt habe, wo Jesus als der Herr wirklich lebt und lehrt! Auch in das noch immer verschlossene Grab habe er schon mit geistigen Augen schauen dürfen — Es sei leer!“ Lazarus, von heiliger Freude erfüllt, rief: „0 wäre doch Maria hier!“ — und in diesem Augenblick traten Maria und Magdalena mit Nikodemus herein; ruhig und gefasst waren beide Frauen, und bei ihrem Anblick erfüllte den Hauptmann Bewunderung ob der ernsten Schönheit solcher Seelengrösse! Fast zaghaft wandte er sich an Maria und sagte: „Holde Frau und Mutter, ich würdige deinen Schmerz! Aber lass dir sagen: bald wird die grösste Freude in dein Herz einziehen, denn: Gebrochen ist die Macht des Todes! Jesus—lebt! Er Selbst liess mich diese Wahrheit schauen! — Und eine Verheissung trage ich tief in meinem Herzen: dass Er immerdar uns erfüllen wird mit Seinem Geiste und Seiner Kraft!“

08. Wie der Erlöser in einem ändern Tempel schon erwartet wurde

Und so war wieder Freude eingekehrt bei den Anwesenden. Auch Maria und Magdalena fühlten sich gestärkt und waren voller Erwartung. Da bemerkten sie, wie der Hauptmann mit starren Augen immer auf einen Punkt sah, und so wurden alle still. Der Römer aber fing an zu reden: „0 liebe Freunde, lasst mich erzählen, was ich jetzt erlebe! Ich sehe einen riesengrossen Tempel; der Eingang wird durch zwei Löwen dargestellt, die an zwei Säulen ruhen, und der Bogen darüber ist mit leuchtenden Edelsteinen in verschiedenen Farben geschmückt. Das Innere ist ein majestätischer Bau, herrlich ausgeschmückt. Im Hintergrund sehe ich einen Altar, auf dem ein sehr helles, strahlendes Licht brennt. An jeder Seite des Altares steht ein Engel, in der einen Hand das zu Boden zeigende Schwert, in der anderen erhobenen Hand eine Krone mit funkelnden Diamanten haltend. Und vor dem Altar steht Jesus, wiederum seine Wundmale zeigend; und jetzt sehe ich den Tempel angefüllt mit unzähligen Menschen, aber alle sind wie durchsichtig, also Geist-Wesen. Wie dort im Tempel zu Jerusalem so kommt auch hier ein Priester; sein Gewand ist verziert mit goldenen Schnüren und Bändern und auf der Brust trägt er einen goldenen Schmuck. Er verneigt sich bis auf den Boden, tritt vor Jesus hin und sagt: „Herr, endlich ist die Zeit erfüllt! Endlich schlägt auch uns die Stande, wo wir frei werden, wo die Zeit vorüber ist, da wir unter dem Zwang standen, immer nur das zu tun, was uns im Erdenleben gross und mächtig machte. O Herr! Alle, die Du mir anvertraut, bringe ich Dir hier, und so lege ich vertrauend und dankend mein Amt als Seelen-Hirte in Deine Hände zurück. O Dank, tausend Dank, dass wir Dich hier erschauen dürfen! Wie waren wir beglückt, als Deine Engel uns kündeten, dass Du die Wege bereitetest, auf denen wir wandeln können, um im Lichte Deiner Weisheit von Klarheit zu Klarheit geführt zu werden! 0 Dank Dir! Du Ewig Grosser Gott! Du hast wahrgemacht Deine Verheissung, Du wollest einst öffnen die Pforten des Todes und der Nacht! Und Du, herrlicher Gottes-Sohn! Du Märtyrer Deiner Liebes-Wahrheit! Auch zu uns komme Dein Reich der Liebe! und der Gerechtigkeit! Verkünde weiter Deinen Willen! Was sollen wir tun, damit wir würdig werden, Dir zu folgen?“ Liebevoll spricht Jesus: „Meine Freunde und auch Meine Kinder! Erkennen sollt ihr Mich als Den, Der da kommen sollte, zu erlösen alle Gefangenen, freizumachen alle Gebundenen! Und ihr sollet ändern euern Sinn! Denn da ihr längst nicht mehr Menschen seid, so leget alles Menschliche ab und scheuet euch nicht, frei und freudig zu bekennen, dass ihr alle Sünder seid und Mich braucht als Heiland und Erlöser! Alles weitere hängt nur von euch ab.“ Der Priester nimmt seine Insignien ab; er trennt die Bänder von seinem Gewand und will alles Jesus zu Füssen legen; Da schüttelt Jesus das Haupt, und so hängt der Priester einem wachehaltenden Engel den Schmuck um, kniet vor Jesus nieder und sagt: „Herr und Heiland, hier bin ich, und ich spreche im Namen aller Anwesenden! — (nun knien alle mit ihm nieder) Wir sind bereit, alles dieses zu tun! Wir glauben an Dich und an Deine Sendung!
O vergib uns, was wir im falschen Wahn getan! Und so Du strafen willst, Herr, so strafe nur mich und lasse alle anderen frei! — Lasse mich büssen, was da gefehlt und gesündigt wurde; denn sie taten nur, was ich allen anriet.“ Da tritt Jesus zu dem Priester, schaut ihn an, zieht ihn empor und spricht: „Der Friede sei mit euch! Nicht komme Ich, um Rechenschaft zu fordern! 0 nein! Ich komme, um euch zu helfen, um euch zu zeigen das Leben in seiner grössten Herrlichkeit! Doch was euch noch fehlt, ist die vergebende, erlösende Liebe! Ihr glaubtet bis jetzt, mit euren Gottesdiensten alles getan zu haben, was euch vor Gott gerecht macht! Ihr irrtet! Liebe geben! Liebe üben! Liebend ausgleichen! Und nur einem einzigen Ziele nachstreben: Glücklich zu machen den Armen und Bedrückten! Dies fehlt euch noch! Und dieses lernet nun von Mir! Denn Ich bin Liebe und Sanftmut, Geduld und Barmherzigkeit! Alle Liebe gehet aus vom Vater! Der Vater aber ist Mein Innen-Leben! Und dieses Mein innerstes Liebe-Leben gebe Ich euch, wenn ihr Mir aus freiestem Wollen das eure gebt! Sehet: Meine durchbohrten Hände! Sehet: Meine durchbohrten Füsse! Diese sind und bleiben für Ewigkeiten der äussere Beweis Meiner Liebe und Geduld mit allen Gefallenen! Den inneren Beweis Meiner Liebe aber erlebt ihr erst in euch, so ihr tut nach Meinen sanften Worten: Liebet euch! — Und nähret diese Liebe in euch durch Dienen, durch heiligen Eifer, nur Mir zu gefallen und zu opfern eure Eigen-Liebe! Wollet ihr dieses, so erhebet euch alle und stärket euch; Meine Engel werden euch reichen Brot und Wasser des Lebens. Und so erscheinen jetzt Engel-Scharen mit Krügen und Brot in der Hand, um alle zu erquicken. Da tritt einer der Priester vor Jesus hin, verneigt sich tief, reicht Ihm sein Brot und seinen Kelch hin und spricht: „Herr, so es nicht Vermessenheit ist, da möchte ich Dir den Trunk reichen! Trinke Du den mir zugedachten Teil, ich wäre glücklich darüber!“ Freundlich antwortet Jesus ihm: „Mein Bruder, siehe, wie allen die Kost mundet, es ist das erste Mahl der Liebe, welches sie geniessen! Nun komme auch du und geniesse mit Mir davon und gedenke nicht mehr deiner Sünden! Denn hast du genossen mit Mir Brot und Wein, wird auch alles Vergangene gesühnt sein! Denn Ich bin Leben und Licht, bin Brot und Wein! Geniesse davon ohne Scheu, damit wir den Brüdern helfen können.“ Jetzt kommen die Engel und scharen sich um Jesus; Er aber spricht zu allen: „Meine Kinder! Folget Meinen getreuen Dienern in die Wohnungen, die die Liebe euch bereitet hat! Du aber, Mein Bruder, bleibe bei Mir! Du sollst noch mehr Meiner Erbarmungen sehen!“ —
Hier schwand dem Hauptmann das geistige Bild, und alle waren tief ergriffen, hatten sie doch etwas von ihrem Jesus gehört! Auch der Hauptmann war still. Ein Blick aus den fragenden Augen der Magdalena offenbarte ihm ihre grosse Liebe zum Herrn, und es währte auch nicht lange, da wandte sie sich direkt an den Hauptmann: „Ist es zuviel, wenn ich frage: Wie sah Jesus aus? Trug Er noch Spuren von Seinen Leiden?“ Und ihre Augen hingen an dem Mund des Römers. Dieser sagte: „Holde Tochter Zions! Jesus sah aus wie ein Verklärter! Seine Augen leuchteten wie Tautropfen, die die Sonne bescheint; und um Seine Wunden lag ein dunkler Kranz. Jesus muss einzig glücklich sein! Seine Stimme war sanft und glich dem Ton einer Äolsharfe! Sein ganzes Auftreten ist königlich. Und also ist Er der Grosse Sieger! Alle anderen aber sind Besiegte!“ Magdalena dankte freundlich, und Maria reichte ihm die Hand, die der Hauptmann innig küsste. Dann trat Stille ein, denn alle waren innerlich mit Jesus beschäftigt. Später bat Lazarus seine Gäste, in den Garten zu gehen und sich an den Bäumen und Blumen zu erfreuen, „denn unser Herz war voll Trauer“, sprach er, „doch jetzt ist alles in Erwartung verwandelt! Es wird mir zu eng in der Brust! O wüssten dies doch alle Jünger und Freunde! So aber müssen wir noch schweigen nach des Herrn Willen; denn für uns ist Er noch nicht auferstanden! Was unser Hauptmann sah, erlebte er ja nur in seinem Geiste; doch hat Jesus versprochen, zu uns zu kommen! Also warten wir Seiner!“ Und so verliessen alle das Haus. —
Der Hauptmann aber blieb zurück, denn er wollte allein sein. Es war zuviel des Erlebten in den wenigen Stunden! Einige Minuten verblieb noch Lazarus bei ihm und dankte nochmals für die erhaltenen Liebes-Beweise.

09. Jesus inmitten jüdischer Kaufleute

Die Geschäfte riefen Lazarus hinaus, und so hatte unser Hauptmann Gelegenheit, alles noch einmal in Ruhe zu überdenken. Dabei wurde er wiederum im Geiste zu Jesus hingeführt, den er nun in einem grossen Garten erschaute! Viel Volk, vor allem Kaufleute mit ihren Karawanen, hatten sich rings um den Garten gelagert; aber alle die Tausenden von Menschen wussten nicht einmal, dass sie gestorben waren, und ihr Handel war noch ihr ganzes Streben. Unter diese trat nun Jesus, und eine grosse Schar Erlöster war in Seinem Gefolge. Jesus, in Seiner erbarmenden Liebe, schaute alle die Verirrten an, und ein heisses Weh regte sich in Seinem Herzen, hatten doch die allermeisten von diesen Geistern mit ansehen dürfen Seine Taten, Sein Leiden und Sein Sterben! Aber es war nur ein Schauspiel für sie, und alle diese Zeichen konnten nichts erschüttern an ihrer falschen, verkehrten Liebe zum Weltlichen! — „Höret alle“, rief nun Jesus, „was Ich euch sage! Kennet ihr Mich nicht? — Habt ihr doch alle Meine Leiden und Qualen gesehen. Ist denn schon alles wieder ausgelöscht in euch? Bedenket doch, dass ihr keine irdischen Menschen mehr seid! — Ihr seid Geister, die da im Wahn leben, immer noch auf Erden zu weilen! Habt ihr schon darüber nachgedacht, was werden wird, wenn alle eure Waren und Vermögen einmal verschwinden? Und so komme Ich zu euch, um euch zu künden, dass auch für euch die Erlösungs-Stunde angebrochen ist, wo ihr inne werden sollet, dass euer Heil und ewiges Sein nur in Meiner Liebe zu euch allen zu finden ist! Nur diese Meine Liebe zu den irrenden Menschen gab Mir die Kraft, alles von ihnen zu erleiden, alles zu dulden, damit der Weg bereitet wird, auf dem ihr zu Mir und Ich zu euch kommen kann! Fraget alle, die da sahen die Wunder Meiner Liebe, doch Mich noch nicht kannten; sie müssen zugeben, dass Ich nicht wie ein Mensch unter Menschen, sondern wie ein Gott unter den Menschen lebte! Und so Ich nun am Kreuze endete, so bezeugte Ich damit nur, dass Mir für euch wie für alle Erdenkinder kein Ziel zu weit, ‚keine Last zu schwer und keine Arbeit zu viel war! Und so schuf Ich durch Mein Sterben euch einen Zugangs-Weg zum ewig-liebenden Gottes-Herzen! Fraget alle Meine Engel! Was sie bei Meiner Geburt sangen ist wenig im Vergleich zu dem, was sie heute erleben! Fraget diese Zeugen hier, und ihr müsset inne werden, dass auch euch heute das grösste Gnaden-Leben ergreifen will! Und so frage Ich euch: Könnt ihr Meinen Worten glauben?“
Ein alter Jude trat heran und sprach: „Ja, Du bist es! Jesus, des Zimmermanns Joseph Sohn! Wie kommt es aber, dass Du gerade uns aufsuchst? Wir haben geglaubt, Du seiest bei denen im Tempel! Wir aber haben keine Gemeinschaft mehr mit ihnen! Denn ihre Gewinnsucht und ihre Strenge haben uns zur besseren Einsicht gebracht. Aber was willst Du denn bei uns wirken? Lasse uns unseren Frieden, wir wollen Dir den Deinen auch nicht rauben. Es tut uns leid, dass Du leiden musstest! Doch Deine Ohnmacht am Kreuze besagt ja deutlich, dass Du selber der Hilfe bedarfst! Wenn wir hier noch weilen, so tun wir das nur, weil uns etwas Geheimnisvolles hält, sonst wären wir längst weitergezogen. Oder brauchst Du uns? — Sage, ob wir Dir helfen können?“ „Sehet Meine Hände! Sehet Meine Seite und Meine Füsse!“ rief Jesus. „Hier sind die Signaturen! und wer die anerkennt, findet auch Verständnis für Meine Worte! Diese Meine fünf Wunden zeigen allen, dass ein bestimmter Zweck Mich auf die Erde gehen hiess! Darum lautete Mein letztes Wort: „Es ist vollbracht!“ Findet ihr darin wirklich nichts zum Nachdenken? Seid euch doch endlich soweit klar, dass dieses „euer Sein“ nicht länger bestehen kann! Und nun gebet acht: Alle eure Wagen und Waren werden verschwinden, damit ihr erkennet in Mir — Die Macht, aber auch Den, Der „in Mir“ zu euch gekommen ist! Wohl bin Ich der euch bekannte Jesus von Nazareth, aber dieses sagte ich nur von Meinem Leib! Mein Innerstes ist der ewige Gottes-Geist! Durch Meinen Tod am Kreuz ist all Mein Vergängliches an Mir vom Ewigen Gottesgeist durchdrungen worden, so dass nichts Vergängliches mehr an Mir ist! Und nun Ich vollbracht habe und gekommen bin, euch zu helfen, da wäre es doch von euch das Richtige, euch und Mich zu prüfen! Ich habe die Macht und könnte es euch beweisen! Doch nie werde Ich zwingend an ein Wesen herantreten! Nur wer freiwillig kommt, wird angenommen! Heute ist für euch eine Gnadenzeit! Nutzet sie, damit ihr euren Eigensinn nicht bereuet! Denn all euer Besitz ist von nun an nur der, der ans eurer Liebe euch geworden! Meine Liebe gilt allen Wesen, auch euch! Und alles soll vergessen sein, wenn ihr vergesset euren doch so vergänglichen Besitz und suchet Meine Ziele! Tretet ein in die Gemeinschaft mit Meinen Engeln und verbindet euch im reinen Liebe-Geiste untereinander! Dann werdet ihr in Mir — Den erschauen, Der Moses und Elias Gottes Herrlichkeiten erleben liess!“
Staunend hörten alle diese Botschaft! Doch Enttäuschung und Angst zeigte sich auf ihren Gesichtern, als ihre Karawanen verschwunden waren und keiner wusste, wo dies alles hingekommen sei. Da fragte der alte Jude den Herrn: „Sage uns, wo sind denn unsere Waren geblieben? Deine ganze Rede geht dahin, wir sollen Dir folgen! Ja, wohin denn? Wir wissen nicht, wohin Du uns führen willst, und so bitten wir Dich um Antwort!“ „Höret, ihr Armen alle!“, sprach Jesus. „Eure Wagen und euer Gut sind nicht spurlos verschwunden, sondern in Wirklichkeit existierte dies alles gar nicht, weil eure ganze Liebe diese Karawanen nur in euren Gedanken schuf! Diese Schemen konnten jetzt nicht mehr bestehen, da das wahre Leben in Mir alles wie tot Daseiende in neue Formen drängt und neues Leben, neue Wirkungen zeitigt! Wie der Schnee vergeht, so die Sonne immer heisser scheint, so vergehen auch alle Schein-Wahrheiten in ein Nichts vor Mir! Erkennet nun, was und wer ihr seid! Euer irdisches Sein ist schon seit vielen Jahren vergangen! Aber als Bewohner eurer eigenen Welt wusstet ihr bisher noch nicht, dass ihr gestorben seid, und konntet noch alle Vorgänge auf der Erde um euch beachten. Gerade du hast Beweise Meiner Liebe zu dir; gerade ihr, die ihr aus dem Stamme Davids seid, seid euch bewusst, dass auch Ich aus Davids Stamm bin! Und so ihr Mir nun folgen wollt, so führe ich euch dort hin, wo Abraham und David weilen! Viele Stammesgenossen werdet ihr dort treffen, und dann wird euch erst zum Bewusstsein kommen, was ihr verloren hattet, und werdet dann Mir danken, weil Ich das Verlorene euch wiedergebracht habe. Darum gebet nun euren Willen kund!“ Ruhig, ganz ruhig wurde es um den Herrn! Da kniete der alte Jude nieder und bat herzlich, unter Tränen, um Verzeihung, dass er Ihn nicht gleich erkannt habe! Aber nun er wisse, dass Seine Liebe ehrlich, Seine Worte wahr seien; nun folge er gern und wolle auch die anderen bitten, mitzugehen, — wohin der Herr sie führen werde. Jesus legte dem Alten die Hand auf das Haupt und sagte: „Stehe du auf! Da du nun Mich erkennest, ist es nicht nötig, noch Vor Mir zu knien! Beuge deinen Sinn! Und dein Herz möge erwachen, damit es den leisen Liebes-Zug erfahre, der nötig ist, um Mir zu folgen!“ Sogleich stand der Alte auf und rief laut: „Brüder, alle, höret auf mich! Jedes Wort aus Jesu Mund erschüttert mich! Seine Worte sind Wahrheit! Und wenn einer uns Hilfe bringen kann, so ist es nur Jesus von Nazareth! Verlassen wir diese Stätte, wo uns unser Besitz verlassen hat! Ich glaube, in Jesus finden wir alles! Hat Er so vielen gegeben, so vielen geholfen, so wird Er auch uns helfen! Sein Tod ist uns zum Leben geworden, und Sein Leiden der Freispruch unserer Sünden. Er erbot Sich Selbst, uns dorthin zu führen, wo unsere Väter sind; und so frage ich euch: Wollet ihr mitkommen?“ Einstimmig ertönte da „Ja!“ —, und so rief Jesus: „So kommet und lernet die Liebe kennen und die Kräfte, die sie dauernd erneuern! Amen!“ Der Hauptmann sah und hörte jedes Wort, doch dann war das Gesicht verschwunden! Als alle ans dem Garten zurückkamen, merkte Lazarus es dem Hauptmann an, dass dieser wieder etwas Inneres erlebt haben musste; er ging aber hin, legte die rechte Hand auf seine Schulter und sprach: „Bruder, behalte es für dich, damit unsere Herzen ruhig bleiben und auch wir dann erleben dürfen diese Gemeinschaft mit Jesus!“
Frisch und erholt sahen die Frauen ans; und nun besprachen sie, früh am nächsten Morgen nach dem Grabe zu gehen, um den Leib Jesu nochmals zu schmücken und zu ehren. Dann sprachen sie noch von so manchem Schönen, was sie erlebt mit ihrem geliebten Meister. Maria Magdalena konnte nicht genug erzählen und betonte immer wieder, dass sie nie aufhören könne, Ihn zu lieben, weil alles, was sie empfangen, nur von Ihm sei, und dass sie noch einmal Seine Füsse umklammern möchte! »Nur einmal möchte ich an Seiner Brust liegen, dann möchte auch ich sterben!“ Maria aber sprach: „Liebe, höre doch auf, so zu reden! Zerreisse den Faden nicht! Lass nicht zerrinnen das Bewusstsein: Es ist der Herr! Er bleibt nicht immer im Grabe! Doch nur im Geiste dürfen wir Ihn lieben, .da Er uns doch Selbst so heiss geliebt hat! — Jetzt wird mir erst klar, was Er errungen und vollbracht hat! Seine Liebe soll unser Innen-Leben werden! In Seiner Liebe weilt Er ja unsichtbar unter uns! Und so erfüllt Er uns mit Kraft aus Seiner Kraft, mit Licht aus Seinem Licht und wirket Frieden und Ruhe für unser Herz!“ Lieblich klangen die Worte der Mutter Maria, und es war allen, als wenn ein Echo ertönte, zart und fein, und so wurde Ruhe um die Anwesenden. Es ward Abend. — Der Hauptmann wollte mit Nikodemus nach der Stadt zurück, aber Lazarus wies auf den Sabbath hin und, dass es bei Nacht doch nicht ratsam wäre. „Gehet früh, wenn die Frauen gehen, so wird es das Richtige sein!“ Und so blieben alle in dieser Nacht in der Herberge des Lazarus.

10. Warum musste Jesus sterben?

Als sich nun alle zur Ruhe begeben wollten, bat der Hauptmann den Lazarus, noch eine Weile bei ihm zu bleiben, da er in all diesem Geschehen noch nicht die rechte Klarheit finde. Lazarus gab freudig seine Zustimmung und forderte auch die anderen Brüder auf, ein Stündlein noch dem Hauptmann zu schenken. Die Frauen waren zur Ruhe gegangen, und so blieben die Männer allein. Lazarus ging auf den Hauptmann zu, legte beide Hände auf seine Schultern und sprach: „Mein lieber Hauptmann! Es ist recht von dir, dass du uns offen um Aufklärung bittest, wenn noch manches in dir dunkel ist. Sei überzeugt, dass nach dem Willen des Herrn auch dir volles Licht und Verständnis darüber wird! Und so enthülle uns, was dir noch unklar ist!" Der Hauptmann sah die Brüder an, gewahrte auf allen Gesichtern heiligen Ernst und sprach: »Brüder und Freund Lazarus! Die hier bei euch erlebte Liebe und der Geist unter euch, den man hier so wohltuend empfindet, berechtigen mich, auch euch Brüder und Freund zu nennen! Und so bitte ich euch, meine Offenheit in diesem Geiste zu betrachten, und frage: Warum musste Jesus von Nazareth, der ein Jude war, gerade diesen heidnischen Tod sterben? — Gab es keine andere Möglichkeit als die der grössten Schande? Und: Welchen hohen Zweck verfolgte denn Jesus dabei? Und dann: Wie soll mir, dem Heiden, Jesu Leiden und Sterben ein Akt des Heils und der grössten Gnade Gottes sein? Sehet, dieses sind Punkte, die bei mir noch arg im Dunkeln liegen." Lazarus reichte dem Hauptmann die Hand und sprach: „Teurer Freund und Bruder im Herrn, nenne dich nicht mehr einen Heiden! Du tatest zwar deine Pflicht, — da du nicht anders konntest! Als aber dein Auge dabei suchend umherschweifte, gewahrte der Meister in dir die Herzens-Bitte um Vergebung! Er schaute dich an mit den Augen Seiner Liebe, und Sein Blick kündete dir volle Entsühnung! Dadurch wurde es in deinem Geiste rege und lebendig! Du schmecktest Heimat-Luft und wurdest einen Augenblick erfüllt von der Wonne aus den Ewigen Regionen! Du vertieftest diese Eindrücke in der Stille der Nacht, und Gott Selbst, in Seiner Ewigen Liebe und Erbarmung, sandte dir einen Boten und offenbarte dir im Geiste, was Millionen nicht erfahren! All dein Erschautes konntest du nicht zurückweisen und musstest erkennen, dass der getötete Heiland und Meister Jesus lebt, aber ein Leben, welches nicht mit unseren fünf Sinnen wahrnehmbar ist! Dein Verstand wehrt sich noch und muss sich wehren, und berechtigt ist die Frage: „Wenn Jesus doch nicht zu töten ist, warum dann diese Qualen, Leiden und diese Schande?" Siehe, mein teurer Bruder! Was du auf Golgatha geistig erlebtest, war die Enthüllung Seines innersten Göttlichen Seins! Und allen Wesen, aller Menschheit, ja der ganzen Unendlichkeit wurde hier gezeigt, dass der Ur-Grund alles Innen-Lebens in der Göttlichen Liebe zu uns Menschen liegt und in Ihrer Erbarmung mit unserm Gott-fernen Wandel! Du wirst verstehen, was ich dir jetzt aus dem Geiste des Herrn sagen muss! Denn Er will auch dir zeigen dieses grosse Warum? — und seine Lösung. Durch Luzifer, den ersten grossen, aber von Gott abgefallenen Engel, wurden Legionen Engel, dann Menschen, auf eine Bahn gedrängt die allen die Zugehörigkeit zur ewigen Licht-Heimat raubte! Und so ward Luzifer zum Feind alles Lebens aus Gott! Gott aber ist nicht nur Schöpfer, sondern will auch Vater sein und ist besorgt um Seine in der Irre lebenden Kinder! Es galt nun, einen Weg zurückzufinden, der auch dem Gott-Entferntesten gangbar gemacht werden konnte! Und nach langen Zeitläufen endlich konnte Gott Selbst als Mensch .und im Menschen dieses ermöglichen! Es führte zu weit, wollte ich dir alles erzählen, was ich darüber schon weiss; aber lass dir genügen an dem, was ich dir nun noch sage: In dem Menschen Jesus regte sich frühzeitig schon das Innere Leben aus Seinem Ewigen Gottes-Geiste! Im Kindesalter wusste Er schon um Seine hohe Berufung und Sendung, und mit zwölf Jahren war Er den Templern weit überlegen in der Auslegung unserer Heiligen Schriften; denn in Ihm war „Leben aus Gott!" und Gott Selbst war Sein Leben! Kämpfe, äussere und innere, und immer schwerere Kämpfe machten Ihn innerlich immer reifer und freier! Denn Gott konnte nur soweit „Leben" in Ihm gewinnen, als Jesus alles Menschliche an sich freiwillig verleugnen und überwinden lernte. Das klare Bewusstsein: „Gott Selbst lebt in Mir!", schuf Licht und Kraft in Seiner Innen-Welt! Dazu gesellte sich die Liebe zu Seiner hohen Berufung, und so kannte Jesus nur noch den einen Wunsch: Gott in allem zu dienen und nur nach Seinem Heiligen Willen zu handeln! Immer neue Gottes-Kräfte belebten Seine Liebe! Seine Liebe aber drängte nach Erfüllung Seiner Aufgabe und kannte nur ein Sehnen: Diesen Geist der Liebe, diese Quelle aller Freuden, diese Fundgrube ewigen Glückes, — nun auch allen denen zu schenken, die Verlangen danach haben! Wie aber konnte Jesus diesen Gottes-Geist in Seinem Innern Seinen Mitmenschen beweisen, ja, ihnen schenken? Wohl tat und wirkte Er Wunder und gewaltige Zeichen! Wohl sprach Sein Mund heilige und wunderbare Worte, aber daran konnte die Welt sich nur berauschen! Es galt, ein Opfer zu bringen, das all Sein bisheriges Wirken in den Schatten stellte! Ein Opfer, an dem der Feind zugrunde gehen musste, so er diese Liebe und dieses Geistige Leben aus Gott antastete! Was Jesus litt, kann nur ermessen, wer Ihn kennt! Was Jesus trug, kann nur fühlen, wer Ihn liebt! Und so ich mich in Sein Leiden und Dulden hinein versetze, fühle ich mich versetzt an Seine Seite! Sein Sterben aber wird für mich eine Beruhigung meines innersten Seins, da ich Seine unendliche Liebe zur uns Menschen nun erst wahrhaft fühle und empfinde und verstehen lerne!
Ja, ich ersehe jetzt in meinem Geiste, was diese ganze Opferung auf Golgatha auslöste und in alle Zukunft noch auslösen wird! Das Kreuz, das Symbol der Schande, ward von Jesus Selbst erwählt zum Zeichen des Sieges über die Sünde, die ihren Stempel darauf gedrückt hat. Im Zeichen dieses Kreuzes und im Geiste von Golgatha verschwindet alle Schuld und alle Sünde! (vor Gott!) Im Zeichen des Kreuzes und im Geiste von Golgatha öffnen sich erst 'unsere inneren Quellen und ergiessen sich in dem einen Gefühl: „Mir ist geholfen durch den gekreuzigten Heiland und Erlöser!“ Denn ein ganz neues Leben fängt an, in mir zu pulsieren, und macht mich zum neuen und anderen Menschen! In diesem neuen Geiste meines Inneren Lebens gibt es keine Leiden mehr, nur noch Schulen, da Jesus Selbst ja alles mit mir trägt und mein Helfer ist. Siehe, du brauchst nicht einmal Bekenner mit dem Munde zu sein! So du aber diesen neuen Geist, der allen zum Heile, zum wahren Glück verhilft, erfassest und das tuest, wozu dieser Geist dich drängt, dann wirst du inne werden: Nicht ich, sondern Jesus wirkt dieses neue Leben in mir! Kannst du nun dieses recht erfassen und verstehen?" „Bruder und Freund Lazarus!" antwortete der Hauptmann, „erfassen wohl, doch am Verstehen mangelt es noch! Denn bedenke, du und ihr anderen wäret Freunde Jesu und wäret eingeweiht in Seine Lehre und in Sein Vorhaben! — So nun Sein Tod, Seine qualvollen Leiden in mir dieses noch schlafende Gottes-Leben wecken sollen, so steigt doch noch die Frage auf: Hatte Gott nicht andere Mittel, um die Menschheit wieder an Sich zu ziehen, und gab es wirklich keinen anderen Ausweg? Es muss doch etwas sehr Schreckliches sein, so ein Mensch, der jahrelang nichts als nur Gutes tat, auf einmal als der grösste Sünder für alle büssen soll! Ich gehe jetzt weniger von Jesus aus, aber von euch aus, von allen, die da an Ihm hingen und Ihm glaubten, muss doch dieses sehr schmerzvoll sein."
Lazarus antwortete: „Lieber Hauptmann, auch hier kann ich dir nur sagen, dass der Herr auch dieses wusste; denn Sein Mund sprach die verheissungsvollen Worte: „So Ich nicht zum Vater gehe, kann zu euch nicht der Tröster kommen, der euch in alle Wahrheit leiten wird!" Es ist wahr, wie du sagst: Es ist schrecklich, so einer die Schuld für alle tragen muss, dazu noch unschuldig!
Aber Gott Selbst wollte es so, damit ein Weg gebahnt werde für alle Ewigkeit, auf dem alle Leiden ein Ende finden sollen! Jesus litt und trug in Seinem Fleische allen Fluch und alle Sünde unseres Fleisches an das Marterholz! Und eben dieser Sein grösster Liebes-Dienst, dieser Geist aus innerster Gott-Verbundenheit, schuf die von Gott ersehnten Möglichkeiten: unseres Zurückkehrens zu Seinem Wegen! Jesu Sterben ging auch uns ans Leben, und in uns wurde es Nacht! Aber um so leuchtender wird es einst in uns werden, da wir die Offenbarung erhielten: „Ich lebe, und auch ihr werdet leben!" Dieses Leiden und Sterben bedeutet in der grossen Geschichte der Menschheit einen Abschluss! Erstens kann von dieser Stunde an niemand mehr sagen: „Das Herrlichste von allem Herrlichen unsere Gott-Ähnlichkeit wurde uns Menschen vorenthalten, da wir Sünder sind!" Denn Gott in Jesus hat auf alle Seine Herrlichkeiten verzichtet und durch diesen Geist stiller hingebender Erlöser-Liebe jedem Menschen den Schlüssel gereicht zu allen Seinen Herrlichkeiten. Zweitens: Durch Jesu Leiden und Sterben ist erst Sein wahres vorbildliches Himmlisches Dienen uns und allen Menschen so recht zum Bewusstsein gekommen! Denn nur in diesem Geiste des Dienens in der Liebe werden die Menschen wieder zu Brüdern! Denn in diesem Geiste leidet ein jeder für die anderen und mit den anderen; und so werden Schmerzen und Leiden, Trübsale und Not überwunden und zu Quellen gegenseitiger Freude und Dankbarkeit! Und drittens, lieber Bruder: Endlich hat das Leben der Menschen wieder einen heiligen Zweck! Diese Erde als unser Prüfungs-Feld ist wieder geheiligt durch den Herrn! Auf dieser Erde soll wieder zurückgeführt werden in die Arme unseres himmlischen Vaters alles, was in der Irre lebt oder noch wandelt! Hier, wo sich auf Golgatha der Himmel aller Gottes-Liebe bekundete, wo Gott und Mensch einen neuen Bund geschlossen haben, ist der Leuchtturm gebaut, an dem sich leuchtende Feuer und Lichtstrahlen als Weg-Weiser zeigen und uns fort und fort bekunden: Von hier aus erfahret ihr erst das wahre und rechte „Leben" in eurem Innern! Siehe, in diesen Aufschlüssen wirst du deine Fragen beantwortet finden! Und was du als traurig und schrecklich in Jesu Sterben erstehest, soll für uns alle zur befreienden Gewissheit werden: Nun sind wir Sein Eigentum! Denn für uns opferte Er Sich! Und für alle Ewigkeiten wird derjenige, der in dem Leiden und Sterben Jesu die Sühne sieht für das, was gesühnt werden muss, erst wahrhaft froh und glücklich werden können!" Der Hauptmann war überwältigt von. dieser Grösse der Jesus-Liebe, von der Lazarus so einfach sprechen konnte und sagte: „Bruder! Nun ist es Licht in mir, und eines weiteren bedarf es nicht mehr! Denn was der Glaube und die Erkenntnis in mir noch reifen lassen, sind dann auch Grund-Pfeiler, die so leicht keine Sturmflut hinwegraffen kann! Aber dieses Eine bekunde ich doch: Es wird lange, lange dauern, ehe das heute Gehörte Eigentum der Menschheit wird! Und noch mancher wird ins Grab sinken und sich verlassen und verstossen fühlen, da nur dieser Glaube an Jesu Liebe zu uns die allerengste Verbundenheit mit Ihm vollbringen kann! 0 Jesus, Du Meister der Liebe, wie wenige werden Dich in Deinem Ur-Geiste, in dieser Deiner Ur-Liebe erfassen! Und doch wirst Du wartend zur Seite stehen — und hoffen! O lasse mich Dich ganz erfassen! Lasse mich, den Fremdling, auch eindringen in den Geist Deiner Liebe! Erfülle Du mein Sein mit Deinem Geiste! Und ich will Dir danken mit Wort und Tat!" „So ist es recht mein Bruder", sprach Lazarus, „bleibe bittend! Dann hast du schon erfasst das neue Leben, das dich zum Gottes-Kind macht! Und du dringst ein in das auch für dich offenstehende Gottes-Herz! Dann erst kannst du schöpfen; wenn du in dir das allergrösste Glück gefunden hast: „Jesus ist in dir!“ Er hat dein Herz erwählt zur Wohnung für Sich. Dann ist in dir alles „Leben" geworden! Dann dient ein jedes Glied nur „Diesem Leben", welches lodert auf dem Altar reiner Kindesliebe! Glaube fest: Jesus, im grössten Schmerz, war dennoch glücklich! Denn in Seinem Geistes sah Er schon, wie Seine Saat, Seine Mühe und Sein Ringen so erfolgsverheissend ist! Darum, liebe, liebe Brüder, lassen wir es für heute genug sein und wollen wir zur Ruhe gehen! Auch wir wollen in diesem Glauben weiter leben, dass nur der uns so herrlich geoffenbarte Geist von Golgatha alle Kraft zum Überwinden uns geben kann! Der Herr hat überwunden und mit Ihm werden auch wir „Überwinder!" Du aber, Da treuer Meister, lass uns Deiner nie und nimmer vergessen! Denn Do hast den Sieg errungen für uns alle — auf Golgatha! Amen."
Und dann stieg am Horizont schon strahlend die Oster-Sonne empor.